Ruine der Burg Fürstenberg und der Rhein bei Rheindiebach (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / Peter Schickert www.schickert.i | Peter Schickert)

Seit 20 Jahren UNESCO-Welterbe

Zehn Gründe für einen Besuch im Oberen Mittelrheintal

Stand

2002 wurde das Obere Mittelrheintal in das UNESCO-Welterbe aufgenommen. Warum gehört die Region in eine Reihe mit dem Grand Canyon, der Akropolis und den Pyramiden? Zum 20. Jubiläum spüren wir der Faszination Mittelrheintal nach.

Ein knapp 70 Kilometer langes Tal, begrenzt von Hunsrück und Taunus: Was macht die Kulturlandschaft zwischen Bingen/Rüdesheim und Koblenz so besonders?

1. So viele Burgen
2. Eine Fantasywelt
3. Wandern wie in den Alpen
4. Radeln am Flussufer
5. Viel Wasser, viele Schiffe
6. Seltene Tiere und Pflanzen
7. Route der Gärten
8. Rheinromantik: Auf Turners Spuren
9. Historische Stadtbilder
10. Weinbau am Steilhang und auf der Insel

1. So viele alte Burgen wie nirgends sonst

Woran denkt man beim Stichwort "Mittelrheintal" zuerst? Natürlich an die alten Burgen. Und tatsächlich ist die "Burgendichte" wohl nirgendwo auf der Welt so hoch wie hier. In 30 Burgen kann man etwas über rund tausend Jahre europäische Geschichte erfahren. Nimmt man noch die schlossartigen Bauten, die Spezialbauten wie etwa den Binger Mäuseturm und Anlagen in den unmittelbaren Seitentälern hinzu, kommt man nach Angaben des Leiters des Europäischen Burgeninstituts, Reinhard Friedrich, auf rund 40 Anlagen. Erweitert man das Einzugsgebiet auf die fünf am Welterbegebiet beteiligten Kreise, komme man sogar auf circa 150 Burganlagen. Neue Burgruinen seien in jüngster Zeit nicht mehr entdeckt worden.

Könige, Fürsten, Grafen, Bischöfe, sie alle bauten "ihre" Burg am Rhein, dem wichtigen Transportweg, rangen um Einfluss und Macht, sicherten ihre Gebiete und besserten mit Hilfe von Zöllen die Kassen auf. Es ging um Wälder, Weinberge und Bodenschätze wie Silber und Schiefer. Immer wieder wurden Burgen in kleinen Fehden und großen Kriegen zerstört und wieder aufgebaut.

Die Marksburg oberhalb der rheinland-pfälzischen Stadt Braubach am Rhein © SWR (Foto: SWR)
Die Marksburg oberhalb der rheinland-pfälzischen Stadt Braubach am Rhein © SWR

Unversehrt in mittelalterlicher Pracht thront noch die Marksburg auf einem steilen Gipfel oberhalb von Braubach. Ab dem frühen 13. Jahrhundert wurde sie zum Schutz der nahegelegenen Silberminen errichtet. Viele der zerstörten Burgen im Mittelrheintal wurden im Zuge der "Rheinromantik" des 19. Jahrhunderts wieder errichtet, nicht immer authentisch, sondern im damals beliebten neugotischen Stil.

Die meisten Burgen können nicht nur von fern bestaunt werden. Die Besucher erwarten Ausflugslokale, Cafés, Hotels und Restaurants oder Jugendherbergen. Es gibt Burgen, die täglich geöffnet und frei zugänglich sind und andere, die nur mit Führungen erkundet werden können.

2. Sagen und Legenden - mitten in der Fantasywelt

Historische Wahrheit, Sagen und Legenden haben sich selten in einer Region so vermischt wie im Mittelrheintal. Der Mäuseturm, das Wahrzeichen von Bingen, trägt seinen Namen der Legende nach, weil der Mainzer Bischof Hatto dort als Strafe für seine Unbarmherzigkeit von Mäusen aufgefressen worden sein soll. Der Name leitet sich aber wohl von seiner Funktion als Wachturm (mittelhochdeutsch "musen" = lauern) ab.

