Aloysius Söhngen, Vorsitzender Gemeinde und Städtebund RLP hat Verständnis für den Rücktritt der Gemeindespitze in Freisbach gezeigt. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow)

Interview: Protest gegen Finanzpolitik des Landes Rheinland-Pfalz

Gemeinde- und Städtebund RLP: Rücktritt in Freisbach nachvollziehbar

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Jonathan Hadem
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In Freisbach treten Rat und Bürgermeister aus Protest zurück. Andere Gemeindespitzen sollten nicht folgen, sagt Aloysius Söhngen, Vorsitzender des Gemeinde- und Städtebundes RP, im SWR-Interview.

SWR Aktuell: Fritz Brechtel, Landrat im Kreis Germersheim, sagt als Reaktion auf den Rücktritt in Freisbach, das Land müsse den Kommunen mehr Geld geben. Alles andere sei "Wunschdenken" und "Nebelkerzenwerferei". Herr Söhngen, stimmen Sie Herrn Brechtel zu, dass das Land zuständig ist und Geld an die Kommunen ausschütten müsste?

Aloysius Söhngen: Wir halten den kommunalen Finanzausgleich für unterfinanziert. Auch die Neuregelung des kommunalen Finanzausgleichs hat hier keine Lösung gebracht. Wir haben weiterhin über 1.000 Ortsgemeinden in Rheinland-Pfalz, die keinen ausgeglichenen Haushalt haben - und das ist ein deutliches Zeichen, dass hier etwas nicht stimmt.

"Ein deutliches Zeichen, dass hier etwas nicht stimmt."

SWR Aktuell: Das heißt, der kommunale Finanzausgleich müsste eigentlich reformiert werden. Wie könnte das denn gehen?

Söhngen: Zunächst einmal muss das Land mehr Geld dafür geben. Der kommunale Finanzausgleich wird ja aus den Steuermitteln des Landes finanziert, teilweise über die Finanzausgleichs-Umlage, teils auch über diejenigen Kommunen, die wesentlich mehr Geld haben. Aber in diesen Topf muss einfach mehr hinein, denn die Ausgabenseite ist in den letzten Jahren deutlich explodiert. Die Reform des Finanzausgleichs ist noch kein Jahr alt. Aber diese Reform basiert eigentlich auf Daten, die vor 2019 liegen. Und da hat sich die Welt noch einmal verändert.

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SWR Aktuell: Jetzt könnten die Kommunen und Städte ihren Teil dazu beitragen und möglicherweise auch Steuern erhöhen. Warum sträuben Sie sich so sehr dagegen?

Söhngen: Viele Gemeinden haben in den letzten Jahren schon ihre Steuern erhöht. Wir haben die Gewerbesteuer, wir haben die Grundsteuern A und B. Insbesondere die Grundsteuer ist in den letzten Jahren schon erhöht worden. Aber um dort Haushalte auszugleichen, müssen sie zum Teil die Grundsteuer-Hebesätze verdoppeln, verdreifachen und vervierfachen. Das ist sicherlich ein starker Fluchtort. Bei der Gewerbesteuer können Sie wesentlich weniger handeln, weil das ja auch eine „Konkurrenzsteuer“ ist. Viele Kommunen fürchten dann die Abwanderung von Unternehmen.

SWR Aktuell: Es geht ja vielen Kommunen in Rheinland-Pfalz so wie Freisbach. Die Schulden haben sich über viele Jahre angehäuft. Außerdem müssen sie Umlagen an die jeweilige Verbandsgemeinde und die Kreisverwaltung zahlen. Was genau läuft da dann schief, wie könnte man es ändern?

"Permanent neue Ansprüche, die an den Kommunen hängenbleiben."

Söhngen: Dieser Zusammenhang zwischen Kreis, Verbandsgemeinde und Ortsgemeinde sollte und muss weiter bestehen bleiben, weil wir eine kommunale Familie sind und zum Teil ja auch gemeinsam Aufgaben zu erledigen haben. Aber der Punkt ist: Es kommt von außen. Wir formulieren permanent neue Rechtsansprüche, zum Beispiel im Bereich der Kindertagesstätten, im Bereich der Ganztagsbetreuung, der Schulen. Und letztlich bleiben diese Aufgaben an der kommunalen Familie hängen, sei es am Kreis als Schulträger der weiterführenden Schulen, sei es bei den Verbandsgemeinden als Träger der Grundschulen, oder sei es bei den Ortsgemeinden als Träger der Kindertagesstätten. Jetzt sammelt sich auf der Ausgabenseite etwas an, das nicht entsprechend dem Konnexitätsprinzip „wer bestellt, bezahlt“ ausgeglichen wurde seitens des Landes, das auch hier hierfür geradestehen muss. Und es leugnet: Das, was der Bund beschließt, das beschließt das Land im Bundesrat mit. 

SWR Aktuell: Lassen Sie uns zum Schluss noch einmal auf Freisbach gucken: Der Ortsbürgermeister ist zurückgetreten - und der komplette Gemeinderat. Da ist die Hoffnung groß, dass andere Städte und Gemeinden dem Vorbild nachkommen werden und es ebenfalls so tun. Glauben Sie denn, dass das eintreten wird?

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Söhngen: Zurzeit ist relativ großer Unmut in den Ortsgemeinden des Landes. Ich hatte schon gesagt, wir haben 1.000 Gemeinden mit unausgeglichenem Haushalt. Überall dort ist aus Sicht des Landes Steueranhebungsbedarf. Ich hoffe allerdings nicht. Es mag ein Weckruf sein, wenn eine Gemeinde das macht. Aber es ist keine Lösung, dass wir dafür dann unser lokalen Gremien aufgeben und die eigentliche Bestimmung über das ordentliche Geschehen an den Staat übergeben.

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