Der Mainzer Kaufmann und Bankier Felix Ganz und seine Ehefrau wurden von den Nazionalsozialisten gezwungen, ihre Villa zu verlassen und in ein Zimmer im „Judenhaus“ an der Mainzer Kaiserstraße zu ziehen. Dieses Zimmer ist der Schauplatz des Stücks „Felix’s Room“, das Felix’s Ganz Urenkel Adam Ganz aus Erinnerungen recherchiert und geschrieben hat. In der Uraufführung am Berliner Ensemble enstehen auf der Bühne dank modernster 3-D-Scantechnik eindrucksvolle Bilder.
Eine Nussbaumkommode in Felix’s Zimmer
Erna und Felix Ganz rekonstruieren die Geschichte ihrer Kommode. Die landete nach ihrer Enteignung im Museum von Mainz. Dort befindet sie sich bis heute. Es konnte zweifelsfrei geklärt werden, dass sie Felix Ganz gehörte.
So wurde sie für das Musiktheaterstück nach Berlin gebracht. Diese barocke Nussbaum-Kommode aus dem 17. Jahrhundert muss dem wohlhabenden Unternehmer und Bankier sehr wichtig gewesen sein, denn er nahm sie 1942 mit in das Zimmer, das ihm und seiner Frau Erna im sogenannten „Judenhaus“ zugewiesen wurde.
Von der Villa ins „Judenhaus“ verdrängt
Der Abend beginnt, in dem die Kommode zwischen vier Gaze-Vorhänge gerollt wird. Dank der 3D-Scan-Technologie des Londoner Kreativstudios ScanLab entsteht auf der Bühne des Berliner Ensembles nach und nach jener Raum in der Mainzer Kaiserstraße, mit Schrank, Bett, Schreibtischen, Bildern, Teppich und Kochplatten.
SWR2 Leben Die verschollene Kunstsammlung des Mainzer Kaufmanns Felix Ganz
Die Kunstsammlung des Mainzer Kaufmanns Felix Ganz verschwindet in den 1940er Jahren. Er und seine Frau werden in Auschwitz ermordet. Heute sucht sein Urenkel Adam Ganz die Sammlung. Von Marie-Christine Werner
Anhand einer Originalskizze von Felix Ganz wurde das Zimmer für die Bühne holographisch rekonstruiert. Von diesem Raum aus, in dem die Eheleute wegen der jüdischen Wurzeln von Felix während des Naziterrors quasi gefangen waren, reisen sie in die Vergangenheit, erinnern sich an rauschende Feste in ihrer Villa, bei denen sich die Wirtschaftsbosse jener Zeit versammelten.
Felix Ganz zwischen Hoffnung und Verzweifelung
Sie berichten von vielen Reisen, etwa nach Istanbul. Dank der aufwendigen 3-D-Technik, bewegt sich das Publikum gemeinsam mit Erna und Felix durch die Hagia Sophia. Die glücklichen Zeiten sind farbig.
Doch die Realität holt alle schnell wieder zurück in den schwarz-weißen Raum. Felix Ganz, in all seiner Verzweiflung und Hoffnung großartig gespielt von Veit Schubert, zitiert immer wieder Briefe, in denen er um ein Bügeleisen bittet, um einen Besuch, und in denen er versucht seine drei Kinder, die bereits ins Ausland geflohen sind, zu beruhigen.
Musik im Stück sorgt für Zeitkolorit
Für die Familie Ganz spielte Musik eine große Rolle, Tochter Olga wurde Opernsängerin. Folgerichtig ist die Musik auch im Stück wichtig.
Ein kleines Orchester der Komischen Oper sitzt mit auf der Bühne. Das trägt viel zum Zeitkolorit bei. In einer Szene besingt Alma Sadé als Erna die Kommode.
Auschwitz ist nicht das Hauptthema
Das Musiktheaterstück endet mit dem Auszug der Eheleute Ganz aus Felix’s Room, mit der Deportation nach Theresienstadt. Von dort kommen die beiden 1944 nach Auschwitz und werden ermordet.
Doch das solle kein Thema sein, sagt Adam Ganz, der die Geschichte seines Urgroßvaters recherchiert und den Text für das Theaterstück geschrieben hat. Erna und Felix sollen nicht auf die Ermordung reduziert werden. Adam Ganz sitzt mit auf der Bühne, erklärt oder kommentiert.
Eindrucksvolle Bilder, die nachwirken
Die holographischen Räume sind toll, weil sie Lücken schließen, die ansonsten nicht zu schließen wären und den Raum entstehen lassen für die Geschichte von Erna und Felix Ganz. Die ein oder andere technische Spielerei, etwa der Wasserdampf über den Kochplatten oder das Fenster, das Erna mit einer Handbewegung schließt, hätte es nicht gebraucht.
Die vielen Beteiligten an diesem Musiktheater-Abend vom Berliner Ensemble, von der komischen Oper, dem Londoner Studio ScanLab sowie von Felix Ganz und seinem Team haben eindrucksvolle Bilder geschaffen, die nachwirken: dank modernster 3-D-Scan-Theatertechnik, die um eine Nussbaum-Kommode aus dem 18. Jahrhundert herum gebaut ist.
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