An ihr kommt man nur schwer vorbei: die Loreley. In der Flussbiegung unterhalb des Felsens macht die Strömung den Schiffen noch heute zu schaffen. Mit einer Frauenfigur, die oben sitzt, sich die Haare kämmt und die Kapitäne mit ihrem Gesang vom Weg abbringt, brachte man die vielen Unglücke jahrhundertelang nicht in Verbindung. Diese Legende entstand erst mit Clemens Brentanos Ballade von der Zauberin Loreley Lay aus dem Jahr 1801. Zuvor schrieb man unheilvolle Echos am Felsen Zwergen und Berggeistern zu.

Auch bei einem Besuch auf einer der Burgen kann man viele Geschichten kennenlernen. Die Burgen Sterrenberg und Liebenstein auf zwei nah beieinander liegenden Gipfeln werden von zwei Schildmauern getrennt. Der Sage nach, weil sich zwei Brüder wegen einer Frau, die sie beide liebten, verfeindet hatten, eine durchaus hollywoodreife Story.  

Ein Blick vom Loreley-Plateau ins Mittelrheintal, ein Baum im Vordergrund (Foto: SWR, Blick ins Mittelrheintal vom Loreley-Plateau)

3. Wandern wie in den Alpen

Felsen wie sonst nur im Gebirge bietet das Mittelrheintal. Wer wandern mag, kann rechtsrheinisch auf dem teils anspruchsvollen Rheinsteig unterwegs sein. Dieser führt über 320 Kilometer von Wiesbaden nach Bonn, bisweilen sogar mit Drahtseilen gesichert. Zahlreiche Auf- und Abstiege sind zu bewältigen; manchmal macht der Weg auch eine Schleife durch Seitentäler. Insgesamt kommen so 11.700 Höhenmeter zusammen, allein zwischen St. Goarshausen und Kaub sind es 800 Meter Aufstieg und 783 Meter Abstieg. Da die Strecke gut mit dem ÖPNV verknüpft ist, sind Tagestouren ebenso möglich wie mehrtägige Wanderungen. Insgesamt 21 Etappen sind ausgeschildert. Die Distanzen lassen sich aber auch individuell gestalten.

Auf der linken Rheinseite lockt der Rheinburgenweg: Das sind 200 Kilometer zwischen Bingen und Rolandseck. Gut 20 Schlösser, Burgen, Burgruinen und Festungen liegen am Wegesrand. Dazu kommen die immer wieder grandiosen Ausblicke ins Rheintal, etwa am "Günderodehaus" hoch über Oberwesel. Sieben Etappen sind es auf dem Abschnitt im Oberen Mittelrheintal zwischen Koblenz und Bingen.

4. Radeln am Fluss entlang 

Wer eine Radtour plant, aber weder ein E-Bike hat noch auf Bergetappen steht, ist im Mittelrheintal gut aufgehoben. Das Teilstück des Rhein-Radwegs von der Quelle bis zur Mündung ist zwischen Mainz und Bonn 160 Kilometer lang und ohne Anstiege zu beiden Seiten des Rheins befahrbar. Wer mit der Fähre übersetzt, kann auch eine Rundtour radeln und beide Perspektiven genießen. Wermutstropfen: Da das Mittelrheintal sehr eng ist, führt der Radweg oft neben stark befahrenen Bundesstraßen und der Bahnlinie entlang.

Windsurfer auf dem Rhein bei Lorch (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/chromorange | Karl-Heinz Sprembe)
Windsurfer auf dem Rhein bei Lorch

5. Viel Wasser, viele Schiffe

Kein See, schon gar kein Meer und dennoch: auch im schluchtartigen Mittelrheintal ist der Rhein eine großartige Wasserlandschaft, deren Weite man sich erst bewusst wird, wenn man den Strom auf einem Schiff befährt. Dann weht einem der Wind um die Nase, man sieht Segelboote, Kanu- und Kajakfahrer, sogar Windsurfer und es fühlt sich ein bisschen an wie Nordsee. Windsurfen ist in einem ausgeschilderten Bereich bei Lorch/Oberdiebach erlaubt, das Segeln überall.

