Bildmontage: Ausreißer-Kind mit Schriftzug Interview

Expertin vom Kinderschutzbund Trier

Warum Kinder von zu Hause weglaufen und wie Eltern damit umgehen sollten

Stand
AUTOR/IN
Lena Bathge

Immer wieder laufen Kinder und Jugendliche von zu Hause weg. Warum die Kinder ausreißen und wie Eltern damit umgehen sollten, weiß Corinna Engelmann vom Kinderschutzbund Trier.

Erst vor wenigen Wochen sorgte der Fall zweier vermisster Mädchen aus Aach im Landkreis Trier-Saarburg für viel Aufsehen in der Region. Die beiden Mädchen im Alter von zwölf und fünfzehn Jahren tauchten erst mehrere Wochen später in Trier wieder auf. Beiden ging es nach Angaben der Polizei gut.

Corinna Engelmann ist Geschäftsleiterin des Kinderschutzbundes Trier und erlebt tagtäglich, mit welchen Problemen und Herausforderungen Kinder und Jugendliche zu kämpfen haben. Aus ihrer Erfahrung in den Beratungsstellen des Kinderschutzbundes weiß sie, warum Kinder und Jugendliche von zu Hause weglaufen und wie Eltern in einem solchen Fall am besten reagieren.

SWR Aktuell: Warum laufen Kinder und Jugendliche weg?

Corinna Engelmann: Die Ursachen für das Weglaufen sind sehr verschieden, sehr vielfältig und auch unterschiedlich schwerwiegend. Häufig sind die Probleme oder die Ursachen innerhalb der Familie zu finden. Das heißt, in der Beziehungen der Jugendlichen zu den Eltern. In der Zeit, in der die Kinder heranwachsen, sind sie sehr emotional und wollen auch mehr Freiräume. Es kommt dann schnell zu starken Autonomie-Konflikten, wo die Kinder sich schon sehr reif finden und das Gefühl haben, sie wollen ihr eigenes Leben leben. Da müssen Eltern entspannter reagieren und mit viel Verständnis.

Das gelingt natürlich im Alltag nicht immer und kann auch in das andere Extrem umschlagen. Also dass die Eltern starke Sanktionen veranlassen, zum Beispiel Hausarrest. Dann braucht es nur einen kleinen Auslöser und die Kinder haben das Gefühl, sie halten das nicht mehr aus.

Fehlendes Vertrauen in die Eltern ist häufige Ursache

SWR Aktuell: Es gibt aber auch schwerwiegendere Gründe.

Corinna Engelmann: Genau, manchmal ist das Weglaufen ein Indiz dafür, dass die Kinder Angst vor ihrem Zuhause haben. Dass die Kinder psychische oder körperliche Gewalt erfahren. Es können aber auch Suchtprobleme innerhalb der Familie sein oder psychische Belastungen. Manchmal kommen die Auslöser aber auch von außen und nicht aus der Familie. Zum Beispiel wird in der Schule gemobbt, oder die Jugendlichen haben ihren ersten Liebeskummer. Aber alle Ursachen haben letztendlich einen gemeinsamen Nenner, nämlich dass die Kinder einfach zu wenig Vertrauen zu ihren Eltern haben.

Kinder und Jugendliche sind oft gut vernetzt

SWR Aktuell: Wo kommen diese Kinder und Jugendlichen nachdem sie abgehauen sind unter?

Corinna Engelmann: Die Jugendlichen sind in der Regel - auch über die sozialen Netzwerke - schon sehr gut vernetzt. Die haben ihren Freundeskreis, bei dem sie unterkommen können und werden da quasi so ein bisschen weitergereicht. Aber man muss immer bedenken: Wenn Kinder oder Jugendliche weglaufen, machen sie das meistens aus Verzweiflung und ohne großartige vorherige Planung.

Und dieser Mensch stellt natürlich auch irgendwann fest, dass das Weglaufen nicht die Lösung sein kann. Und natürlich vermisst der junge Mensch sein gewohntes Umfeld, auch seine Familie, seine Freunde, die Schule, seine Freizeit. Und das führt dann häufig dazu, dass sie von selbst nach Hause zurückkehren. Statistisch kommen etwa 98 Prozent der vermissten Kinder und Jugendlichen wieder zurück.

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SWR Aktuell: Macht es da einen Unterschied, ob die Kinder und Jugendlichen aus dem Elternhaus oder einer Einrichtung abhauen?

