Ein Gaffer macht mit seinem Smartphone Bilder von einer Unfallstelle. In Mainz wurden nach einem tödlichen Unfall Bilder und Videos von einem der Opfer gemacht und ins Netz gesetellt. Die Polizei ermittelt.

Ergötzen am Leid der Anderen

Fotografieren, Filmen, Hochladen: Diese Strafen erwarten Gaffer

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Fridolin Skala
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Bei Unfällen in Rheinland-Pfalz kommt es immer wieder vor, dass Gaffer Einsatzkräfte behindern. Das ist strafbar, wird aber selten geahndet. Wichtige Fragen und Antworten im FAQ:

In Mainz fährt am Mittwochabend ein Auto in zwei Menschen, die eine Straße überqueren. Ein 55-jähriger Mann stirbt, seine 41-jährige Begleiterin wird schwer verletzt in die Uniklinik gebracht. Nach dem Unfall machen Unbekannte Fotos und Videos von den Opfern und verbreiten diese in sozialen Medien. Laut Polizei filmen sie auch dann noch, als Einsatzkräfte den Unfallort erreichen und die Unfallstelle abschirmen - und auch, als versucht wird, den Mann wiederzubeleben.

Doch welche Folgen hat Gaffen für Opfer und Hinterbliebene? Wie behindert es Rettungskräfte? Welche Strafen erwarten Gaffer? Und was unternehmen Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte dagegen? Ein FAQ:

Gaffen: Hat das Phänomen zugenommen?

Berichte über Schaulustige, die aus Sensationslust Unfallopfer filmen oder fotografieren oder die durch ihr Gaffen Einsatzkräfte behindern, gibt es zuhauf - und längst nicht alle Fälle landen in den Pressemeldungen der Polizei. Doch wird heute mehr gegafft als noch vor einigen Jahren?

Nach Angaben der fünf Polizeipräsidien in Rheinland-Pfalz werden Einsätze mit Gaffer-Bezug nicht statistisch erfasst. Zwar könnten vermutlich alle Beamtinnen und Beamten aus dem Stegreif Fälle nennen, ob es aber zu einer Zunahme von Einsatzmaßnahmen gegen Gafferinnen und Gaffer gekommen sei, lasse sich zahlenmäßig nicht valide erheben.

Daten zur Situation fehlen deutschlandweit, doch eine aktuelle Studie des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) kommt anhand von Interviews mit Einsatzkräften zu dem Ergebnis, dass das Phänomen in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Ein Grund ist demnach "die ständige Verfügbarkeit kamera- und internetfähiger Smartphones" und eine gesunkene Hemmschwelle "das Handy zu zücken und zu fotografieren". Je spektakulärer ein Einsatz sei - etwa weil Rettungshubschrauber eingesetzt würden - desto häufiger werde gegafft.

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Gaffer filmten Unfall mit Handy Nach Unfall auf A6 bei Landstuhl: Polizei geht gegen Gaffer vor

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So verletzten Gaffer Persönlichkeitsrechte und behindern Rettungskräfte

Die Folgen des Gaffens sind vielfältig. Betroffene berichten häufig, das Gefilmt- oder Fotografiertwerden verstärke das Gefühl der Hilflosigkeit. Oft landen die Bilder oder Videos - wie im eingangs geschilderten Mainzer Fall - zudem in Chats oder sozialen Medien. Das kann die Unfallopfer und ihre Angehörigen traumatisieren - auch im Nachhinein.

Ersthelferinnen und -helfer oder professionelle Einsatzkräfte werden durch Gafferinnen und Gaffer zudem immer wieder in ihrer Arbeit behindert. Das kann einerseits dadurch passieren, dass sie wegen fehlender Rettungsgassen nicht oder viel zu spät zur Unfallstelle kommen.

Kommt es nach einem Unfall zum Stau, muss eine Rettungsgasse gebildet werden. Dabei gilt: Fahrzeuge auf der linken Spur fahren an den linken Fahrbahnrand. Autos auf anderen spuren fahren nach rechts. So können Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst zur Unfallstelle fahren.

In der DRK-Studie schildern die Rettungskräfte andererseits auch, dass Gafferinnen und Gaffer für ein "gutes Bild" möglichst nahe herankommen wollen. Dafür werde über oder sogar in geöffnete Notfallkoffer gestiegen. Aufforderungen aufzupassen und sich zu entfernen wird demnach mit Unverständnis begegnet.

Auch die Polizei berichtet immer wieder von Autofahrerinnen und -fahrern, die bei Unfällen auf Autobahnen filmend an Absperrungen vorbei bis in die Unfallstelle fahren. So geschehen etwa bei einem schweren Unfall im Mai auf der A3 bei Montabaur: Dort krachten mehrere Lkw ineinander. Einer der Fahrer wurde schwer verletzt mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen. Den gesamten Tag über kam es noch zu langen Rückstaus - auch weil Gafferinnen und Gaffer die Aufräumarbeiten behinderten. Laut Polizei filmten sie im Vorbeifahren und fuhren teilweise sogar in die Unfallstelle hinein, um besser filmen zu können.

