Volles Wartezimmer einer Arztpraxis

Bürokratie, Belastung, Budgets

Großer Frust bei jungen Ärztinnen und Ärzten in RLP

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Autor/in
Tim Stobbe
Tim Stobbe ist Redakteur bei SWR Aktuell in Rheinland-Pfalz

Volle Wartezimmer, kaum Zeit für Patientinnen und Patienten und hoher wirtschaftlicher Druck. Der Frust ist groß bei Ärztinnen und Ärzten in den Praxen in Rheinland-Pfalz.

"Wir sind überlaufen", sagt Dr. Ulrich Rohsbach aus Oppenheim. "Aktuell kommen dazu noch viele Patienten mit Infekten. Wir werden der Masse der Patienten kaum gerecht." Dabei möchten Rohsbach und seine niedergelassenen und angestellten Kolleginnen und Kollegen die Menschen, die zu ihnen kommen, anständig behandeln. Doch dafür fehle die Zeit.

Wir haben in Deutschland sechs bis sieben Minuten pro Patienten Zeit. Da haben wir oft nicht genügend Zeit, uns die Sorgen und Probleme der Patienten ausreichend anzuhören.

"Das Wartezimmer ist immer voll"

Simon Carlino ist angestellter Arzt in einer Praxis in Saulheim - und macht ganz ähnliche Beobachtungen: "Die Arbeit ist sehr straff getaktet, das Wartezimmer ist immer voll." Zudem gebe es immer mehr Patienten mit psychischen Problemen und Erkrankungen, die längere Gespräche und Behandlungen erforderten. Zeit, die im derzeitigen abrechenbaren System nicht vorgesehen ist.

Die knappe Behandlungszeit pro Patient ergibt sich nicht bloß durch die schiere Masse an Menschen, die behandelt werden möchte - sondern auch durch wirtschaftliche Zwänge: Die Geldtöpfe für ärztliche Behandlungen sind gedeckelt, erklärt Rohsbach. Ist der Topf ausgeschöpft, arbeite der Arzt oder die Ärztin im Grunde ohne Bezahlung. Außerdem laufe das Abrechnungssystem über Pauschalen, die zum Beispiel pro Quartal und Patient abgerechnet wird. Komme dieser Patient häufiger im Quartal, wie das bei älteren Menschen und chronisch Kranken oft der Fall sei, werde es eng, so Rohsbach. In der Corona-Zeit zum Beispiel sei es mit dieser Art der Finanzierung für Praxen existenzbedrohend geworden.

Fast die Hälfte aller Hausärzte in RLP geht bald in Ruhestand

In den kommenden Jahren wird sich das Problem verschärfen: Rund 45 Prozent der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Rheinland-Pfalz sind laut Hausärzteverband älter als 60 Jahre. Gehen sie in den Ruhestand, hinterlassen sie oft eine Lücke. Dem gegenüber stehen mit der alternden Baby-Boomer-Generation viele Menschen, die immer älter werden - und das meist nicht gesund, sondern mit immer komplexeren Krankheitsgeschichten.

Daher bräuchte es mehr junge Medizinerinnen und Mediziner, die übers Land verteilt in den Praxen die Menschen versorgen. Dr. Barbara Römer, Erste Vorsitzende des Hausärzteverbands in Rheinland-Pfalz, macht da aber eine weitere, besorgniserregende Beobachtung.

Junge Ärzte fliehen regelrecht aus der Klinikarbeit.

Junge Ärzte sind ambitioniert - dann kommt die Realität

"Sie fliehen vor hoher Arbeitsbelastung, Schichtarbeit und Druck", erklärt Römer. Sie kämen mit großen Hoffnungen in die ambulante Praxisarbeit: "Um das zu tun, weshalb sie Mediziner geworden sind", sagt Römer. Sie wollten sich Zeit nehmen für die Menschen, in Kontakt mit ihnen kommen. Doch in der Realität träfen sie dann auf die administrative Arbeit einer Praxis, die Abrechnung, die Bürokratie und den Druck der Wirtschaftlichkeit.

Ähnlich geht es Carlino. Er hat in einer Klinik gearbeitet, wollte sich als niedergelassener Arzt selbständig machen. Während seiner Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin lernt er den Alltag in der Praxis kennen. "Als Vater einer jungen Familie kommen einem da Zweifel", sagt er.

Wie könnte ein Ausweg aussehen?

Es bräuchte mehr Geld im System, sagt Römer. Das käme entweder über höhere Beiträge, vom Staat - oder indem das vorhandene Geld effizienter genutzt werde, erklärt sie. "Jeder Bürger bei uns hat im Schnitt 1,3 Ärzte. Das ist ineffizient. Jeder geht selbst los zum Haus- und Facharzt." Würden die Menschen nicht direkt die Fachärzte aufsuchen, sondern konsequent über Hausarztpraxen geschickt werden, ließen sich Zeit und Geld sparen, so Römer.

Da das wiederum mehr Aufwand für Hausarztpraxen bedeute, bräuchte es dort mehr Teamarbeit und weniger Zentrierung auf den Arzt, sagt Römer: "Wir müssen Aufgaben in den Praxen an nichtärztliches Personal delegieren können." Als Beispiele nennt sie administrative Aufgaben oder Routinekontrollen bei chronisch Kranken wie Diabetes-Patienten. Diese kämen regelmäßig zur Kontrolle - und die Blutwerte könne auch entsprechend geschultes, nicht-ärztliches Personal kontrollieren. Wenn dabei etwas auffällig wäre, könne sich immer noch der Arzt oder die Ärztin einschalten. So hätten Ärzte und Ärztinnen mehr Zeit für die Behandlung anderer Patienten.

Weitere Möglichkeiten, die Situation für die Praxen zu verbessern, sieht der Kassenärztliche Bundesverband in der Politik. Der Verband fordert unter anderem, dass bei der Finanzierung der ärztlichen Leistungen Kostensteigerungen und Inflation berücksichtigt, gedeckelte Budgets für Behandlungen abgeschafft und Bürokratie abgebaut werden. Das sei notwendig, damit künftige Generationen bereit seien, ambulante Praxen zu übernehmen oder zu gründen. Was auch aus Sicht von Barbara Römer unerlässlich ist: "Die freiberuflichen Mediziner mit ihren Teams sind die beste Versorgung für die Menschen vor Ort."

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