Wer nicht selbst auf dem Wasser aktiv wird, kann auf einem Personenschiff an Bord gehen.

Insgesamt acht Schifffahrtsgesellschaften bieten in der Sommersaison mehrmals täglich Rund- oder Linienfahrten auf dem Mittelrhein an, zudem verbinden fünf Fähren die beiden Rheinseiten zwischen Bingen/Rüdesheim und Koblenz. Vom historischen Schaufelradschiff bis zum hochmodernen Flusskreuzer ist alles dabei.

6. Seltene Tiere und Pflanzen

Der Fluss durchschneidet hier das Rheinische Schiefergebirge. Dessen Gestein entstand vor 400 Millionen Jahren aus Meeresablagerungen. Nachdem das Meer vor 325 Millionen Jahren in Folge einer Erdplatten-Kollision verschwunden war, entstand eine Landschaft, in der der Rhein als Rinnsal vor rund 25 Millionen Jahren erschien. Seit 15 bis 20 Millionen Jahren nagt der Fluss am Fels und schneidet sich dabei immer tiefer ein. Im windgeschützten Tal wirkt der Strom als mächtiger Wärmespeicher, das Klima ist deshalb besonders angenehm und auch deutlich trockener als in den angrenzenden Gebieten. Dementsprechend kommen hier Tiere und Pflanzen aus südlichen Regionen vor.

Traubeneichenwälder gibt es, der Französische Ahorn, sonst vor allem im Mittelmeerraum und im Nahen Osten zuhause, wächst, Feigen und Kiwis gedeihen. Die Bopparder Schleifenblume findet sich nur hier.

Bopparder Schleifenblume (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / Hippocampus-Bildarchiv | Frank Teigler)
Die Bopparder Schleifenblume ist eine endemische Art, das heißt, die Pflanze ist in Boppard weltweit einmalig; sie gibt es nur hier in der Weinlage

Zur spezifischen Fauna gehören unter anderem die Smaragdeidechse, die Rotflüglige Ödlandschrecke, der Segelfalter und die Gottesanbeterin. Auf der Dörscheider Heide im Rhein-Lahn-Kreis kommen allein 600 Großschmetterlingsarten vor, darunter viele bundesweit extrem seltene und gefährdete Arten.

7. Route der Gärten: Heilkräuter, Rosen und Burgunderrebe

Das milde Klima kommt natürlich auch der Anlage von Gärten zugute. Eine auf Initiative des Zweckverbandes Welterbe Oberes Mittelrheintal entstandene Route lädt in 30 Gartenanlagen ein. Das reicht vom Heilkräutergarten auf dem Rochusberg in Bingen über den Botanischen Garten an der Marksburg, den Probsteigarten in Hirzenach bis zum Burgundergarten in der Burg Rheinstein.

8. Rheinromantik: Mit William Turners Augen

Neben Friedrich Schlegel, Clemens Brentano und Achim von Arnim erlebten und gestalteten vor allem britische Reisende und Künstler wie Lord Byron oder William Turner das Mittelrheintal im 19. Jahrhundert als Sehnsuchtsort. Bei Heinrich Heine wurde der verklärend-romantische Blick dann ironisch gebrochen.

Der Maler William Turner bereiste mehrfach die Region und war fasziniert von der Erhabenheit der Landschaft. Turner schuf zahlreiche Aquarelle, die zu den wichtigsten Kunstwerken der Rheinromantik zählen. Seinen Fußstapfen kann man auf der "William Turner Route" folgen. Insgesamt 26 Standorte mit begehbaren Infotafeln zwischen Koblenz und Bingen markieren wichtige Stationen auf der Reise Turners. Man kann sich genau an die Punkte stellen, von denen aus Turner seine jeweiligen Motive zeichnete.

9. Städte, in denen deutsche Geschichte erfahrbar ist

Bacharach, Boppard, Bingen, St.Goar, um nur einige zu nennen: Die Städte im Mittelrheintal haben es an hautnah spürbarer Geschichte in sich. Stadtmauern mit Wehrgängen und Türmen, verwinkelte Gassen, Fachwerkhäuser, kunsthistorisch bedeutsame Kirchen. Wer das Mittelalter sucht, kann es hier finden.