Rückstaus durch Gaffer verursachen oft schlimme Auffahrunfälle

Diese Rückstaus durch Langsamfahrer, die möglichst gute Bilder und Videos von der Unfallstelle bekommen wollen führen nicht selten zu neuen Auffahrunfällen. Darauf angesprochen heißt es von der Polizei, gerade am Stauende komme es zu schlimmen Bildern - etwa wenn ein 40-Tonner in ein stehendes Familienauto krache und daraus dann Leichen geborgen werden müssten.

Doch schränkt ein Sprecher des Mainzer Polizeipräsidiums ein, man dürfe langsam fahrende Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer nicht vorschnell verurteilen: "Der Ziehharmonikaeffekt auf einer Autobahn kann den Eindruck vermitteln, dass Hunderte gaffen, obwohl nur einer die Geschwindigkeit reduziert hat."

Strafen für Gaffer: viele Möglichkeiten, schwierige Umsetzung

Gafferinnen und Gaffer können sich auf vielfältige Weise strafbar machen. Seit einer Verschärfung des Strafgesetzbuches (StGB) 2021 sieht etwa der Paragraph 201a eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe für Personen vor, die hilflose, verletzte oder tote Menschen fotografieren, filmen oder die Aufnahmen weiterleiten. Der Paragraph 323c sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe vor, wenn in Notfällen eine Person behindert wird, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

Darüber hinaus gibt es viele weitere Maßnahmen, um Menschen vom Gaffen abzuhalten oder ihr Verhalten mit hohen Geld- bzw. Haftstrafen zu ahnden:

Doch nicht immer können Polizistinnen und Polizisten die Strafverfolgung gegen Gafferinnen und Gaffer sofort aufnehmen. Aus dem Polizeipräsidium Koblenz heißt es, in der Regel steht "die eigentliche Einsatzbewältigung im Vordergrund und eine konsequente Verfolgung ist nur bedingt oder erst im Nachgang möglich".

Das bedeutet, dass die Polizei zuerst mit dem Absichern des Unfallortes und der Erstversorgung von Verletzten beschäftigt ist, bevor etwa gegen vorbeifahrende Gafferinnen und Gaffer vorgegangen werden kann. Das sei auch eine Frage des verfügbaren Personals, heißt es aus dem Mainzer Präsidium.

Dass Gafferinnen und Gaffer nur selten belangt werden, bestätigt auch eine Nachfrage bei der zentralen Bußgeldstelle in Speyer. Von einem Mitarbeiter dort heißt es, Bußgelder wegen Gaffens würden kaum verhängt.

Stellwände und QR-Codes: Maßnahmen gegen Gaffer

Ein anderer Ansatz im Kampf gegen Gaffer ist, ihnen die Möglichkeit zu nehmen, überhaupt etwas zu filmen oder zu fotografieren. Mittlerweile verfügen die Feuerwehren und Straßenmeistereien im Land über mobile Sichtschutzwände, die den Blick auf Einsatzstellen verhindern sollen. Solche Wände stehen jedoch nicht immer rechtzeitig zur Verfügung, um Unfallopfer vor neugierigen Blicken und Handykameras zu schützen.

Einen anderen Weg geht die Johanniter-Unfall-Hilfe. Seit 2021 wurden bundesweit mehr als 34 Rettungswagen mit großflächigen QR-Codes bedruckt. Taucht der Wagen vor eine Handykamera auf, ploppt mitten im Bild ein Link auf. Wer darauf klickt, landet auf einer Website, auf der groß "Achtung! Gaffen tötet!" steht, sowie Hinweise zum Verhalten an Unfallstellen.

Ein Rettungssanitäter steht vor einem RTW. Mehr als 30 Rettungswagen (RTW) der Johanniter sind großflächig mit QR-Codes bedruckt, die die Kamera von Gaffern direkt zu einer Website weiterleitet auf der steht: "Achtung! Gaffen tötet!"
Die Johanniter versuchen über QR-Codes auf Rettungswagen, ein Bewusstsein für die Folgen des Gaffens zu schaffen. Bild in Detailansicht öffnen
Mehr als 30 Rettungswagen (RTW) der Johanniter sind großflächig mit QR-Codes bedruckt, die die Kamera von Gaffern direkt zu einer Website weiterleitet auf der steht: "Achtung! Gaffen tötet!"
Das Smartphone reagiert auf den QR-Code: Wer dem angezeigten Link folgt, landet auf der Seite gaffen-toetet.de. Bild in Detailansicht öffnen

In Rheinland-Pfalz sind jedoch - anders als in Baden-Württemberg - noch keine dieser Wagen im Einsatz. Derzeit befinde sich das Projekt noch in einer Pilotphase. Die Standorte in Rheinland-Pfalz hätten die vorgegebenen Kriterien nicht erfüllt, heißt es von den Johannitern. Zu den Kriterien bei der Auswahl der Rettungswachen zählten beispielsweise eine möglichst hohe Anzahl an durchgeführten Fahrten oder deren Nähe zu Autobahnen und Städten.

Die wissenschaftliche Auswertung einer begleitenden Studie läuft noch. Analysiert werden Protokolle aus den Rettungseinsätzen, Seitenaufrufe, die durch den QR-Code generiert wurden sowie Interviews mit Rettungsdienst-Mitarbeitenden. Ergebnisse waren für Mitte 2023 anvisiert, deren Präsentation hat sich inzwischen aber auf das erste Quartal 2024 verschoben. Danach soll entschieden werden, ob das Projekt ausgebaut wird.

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