Corinna Engelmann: Ja, da lauern andere Gefahren. Hier darf man allerdings auch nicht unterschätzen, wie groß der Wunsch ist, wieder Kontakt zu den Eltern zu haben. Das heißt, die Kinder versuchen oft von den Einrichtungen aus wieder zu ihren ihren Eltern oder zu anderen Familienangehörigen zurückzukehren. Da kann es passieren, dass sie sich auf dem Weg dorthin am Ende abends irgendwo auf Bahnhöfen herumtreiben oder in Unterführungen und da eventuell tatsächlich auch in Schwierigkeiten geraten.

SWR Aktuell: Wie versorgen sich die Kinder und Jugendlichen in dieser Zeit?

Corinna Engelmann: Da finden die Kinder und Jugendlichen auch ihre Möglichkeiten und wenn sie eben die Leute ansprechen und fragen, hast du mal einen Euro? Sie ernähren sich dann natürlich nicht gesund, finden aber ihre Mittel und Wege, sich da durch zu schlagen. Da fehlt es nicht an Kreativität.

Beratungsstellen helfen bei Rückkehr in die Familie

SWR Aktuell: Und wie kommt man als Kind oder jugendlicher Mensch aus dieser Situation wieder heraus?

Corinna Engelmann: Es gibt ganz viele Beratungsstellen und Hilfsangebote, man muss sie nur kennen. Wir haben zum Beispiel im Kinderschutzbund auch die Nummer gegen Kummer angebunden. Das ist eine bundesweite Hotline, die eigentlich immer besetzt ist, wo man anrufen kann, wo man anonym ist, wo wirklich sehr geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Telefonen sitzen und dann erst einmal zuhören. Zuhören ist ganz, ganz wichtig, dass man es ernst nimmt und dann auch eventuell Lösungen anbieten kann.

SWR Aktuell: Wie sollten Eltern reagieren, wenn ein Kind weg läuft?

Corinna Engelmann: Also natürlich erst mal Ruhe bewahren und selbstverständlich die Polizei alarmieren. Und dann sollten Eltern direkt aktiv die sozialen Netzwerke des Kindes kontaktieren und dabei auch die Botschaft vermitteln, wir vermissen dich, wir sind froh, wenn du wieder da bist, wir nehmen deine Probleme ernst und zeigen Verständnis dafür. Und wichtig ist auch, dass es keine Strafen geben wird und dass man sich Hilfe sucht.

Externe Hilfe, denn meistens ist man ja in diesem Teufelskreis drin. Da gibt es Beratungsstellen vonseiten der katholischen Kirche oder bei uns, dem Kinderschutzbund Trier. Wenn es allerdings eine problembelastete Familie ist, wo zum Beispiel Gewalt herrscht oder auch ein Suchtproblem, dann ist das Jugendamt auch schon mit eingeschaltet. Darüber kommt dann eine sozialpädagogische Familienhilfe, die die Familie eine Zeit lang begleitet.

SWR Aktuell: Was passiert, wenn das Zusammenleben dauerhaft nicht funktioniert?

Corinna Engelmann: Dann wird natürlich geschaut, ob das Kind in einer Einrichtung besser untergebracht ist. Nur wenn alle anderen Maßnahmen, also Psychologinnen und Psychologen oder auch Beratungsstellen einfach keine Besserung bringen, kommt es zu diesem Schritt. In der Regel funktioniert aber die Beratung schon sehr gut, solange auch die Bereitschaft von allen da ist. Wir konnten beim Kinderschutzbund auch feststellen, dass gerade von suchtbelasteten oder psychisch belasteten Familien das Beratungsangebot unglaublich gut angenommen wird.

Es müsste aber eigentlich noch viel mehr Angebote geben, denn wir sehen ganz klar, durch Corona und auch die aktuellen hohen finanziellen Belastungen, dass der Druck auf Familien unglaublich angewachsen ist. Der Bedarf an Beratungen ist enorm gestiegen, parallel zur Gewalt an Kindern, die in den letzten Jahren seit Beginn der Coronapandemie um 20 Prozent angestiegen ist.

Forderung nach mehr finanziellen Mitteln

SWR Aktuell: Was wünschen Sie sich dahingehend von Seiten der Politik?

Corinna Engelmann: Dass wir, also diese ganzen sozialen Institutionen, einfach erst einmal mehr und besser von der Politik gehört werden. Wir als Kinderschutzbund Trier würden aufgrund der hohen Nachfrage gern eine zweite Beratungsstelle anbieten. Wir können diese jedoch nicht finanzieren, weil zum Beispiel auch von Seiten der Stadt und des Landkreises zu wenige Gelder bereitgestellt werden. Es müsste also eigentlich noch viel mehr in der Familienhilfe passieren und es müssten auch viel mehr Gelder dafür bereitstehen.

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