Auch die düsteren Seiten der deutschen Geschichte: So erinnert die Werner-Kapelle in Bacharach an ein Pogrom im 13. Jahrhundert. Der hochgotische Zentralbau wurde anlässlich der Ermordung eines Knaben namens Werner aus Oberwesel errichtet. Sein Tod wurde ohne jeden Beweis der jüdischen Gemeinde angelastet. Deren Mitglieder wurden daraufhin verfolgt und viele getötet. Viele jüdische Gemeinden am Mittelrhein wurden zerstört. Es entstand ein Werner-Kult. Erst 1963 wurde Werner aus dem Heiligenkalender der Diözese Trier gestrichen. Heinrich Heine griff das historische Ereignis in seiner Erzählung "Der Rabbi von Bacharach" auf.

Bacharach am Rhein (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Boris Roessler)
Bacharach am Rhein

Im Mittelrheintal findet sich auch die kleinste Stadt von Rheinland-Pfalz: Kaub. Etwa 860 Einwohner zählt der Ort, bekannt durch die mitten im Rhein gelegene Burg Pfalzgrafenstein. In Kaub ereignete sich im 19. Jahrhundert auch eine Katastrophe, die gemahnt, wie gefährdet das Leben in einem engen, felsigen Flusstal sein kann. 1876 kamen bei einem Felssturz 26 Menschen ums Leben. Anhaltender Starkregen bildete Druck im Berginneren. Geröll löste sich auf einer Breite von rund 80 Metern und verschüttete mehrere Häuser.

Nach dem Ersten Weltkrieg ließen die Alliierten rechtsrheinisch einen schmalen, geschwungenen Streifen unbesetzt. Das Gebiet, auf dessen Fläche Kaub lag, verwaltete sich von 1919 bis 1923 selbst und nannte sich ironisch "Freistaat Flaschenhals", da es auch vom übrigen Deutschland isoliert war. Der Freistaat musste sogar eigenes Geld drucken. Inzwischen wird er touristisch wiederbelebt.

10. Wo der Wein an Abgründen und auf einer Insel wächst

Vier Weinbaugegenden vereint das Welterbe Oberes Mittelrheintal. Die Weine reifen hier überwiegend in schwindelerregenden Steillagen, was sehr arbeitsaufwändig ist. Dadurch bedingt geht die Anbaufläche zurück. Doch die steilen Flanken voller Reben und die terrassierten Hänge prägen das Bild des Mittelrheintals nach wie vor ebenso wie die bewaldeten Felsrücken mit ihren Burgen. Die kargen Tonschieferböden in den Steillagen, die Temperatur ausgleichende Wasseroberfläche des Rheins und der niedrige Ertrag sind laut Deutschem Weininstitut die Grundlagen für die Spitzenqualität der Weine am Mittelrhein. Vor allem der Riesling findet hier ideale Wachstumsbedingungen.

Die Rheininsel bei Bacharach (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Andreas Arnold)
Die Rheininsel bei Bacharach, wo Wein angebaut wird

Aber nicht nur an den Steilhängen des Tales wird Wein angebaut, sondern auch auf einer Insel. Seit mehr als 200 Jahren ist die Rheininsel Heyles'en Werth vor Bacharach im Eigentum einer Winzerfamilie. 800 Meter lang und 150 Meter breit ist das Eiland. 1976 ging es in die Filmgeschichte ein. Wim Wenders drehte dort Szenen für sein Werk "Im Lauf der Zeit". Es gibt nur zwei "Weininseln" im Rhein. Die andere ist die Mariannenaue gegenüber Hattenheim im Rheingau.

Lahnstein

Tausende Lichter an verschiedenen Bauwerken Lichtspektakel Rheinleuchten lässt Oberes Mittelrheintal erstrahlen

Ab Mittwochabend hat das Lichtspektakel Rheinleuchten im Oberen Mittelrheintal begonnen. Dabei erstrahlen wieder verschiedene Gebäude farbenprächtig. Im vergangenen Jahr fiel das Spektakel wegen Corona aus.

Stand
AUTOR/IN
SWR