Delegierte halten auf dem Landesparteitag der rheinland-pfälzischen AfD Stimmzettel hoch (Archivbild). (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Harald Tittel)

Mainzer Politologe Arzheimer im Interview

Zehn Jahre AfD: "Der Umgangston ist sehr viel rauer geworden"

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INTERVIEW
Frederik Merx

Vor zehn Jahren wurde die Alternative für Deutschland (AfD) gegründet - 2016 zog sie in den rheinland-pfälzischen Landtag und den Bundestag ein. Wie sich die Politik seither verändert hat, erklärt der Mainzer Politologe Kai Arzheimer.

SWR Aktuell: Wie hat sich die AfD in den Parlamenten auf die anderen Parteien ausgewirkt?

Kai Arzheimer: Die AfD in den Parlamenten hat dazu geführt, dass der Umgangston sehr viel rauer geworden ist. Die AfD hat eine Sprache in die Parlamente gebracht, die vorher als unparlamentarisch galt. Und vor allen Dingen hat sich der Umgang zwischen den Parteien verändert, der gerade in den Landtagen sonst sehr kollegial ist. Aber durch diese zunehmende Radikalisierung der AfD konnte man irgendwann nicht mehr mit den neuen Kolleginnen und Kollegen sprechen.

SWR Aktuell: Würden Sie sagen, dass es in den letzten zehn Jahren zu einer Radikalisierung der AfD kam?

Arzheimer: Das ist völlig klar. Das fing spätestens 2015 oder 2016 an, mit dem Umbau zu einer Partei, die vor allen Dingen islam- und zuwanderungskritisch ist und immer mehr Brücken in das rechtsextreme Lager hinein baut.

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SWR Aktuell: Wenn Sie sagen, der Umgangston hat sich verändert, haben Sie da Beispiele?

Arzheimer: Im Reichstag in Berlin ist es zum Beispiel so, dass man nach einer Ausschusssitzung mal essen gegangen oder ein Bier trinken gegangen ist - zusammen über Fraktionsgrenzen hinweg. Das ist mit der AfD überhaupt nicht möglich. Und es wird auch auf der Mitarbeiterebene berichtet, dass es Konflikte gibt: Zwischen der AfD-Fraktion auf der einen Seite, den anderen Fraktionen auf der anderen Seite.

SWR Aktuell: Wenn man betrachtet, wie die anderen Parteien versuchen mussten, ihr politisches Profil zu verändern, um zu reagieren - mit besonderem Blick auf die CDU - wie hat sich das ausgewirkt?

Arzheimer: Es hat sich auf der Landes- und Bundesebene relativ gering ausgewirkt, weil die CDU klug genug war, zu erkennen, dass es ihnen nichts bringen würde, jetzt die AfD-Diktion und das AfD-Programm zu kopieren. Es hat vielleicht sogar zu einer gewissen strategischen Mäßigung geführt. Es sieht etwas anders aus, wenn man auf die kommunale Ebene schaut, wo die CDU schon teilweise Schwierigkeiten hat, sich von der AfD abzugrenzen. Auch die SPD übrigens.

SWR Aktuell: Es gibt die beliebte These, da sei "etwas freigelassen worden", eine "politische Leerstelle" entstanden, auch durch die Politik der Mitte von Angela Merkel - und diese Leerstelle hätte die AfD gefüllt. Inwiefern ist da etwas dran?

Arzheimer: Da ist nur beschränkt etwas dran, weil die Gesellschaft sich natürlich verändert hat. Merkel war ja sehr gut darin, Trends zu folgen und hat die CDU etwas liberaler gemacht, mit Sicherheit etwas mehr in die Mitte geführt, weil die Gesellschaft sich auch dahin bewegt hat. Und natürlich hat man dadurch vielleicht am rechten Rand eine Flanke offengelassen, die man aber auch gar nicht mehr glaubwürdig bespielen konnte, ohne in der Mitte zu verlieren.

SWR Aktuell: Inwiefern hat die AfD einen Effekt gehabt, dass man bei der CDU gedacht hat: "Oh, und dann müssen wir diese Flanke jetzt selbst wieder schließen?"

Arzheimer: Ich glaube, man kann das festmachen an der Person von Hans-Georg Maaßen, der genau mit diesem Programm angetreten, aber damit in der CDU nicht mehr mehrheitsfähig ist, und letzten Endes ja auch nicht erfolgreich war.

Professor Kai Arzheimer, Politologe an der Uni Mainz (Foto: SWR)
Professor Kai Arzheimer leitet an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz das Institut für Politikwissenschaft.

