Ob es gerade noch oder wieder angesagt ist, Essensbilder in den Sozialen Medien zu teilen, ist etwa so wechselhaft, wie mancher Aktienkurs. Trotzdem schießen wir Unmengen an Bildern unserer Teller, die größtenteils nie wieder gesehen im digitalen Daten-Nirvana der Cloud versinken.
Für bestmögliche Essensfotos oder -videos gibt es unzählige Anleitungen, Handbücher und Video-Tutorials. Man kann sich darin regelrecht verkünsteln. Auch wenn das Ergebnis oft nichts mit Kunst zu tun hat: Unser Blick darauf und wie wir Gerichte anrichten schon.
Essensbilder in der Kunstgeschichte
„Essen ist das Alltäglichste der Welt“, erklärt Kulturwissenschaftlerin Annekathrin Kohout. Schon in jahrtausendealten Höhlenmalereien dokumentierten die Menschen ihr Alltagsleben. Auf antiken römischen Wandfresken sind detaillierte Malereien der Speisekultur ihrer Zeit erhalten, die den Wohlstand des Hausbesitzers zeigen sollten.
Stilprägende Gemälde
In der Stillleben-Malerei spielen Darstellungen von Lebensmitteln bis heute eine wichtige Rolle. So ging es den Malerinnen und Malern des 17. Jahrhunderts laut Kulturwissenschaftlerin Kohout nicht um die Dokumentation von Mahlzeiten, sondern sie sahen darin vor allem ein geeignetes Motiv, um ihr malerisches Können zu zeigen.
Peeters und andere flämische Maler beeinflussten auch über 300 Jahre später noch ein Buchgenre, das seit dem Mittelalter ein Erfolg ist.
Einfluss von Kochbüchern und Magazinen
Kulturwissenschaftlerin Annekathrin Kohout hat sich mit der Entwicklung der Food-Fotografie befasst. Untrennbar mit der professionellen Nahrungsdarstellung verbunden sind Kochbücher und Magazine.
Seit es Fotografie gibt, wird auch Essen fotografiert, so Kohout: „Die britischen Fotografen Henry Fox Talbot und Roger Fenton zeigten in den 1860er-Jahren mit ihren fotografischen Stillleben: Wir können dasselbe wie die Malerei.“
Kochbücher wirken in unseren Alltag
Ab etwa 1900 sieht Kohout die Food-Fotografie als eigenes Genre, maßgeblich beeinflusst aus den USA. Wer in diesen frühen Jahren die Fotografinnen oder Fotografen der Kochbüchern waren, lässt sich heute oft nicht mehr sagen. „Das ist schade, weil sie inspiriert haben, wie wir unser Essen anrichten“, sagt Kohout. Bekannt sind eher die Namen der Macherinnen und Macher, wie der Kochbuch-Pionierin Frieda Nietlispach.
Sobald die Fotografie massentauglich wurde, wurde auch von Laien das eigene Essen fotografiert. In Zeiten von teurem Filmmaterial vor allem Essen, das in einem besonderen Kontext stand: Aus Fotoalben kennt man beispielsweise die Fotos von ausladenden Buffetts bei Familienfeiern der Wirtschaftswunderzeit mit Mettigel, Nudelsalat und Käsewürfeln.
Pioniere der Essensfotografie und Starköche
Im deutschsprachigen Raum gilt neben Christian Teubner beispielsweise der Österreicher Johann Willsberger (82) als „Godfather of Food-Fotografie“, so der Journalist Stefan Quante, der vor viel zu kulinarischen und gastronomischen Themen arbeitet.
Mit seinem Magazin GOURMET hat Willsberger ab 1975 die kulinarische Szene mitgeprägt. „Ess-Fotografie war damals radikal old fashioned“, erinnert er sich heute. Die Kochbücher dieser Zeit zeigen Fotografien, die aussehen wie die Gemälde von Clara Peeters und der anderen flämischen Meister.
Oft mehr Dekoration als eigentliches Gericht. „Und das, worum es eigentlich gehen sollte, nämlich Essen, lag unter anderem auf einem Teller, und zwar so, dass es weiß Gott nicht appetitlich aussah oder animiert hätte, das essen zu wollen.“
Johann Willsberger setzte stattdessen auf weiße Teller vor hellem, schlichtem Hintergrund. Das Essen rückt in den Vordergrund.
Trends und Entwicklungen
„Die Trends in der Food-Fotografie sind stets verschränkt mit den Trends in der Fotografie, beim Essen und dem Ansatz, den ein Kochbuch hat“, so Kulturwissenschaftlerin Annekathrin Kohout. „In den letzten Jahren hat zum Beispiel Instagram stark auf die Food-Fotografie eingewirkt.“ Auch Buchverlage nutzen inzwischen zum Teil Bilder von Instagram, oft von Laien und mit dem Handy geschossen.
Eine Entwicklung, die Foto-Pionier Willsberger kritisch sieht: „Handyfotografie banalisiert das Ganze. Die Technik erlaubt alles. Ein weiterer Punkt ist: Die Verlage, die Zeitschriften und Bücher über Essen herausgeben, haben keine Budgets mehr. Da wird kein Aufwand getrieben. Das wird runtergenudelt.“
Spitzenköche und Spitzenfotografen
Doch gerade bei hochwertigen Buchproduktionen beobachtet Annekathrin Kohout immer noch, dass der Anspruch an das Essen und die Rezepte sich auch bei der Auswahl der Fotografinnen und Fotografen widerspiegelt: „Spitzenköche arbeiten auch mit Top-Fotografen zusammen. Da sieht man schon einen Unterschied.“
Dabei beeinflusst man sich auch gegenseitig. Kulinarik-Journalist Stefan Quante beobachtete gar, dass in der Spitzengastronomie zeitweise die Optik wichtiger wurde als der Geschmack: „Da standen in vielen Spitzenrestaurants sechs bis sieben Leute mit Pinzetten in der Küche und haben nur Blüten auf Teller gelegt – das war dann auch nicht mehr rentabel.“ Ein Trend, der sich seiner Beobachtung nach nun wieder umkehrt.
Zukunft der Food-Bilder: Künstliche Intelligenz?
Oft arbeiten auch für die professionellen Essensfotos ganze Teams an den Inszenierungen: Menschen hinter der Kamera, spezialisierte Food-Stylistinnen für die Präsentation, Profis für Bildbearbeitung. Doch die müssen sich nicht nur der Konkurrenz durch Handyfotos stellen.
„KI wird auch in die Food-Fotografie Einzug halten, da habe ich keine Zweifel daran. Das wird eine eigenständige Bildtechnik werden“, sagt Annekathrin Kohout.
Ein Vorgeschmack: Coca-Cola hat gerade eine limitierte Edition auf den Markt gebracht, deren Design und Rezeptur mithilfe Künstlicher Intelligenz entwickelt wurde.