Bauernprotest immer aggressiver: “Müsste sich eigentlich gegen die FDP und weniger gegen die Grünen richten“

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Jan-Frederic Willems

Die große Bauern-Protestwoche war vor einem Monat – und seitdem scheint die Wut vieler Landwirtinnen und Landwirte noch gewachsen zu sein, obwohl die Bundesregierung die Agrarsubventionskürzungen abgeschwächt hat. Gestern mussten die Grünen wegen aggressiver Bauernproteste ihren Politischen Aschermittwoch in Biberach absagen – und Bauern hinderten die Grünen-Vorsitzende Lang daran, aus Schorndorf abzureisen – die Polizei musste einschreiten. Dass der Protest so radikal geworden ist, das liegt auch an Fehlern des Bauernverbands- sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder von der Uni Kassel, der früher für die SPD Staatssekretär im Brandenburgischen Arbeits- und Sozialministerium war. Wie er das begründet, erklärt er im Gespräch mit SWR-Aktuell-Moderator Jan-Fréderic Willems.

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SWR Aktuell: Was da gestern passiert ist in Biberach und dann später in Schorndorf, aber auch schon vorher bei der Blockade von Habecks Fähre in Schleswig-Holstein -  wie gefährlich ist diese Bauernprotest-Welle?

Wolfgang Schröder: Die ist schon ziemlich gefährlich, weil sie ein vorhandenes Unwohlsein, Zorn, Unzufriedenheit in der gesamten Gesellschaft bündelt. Und die starke Zustimmung, die wir bei den Protesten im Januar wahrgenommen haben, drückt das ja auch aus, wo 70 Prozent sagten, „ja, das ist richtig, dass die Bauern hier in dieser harten Form auftreten. Dabei muss man ja berücksichtigen, dass die Bauern die mit am besten verdienende Gruppe in den letzten Jahren gewesen sind - vor allen Dingen in den Jahren ‘ 21, ’22 und ‘23. Und gleichzeitig haben die Bauern natürlich erhebliche strukturelle Probleme zu bewältigen, wo sie die unbedingte Unterstützung von Politik und Öffentlichkeit benötigen. Also: Da ist ein erheblicher Spannungsbogen, was die Lage der Bauern betrifft. Aber daraus allein lässt sich dieser Konflikt und diese Wut und diese massive Demonstrationsbereitschaft nicht ableiten. Die ist nur zu verstehen in Verbindung mit der gesamtgesellschaftlichen Lage, die wir augenblicklich vorfinden.

SWR Aktuell: Vom Protestwähler bis zum radikalen Bauern. Es eint diesen Menschen, dass sie sich nicht gehört fühlen auf den - ich nenne sie mal „normalen“-  Kanälen, die das politische System bietet. Warum ist dieses Gefühl, dass ja auch zu dieser gesellschaftlichen Unzufriedenheit beiträgt, die Sie erwähnt haben, so stark in letzter Zeit?

Schröder: Das hängt mit der Überforderung des politischen Systems zusammen in den Zeiten der Multikrisen, die wir haben. Das ist ja nicht eine Krise, sondern da haben wir Krieg, Energiekrise, Inflation und vielfältigste Herausforderungen mit der ökologischen Transformation. Und das alles zusammengenommen führt dazu, dass das politische System in einem derartigen Druck-Zustand sich befindet, dass die Kommunikation mit der Bevölkerung stark darunter leidet. Insofern hat die Regierung natürlich einen erheblichen Anteil daran, dass der Zorn so explodiert ist. Aber gleichzeitig ist es nicht allein die Regierung, die ja unter diesen schwierigen Bedingungen doch noch liefert, sondern es ist eine allgemeine Orientierungslosigkeit, wie man in der Vielzahl der Krisen da irgendwie durchkommen kann.

Eigentlich müsste die FDP am stärksten im Zentrum der Kritik stehen

SWR Aktuell: Warum entzündet sich das auch innerhalb der Regierung dann so an den Grünen - und nicht zum Beispiel am Markt, der unmenschliche Produktionsbedingungen verursacht oder an den Kriegen und Krisen im Ausland?

Schröder: Das ist eine gute Frage. Eigentlich würde man ja vermuten, dass die FDP am stärksten im Zentrum der Kritik stehen müsste, weil sie durch ihr apodiktisches Nein zur Reform der Schuldenbremse maßgeblich dazu beiträgt, dass diese Form der Austeritätspolitik, also der Sparpolitik, jetzt eintritt. Aber die Grünen sind die zentrale Zielscheibe dieser neuen Bewegung, die sich da herauskristallisiert. Es sind ja nicht nur die Bauern, es sind die Handwerker sind die Spediteure- also wertschöpfende Gruppen aus der Mitte der Gesellschaft, die nochmal anders als die ökoorientierten Gruppen für sich in Anspruch nehmen: Ohne uns funktioniert diese Gesellschaft nicht. Und wenn diese Gesellschaft nicht auf uns hört, dann wird das ein böses Ende mit der weiteren Entwicklung nehmen. Und die Grünen werden als Zielscheibe deshalb so stark ins Zentrum geführt, weil man den zuweist: Die seien dafür verantwortlich, dass der Druck größer wird, dass die Regelungen mehr werden und damit die sogenannte Gängelung der „einfachen Leute“ ein Maß erreicht hat, das man nicht wünscht und gegen das man sich wehren will.

Bauern profitieren von EU und Subventionen- und protestieren trotzdem

SWR Aktuell: Entgegenkommen oder Hartbleiben - was sagen Sie, ist der richtige Weg, damit umzugehen?

Schröder: Beides. Auf der einen Seite muss man hart bleiben, weil hier eine Gruppe sich artikuliert, die in der Reichtumsverteilung augenblicklich sehr gut dasteht. Die hatten Zuwächse in den letzten Jahren von über 40 Prozent. Sie sind Subventionsnehmer in einer Art und Weise wie keine andere Gruppe. Und sie sind auch mit diesem System der Bürokratie bisher gut klargekommen. Auf der anderen Seite muss man der Gruppe aber sehr entgegenkommen, weil sie in der Tat unter den restriktiven Bedingungen der ökologischen Transformation der Europäischen Union durchaus erhebliche Belastungen zu bewältigen hat. Und die Bauern sind für unser Land natürlich existenziell. Jetzt kommen wir noch mal zum entscheidenden Punkt: Warum ist diese massive Demonstrations- und Widerstandskraft der Bauern gerade jetzt? Und da muss man natürlich auch sehen, dass der Bauernverband gar nicht mehr der Herr des Verfahrens ist, sondern hier eine Interessensausdifferenzierung stattgefunden hat, dass vom Rand her der Bauernverband getrieben wird und dass eine Radikalisierung eingesetzt hat. Die haben die Leute auf die Bäume gejagt und kriegen sie jetzt nicht mehr runter.

SWR Aktuell: Der Bauernverband hat sich von dieser Eskalation gestern distanziert. Macht er es sich damit zu einfach?

Schröder: Viel zu einfach! Der Bauernverband ist der Getriebene in diesem ganzen Prozess. Und weil sie bisher kein Mittel gefunden haben, das ausbalancieren zu können, haben sie teilweise versucht, sich an die Spitze der Demonstration und des Widerstands zu setzen. Und damit haben sie alles noch stärker eskaliert. Sie haben immer Öl ins Feuer gegossen, um ihre eigene Position gegenüber den treibenden Kräften aus der Mitgliedschaft noch halbwegs halten zu können.

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