SWR Aktuell: Inwiefern gibt es was diese Sprache betrifft Abnutzungseffekte oder Gewöhnungseffekte? Im rheinland-pfälzischen Landtag sind seit der letzten Landtagswahl auch die Freien Wähler als zusätzliche Oppositionspartei da. Die hat - zumindest was die Aufmerksamkeitsökonomie betrifft - der AfD ziemlich die Butter vom Brot genommen. Inwiefern haben wir da auch als Gesellschaft, als Medien, als Öffentlichkeit gelernt, mit dieser Partei umzugehen?

Arzheimer: Das ist eine Interpretation - man könnte auch sagen, dass die AfD ein Vokabular normalisiert hat, das man sonst so im öffentlichen Raum nicht hatte. Sie hat es in die Parlamente und damit natürlich auch in die Medien getragen. Und damit haben wir einen Abnutzungseffekt auf der einen Seite: Man regt sich vielleicht gar nicht mehr drüber auf, aber manchmal übernimmt man auch solche Formulierungen, ohne noch groß darüber nachzudenken und zu überlegen, was da eigentlich für ein Gepäck damit verbunden ist.

SWR Aktuell: Haben Sie Beispiele für Dinge, die mittlerweile "sagbar" sind?

Arzheimer: Ja, man könnte natürlich sagen, wenn der CDU-Vorsitzende von Sozialtourismus spricht, ist das eine Sache, wo er sich dann ja auch selbst gefragt hat, ob das jetzt eine kluge Formulierung war.

SWR Aktuell: Das heißt, zum Teil wird das Vokabular übernommen oder es werden Diskussionen geführt, die vorher nicht geführt worden sind? Inwiefern ist das eine semantische Diskussion, inwiefern ist es eine inhaltliche?

Arzheimer: Es wird vor allen Dingen momentan über die Sprache diskutiert, weil solche Worte ja immer auch mit Assoziationen konnotiert sind, Emotionen auslösen. Was die Inhalte angeht, muss man natürlich sagen, dass vor 20 Jahren überhaupt nicht über Zuwanderung gesprochen wurde. Da hieß es immer stereotyp: Deutschland ist kein Einwanderungsland. Da hat sich die CDU sehr stark bewegt. Und ich sehe jetzt nicht, dass es unter dem Eindruck der AfD-Erfolge eine starke Gegenbewegung gegeben hat, sondern die CDU ist da in der Gegenwart angekommen.

SWR Aktuell: Es gibt innerhalb der AfD immer wieder diese These von der Frischzellenkur für die Parlamente. Tatsächlich gibt es auch Journalisten, die sagen: "Die Sprache ist härter geworden, aber es wird auch wieder diskutiert. Es wird sich auseinandergesetzt, es wird gestritten." Auch gerade in Rheinland-Pfalz, einem Landtag, der eigentlich immer als sehr freundlich und kollegial im Umgang miteinander wahrgenommen wurde.

Arzheimer: Es ist natürlich was dran, dass der Zuwanderungskonflikt damit ins Parlament zurückgekommen ist und auch thematisiert wird im parlamentarischen Alltag. Ob das wirklich ein Miteinandersprechen ist, würde ich allerdings bezweifeln - weil die AfD sich durch ihre Radikalisierung so in den Parlamenten isoliert hat, dass ich da keinen echten Dialog zwischen den Parteien sehe.

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SWR Aktuell: Also auch nicht eine Reibungsfläche, die dann vielleicht zu Diskussionen zwischen den anderen führen kann?

Arzheimer: Nein, ich sehe hier tatsächlich eine Polarisierung. Man konnte das neulich sehr gut beobachten am Holocaust-Gedenktag im Bundestag. Da ist die AfD-Fraktion im Grunde überhaupt nicht angetreten. Es waren etwa 50 Abgeordnete nicht dabei. Es ist so, dass die anderen Parteien dann auch sagen konnten: "Die stellen sich eigentlich selbst ins Abseits. Was haben wir für eine Veranlassung, uns mit denen bei anderen Fragen auseinanderzusetzen?"

SWR Aktuell: Wenn wir noch einmal auf die AfD in Rheinland-Pfalz schauen: Noch vor zwei Jahren konnte der ehemalige Landesvorsitzende Uwe Junge einen Tweet absetzen, in dem er die LGBTIQ-Binde von Fußball-Nationaltorhüter Manuel Neuer als "Schwuchtelbinde" bezeichnet hat. Er hat Verhaftungswellen im Landtag gefordert für Menschen, die ausreisepflichtig sind. So etwas gibt es aber seit jetzt mehreren Jahren tatsächlich in Rheinland-Pfalz nicht mehr. Inwiefern gibt es da so etwas wie eine Professionalisierung? Hat man verstanden, dass man in West-Deutschland damit auch nichts gewinnt?

