Kulturerbe Hebamme: Kann die UNESCO einen Mangel-Beruf retten?

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Stefan Eich
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Sebastian Felser

Der Beruf der Hebamme ist uralt und solange Kinder zur Welt kommen, hat er immer eine Zukunft. Das sollte man meinen. Uralt ist der Beruf tatsächlich, aber in den letzten Jahren hat sich enormer Fachkräftemangel breit gemacht.

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Eigentlich wollte die Bundesregierung laut ihrem Koalitionsvertrag die Geburtshilfe massiv stärken, aber davon sei noch wenig angekommen, sagt Andrea Köbke im Gespräch mit SWR Aktuell-Moderator Stefan Eich. Sie gehört zum Präsidium des Deutschen Hebammenverbands und unterstützt die Eigeninitiative, die die Hebammen nun gestartet haben: Sie wollen Teil des "Immateriellen Kulturerbes" der UNESCO werden.

SWR Aktuell: Wie viel oder wie wenig würde so ein UNESCO-Titel für Sie und die anderen Hebammen bringen?

Andrea Köbke: Also erstmal gibt es gesellschaftliche Aufmerksamkeit für den Beruf - auch für die Geburtshilfe und das "Geboren werden" an sich. Das ist aus unserer Sicht immer gut. Und hoffentlich wird es gesundheitspolitisch auch wieder in den Fokus rücken. Wir haben im Koalitionsvertrag stehen, dass die Geburtshilfe enorm gefördert werden soll. Wir haben bis jetzt noch nicht viel davon erfahren und wir hoffen, dass die weltweite Aufmerksamkeit, die die mögliche Ernennung des Hebammenwesens zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit mit sich bringt, uns auch wieder ein bisschen mehr Aufmerksamkeit für das schöne Thema Geburt gibt.

SWR Aktuell: Zu diesem immateriellen Kulturerbe zählen unter anderem lebendige Traditionen aus dem Bereichen Tanztheater, Musik, mündliche Überlieferung, Naturwissen und Handwerkstechniken. Warum passt ausgerechnet das Hebammenwesen da mit rein?

Köbke: Weil das Hebammenwesen eine Kultur hat und ist. Es verfügt über eine Tradition, die ganz tief in der Gesellschaft verankert ist - und zwar in jeder.

Die Engländer sagen das so schön: "being with women", also die Begleitung von Frauen unter der Geburt ist so alt wie die Menschheit selbst.

Wir wissen: Egal, ob von professionellen Hebammen - die meisten weltweit inzwischen professionell ausgebildet - oder auch durch Kunst, die überliefert ist - Frauen sind im Prozess des Gebärens eigentlich nie alleine und werden immer durch professionelle Frauen durch Hebammen begleitet. Das anzuerkennen, als etwas, das einen Wert hat in unserer Gesellschaft und Wert hat für die Menschheit - das ist ganz großartig.

SWR Aktuell: Wenn wir wenige Generationen zurückblicken, da waren Hebammen allein für die Hilfe bei der Geburt zuständig und verantwortlich. Viele Frauen haben ihre Babys zu Hause bekommen. Heute kommen die meisten Kinder im Krankenhaus zur Welt. Was ist von diesem beschworenen Welterbe überhaupt noch übrig?

Köbke: Eine Hebamme darf in Deutschland physiologische Geburten alleine betreuen. Das ist gesetzlich festgelegt. Ein Arzt darf das nur in Ausnahmefällen - wirklich nur in Notfällen. Eine Hebamme ist also in Deutschland immer bei einer Geburt anwesend. Ob sie außerklinisch oder klinisch stattfindet, spielt dabei keine Rolle. Auch bei Kaiserschnitten sind Hebammen anwesend. Und das, was in Deutschland ganz stark sich verändert hat - da haben Sie vollkommen recht - ist die Geburtskultur. Das heißt, Frauen gehen zu 98 Prozent in die Klinik und auch da ist es wichtig, dass wir unser Hebammenwissen und unsere Hebammenkunst wieder mehr einbringen. Denn nur weil eine Frau sich aussucht, in die Klinik zu gehen, heißt das nicht, dass diese sich nicht aussucht, eine Eins-zu-Eins-Betreuung durch eine Hebamme zu haben. Die Frauen sagen: Ich wünsche mir eine intensive Hebammenbegleitung, aber ich wünsche mir auch die Infrastruktur einer Klinik. Das steht in keinem Widerspruch.

SWR Aktuell: Lernen Hebammen also noch, völlig ohne Krankenhaustechnik und ärztliche Kontrolle Kinder zur Welt zu bringen?

Köbke: Das ist Teil des Studiums. Hebammen studieren vier Jahre und werden als Expertin für Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett ausgebildet. Das heißt, wir werden ausgebildet für die physiologischen, "normalen" Vorgänge der Geburt. Wir werden aber auch sehr gut darin ausgebildet, die Grenze zu erkennen - also zu sehen: Ab hier ist es nicht mehr in Ordnung.

SWR Aktuell: Wie so eine Geburt funktioniert, das ist sozusagen "bauartbedingt". Was machen denn Hebammen in anderen Ländern anders als bei uns?

Köbke: Die Ausbildung ist anders. Hebammen dienen auch enorm der Frauen-Gesundheit weltweit. Hebammen sind für die Familienplanung extrem wichtig. Das heißt, dass sie in den Familien nach den Geburten über Verhütung sprechen. Hebammen bringen ganz viel Gesundheitswissen in die Familien, auch wenn sie vielleicht nicht studiert haben - wobei sie das tatsächlich in den meisten westlichen Ländern inzwischen tun. Hebammenwissen ist sowohl empirisches Wissen als auch wissenschaftliches Arbeiten - als auch Studieren, als auch Überlieferung. Das macht es als Tradition so wertvoll.

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