John von Düffel hat ein Stück über Adolf Hitlers Lieblingsregisseurin geschrieben. „Die Wahrheit über Leni Riefenstahl (inszeniert von ihr selbst)“ lautet der vielsagende Titel. Das Theater Koblenz nähert sich Leni Riefenstahl in unterschiedlichen Facetten und Schauplätzen. Wieviel wusste die NS-Filmemacherin vom Holocaust? Die Wahrheitssuche bleibt schwierig.
Leni Riefenstahl in drei Generationen
Alles ins rechte Licht rücken, das wollte die Schauspielerin und Film-Regisseurin Leni Riefenstahl ihr ganzes langes Leben lang. In der Koblenzer Inszenierung beleuchtet ein Live-Kamerateam ihre verschiedenen Facetten buchstäblich mit.
Dafür hat das Schauspiel von John von Düffel gleich drei Lenis vorgesehen. Die junge Tänzerin, in die sich anscheinend Adolf Hitler verguckt hatte und vor der er auf Knien rutscht. Die mittlere Leni, die intim wird mit Magda Goebbels und Eifersucht erfährt sowohl von Joseph Goebbels als auch von Hitler.
Spielball und Spielerin zugleich
Und die hoch betagte Leni85. Die blickt zurück auf die 1930er Jahre, in denen sie wohl beides gleichzeitig war: Bewunderin und Bewunderte, Spielball und Spielerin in einer aufs Massenmedium Film setzenden Herrschaftsclique rund um Adolf Hitler.
Ja, Leni Riefenstahl ist bereit und macht Propagandafilme wie „Triumph des Willens“ – als Filmkünstlerin für Hitlers Ideologie.
Hitler aus dreifacher Perspektive
Auch Hitler gibt es in dem Schauspiel dreimal. Auf der Bühne im Stile Charlie Chaplins mit komischen Zügen und schwärmerisch. Für diese Hosenrolle ließ sich Jana Gwosdek sogar einen kleinen Schnurrbart ankleben.
Dann den so genannten „Anderen Hitler“, wütend und cholerisch. Den spielt Wolfram Boelzle. Und es gibt als dritten Hitler, den im Rückblick der Leni85, gespielt von Raphaela Crossey. Über diesen Hitler wird aber nur gesprochen, gezeigt wird er nicht.
Das Publikum folgt Leni durch die Kulturfabrik
Auch skizziert Autor John von Düffel keine authentische Leni Riefenstahl. Im Programmheft schreibt er: „Es ist fast unmöglich zu sagen, wer Leni Riegenstahl wirklich ist.“ Phasenweise macht einem die Rolle der hoch betagten Leni85 mehr Angst als Hitler, wenn sie streng blickend durch die Zuschauerreihen geht oder ihre Regieanweisungen am Set brüllt.
Die 50 Zuschauer des ausverkauften Premierenabends folgen ihr in der Regiearbeit von Marie-Theres Schmidt und Intendant Markus Dietze durch die Flure der Kulturfabrik, hinein in andere Säle, zu Begegnungen mit Hitler mit Horumersiel oder Berchtesgaden als Kulisse.
Das Schlafzimmer von Magda Goebbels betreten wir nicht. Nur eine Livekamera zeigt, wie die beiden Frauen miteinander ins Bett gehen.
Aus Adolf Hitler wird Alice Schwarzer
Nach der Pause dann biegt der Abend ins Recherchetheater ab und das Publikum wird zum Claqueur im Hier und Heute, bei einer Fernseh-Talkshow. Hitler-Darsteller Wolfram Boelzle ist wieder da – diesmal in Frauenkleidern als Alice-Schwarzer-Figur.
Er zitiert aus einem Riefenstahl-Artikel von Schwarzer, der als Verklärung der Regisseurin verstanden wurde und heute Stoff für Empörung ist. Als Anklägerin tritt die Figur der Dokumentarfilmerin und Sachbuchautorin Nina Gladitz auf.
Schweigen hilft nicht gegen Schuld
Gegen Nina Gladitz hatte die Riefenstahl jahrelang Prozesse geführt. Wusste sie, dass Komparsen nach dem Filmdreh zu „Tiefland“ ins KZ mussten und ermordet wurden?
Der Koblenzer Theaterabend beweist eindrücklich: Mit Schweigen wird man Schuld nicht los. Und man lernt: Die Wahrheitssuche bleibt schwierig. Trotz oder gerade wegen der Bilder, die uns die Kameralinsen seit Leni Riefenstahls Zeiten liefern.
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