Arzheimer: Das ist eine interessante Frage: Der rheinland-pfälzische Landesverband ist ja auch unter Junge immer bewusst bürgerlich-staatstragend aufgetreten. Und dann gab es diese etwas irrlichternden Bemerkungen, die gar nicht dazu gepasst haben. Ich denke, der Nachfolger ist da vielleicht einfach ein bisschen konsistenter in seinem Auftreten. Aber man muss auch sehen, dass in den hinteren Rängen der Partei - also auf die Landesliste bezogen - es auch sehr radikale Leute gibt.

SWR Aktuell: Junges Nachfolger Michael Frisch galt als Meuthen-Anhänger. Er sagte immer, die AfD müsse bürgerlich sein und sich von Rechten richtig klar abgrenzen. Sowas hört man vom aktuellen Parteichef Jan Bollinger nicht, der sagt: "Wir sollten uns intern streiten und nach außen einig auftreten." Inwiefern ist das eine Professionalisierung? Und inwiefern macht diese Unterscheidung - Gemäßigte oder weniger Gemäßigte - Sinn?

Arzheimer: Ich finde die nicht sinnvoll, weil von Anfang an in der AfD auch sehr radikale Elemente vertreten waren. Die sind mit Sicherheit stärker geworden über die Zeit. Aber jemand wie Meuthen, der ja so der oberste Vertreter der scheinbar Gemäßigten war, der hatte auch keine Hemmung, mit denen strategische Bündnisse einzugehen, sich von denen mitwählen zu lassen, zum Flügeltreffen zu fahren und so weiter. Von daher war das aus meiner Sicht immer eher ein Konflikt über das öffentliche Auftreten.

SWR Aktuell: In Rheinland-Pfalz präsentiert sich die AfD als gemäßigter und bürgerlicher Landesverband. Inwiefern stimmt das?

Arzheimer: Man ist es mit Sicherheit vom Auftreten her stärker gewesen als in manchen ostdeutschen Landesverbänden. Aber auch wenn man beispielsweise die Programme aus Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg für die Landtagswahlen gegeneinander liest, sind die Formulierungen in Baden-Württemberg viel radikaler, viel emotionaler, als das in Rheinland-Pfalz jemals der Fall war. Also hier hat man sich einfach schon sehr um dieses Image bemüht.

SWR Aktuell: Wenn Sie sagen, es ist ein Image: Inwiefern ist das ein glaubhaftes Image?

Arzheimer: Wenn man jetzt wirklich auf die Inhalte schaut, muss man sagen, ist es ein bisschen glaubwürdiger als in anderen Landesverbänden. Baden-Württemberg möchte auch bürgerlich auftreten, aber hat viel radikalere Forderungen, zum Beispiel zum Moscheebau in den Programmen. Auf der anderen Seite, wenn man sich Redebeiträge im Landtag anschaut, stellt man fest, es gibt auch hier radikale Stimmen. Wenn wir auf die AfD von 2013, 2014 schauen, stellen wir fest, das war in der ersten Reihe eine Partei, die war besetzt mit Personen, die kamen aus der CDU oder aus der FDP - oder hätten aus diesen Parteien kommen können. Die haben sich vor allen Dingen auf die Reform der EU und des Euro kapriziert und das Zuwanderungsthema spielte prominent keine große Rolle.

Und das hat angefangen, sich 2014 mit den Landtagswahlen in Ostdeutschland zu verändern, dann 2015 mit dem Ausscheiden Luckes, wo man kurzfristig dachte, die Partei verschwindet in der Bedeutungslosigkeit und hat dann aber durch die Flüchtlingsbewegungen in Europa auf einmal wieder in der vordersten Reihe mitspielen können. Und seitdem ist die Partei in ihrem Auftreten, aber auch in ihrem Personal, in ihren Forderungen, in Verbindung zu anderen Akteuren, immer radikaler geworden. Es wird in einem Aussteigerinnen-Buch (von Franziska Schreiber, Anmerkung d. Red.) sehr schön beschrieben, dass es fast einen Wettlauf darum gibt, wer jetzt der rechteste in der Partei ist und andere Parteimitglieder dann nochmal überbieten kann.

SWR Aktuell: In Rheinland-Pfalz redet man seit 2015 von Regierungsfähigkeit. Wird das kommen in der jüngsten Zukunft?

Arzheimer: In der näheren Zukunft sehe ich das überhaupt nicht, nein. Ich glaube, es ist einfach nicht vorstellbar, aus Sicht der anderen Parteien - CDU und FDP vor allen Dingen - mit der AfD zusammenzuarbeiten. Es ist weder mit ihren Werten vereinbar, noch wäre das strategisch klug. Denn die Erfahrung aus dem Ausland zeigt: Man stärkt diese Parteien eigentlich nur, indem man sie in Koalitionen hinein nimmt. Und das ist bekannt in Deutschland.

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