Eine Frau legt an ihrem Arbeitsplatz den Kopf in die Hände.

"Zwei Minuten": Die Kolumne zum Wochenende

Meinung: Keine Zeit, kein Zusammenhalt

Stand
Autor/in
Laura Koppenhöfer

Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland stand es schon mal besser. Woran das nur liegt? Laura Koppenhöfer hat in ihrer Kolumne da so eine Idee.

Die Hoffnung war groß. Und sie war echt. Darauf, dass die Corona-Zeit mehr und nicht weniger Gemeinschaftssinn in Deutschland erzeugen und hinterlassen würde. Wissen Sie noch? #zusammenhalten, als Kreide-Botschaft auf der Straße, als Zettel-Gruß am Fenster und natürlich als virtueller Aufruf im Netz.

Laura Koppenhöfer
Die Meinung von Laura Koppenhöfer

Zweieinhalb Jahre, dutzende Querdenker-Demos und etliche Corona-politische Fehler später ist die Hoffnung futsch: Laut einer aktuellen Infratest-Umfrage für die ARD ist es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht besser, sondern deutlich schlechter bestellt. So ähnlich sah kürzlich schon das Ergebnis einer Bertelsmann-Umfrage aus. Verteilungskonflikte statt #zusammenhalten, Zukunftssorgen statt #alleswirdgut, noch so ein verblasstes Corona-Mantra.

Die Kolumne von Laura Koppenhöfer können Sie hier auch als Audio hören:

Zeit - das knappste Gut

Wie kommt’s? Schnell fallen die beiden großen Schlagworte des Jahres: Krieg und Krise. Schon klar, wer in Angst und Sorge lebt, hat wenig Kapazität übrig, sich um andere zu kümmern. Aber für mich fehlt hier noch ein drittes Schlagwort: Zeit. Für viele das knappste Gut, knapper als Gas und Geld. Wer hat denn überhaupt noch regelmäßig Zeit für Dinge, die Gemeinschaft schaffen? Für Ehrenämter oder Sport im Verein… Sportlich ist für viele vor allem ihr Alltag. Nehmen wir die Familien: Da werden Dienstpläne, Meetings, Krippe-Kindergarten-Hort-Bring-und-Abholzeiten zu ausgetüftelten Konstrukten auf Kante genäht. Die funktionieren - solange niemand krank wird. Im Winter also circa vier Tage.  

Dauergestresste allerorten

Aber ich denke auch an andere Dauergestresste, die Berge von Überstunden und Resturlaube vor sich herschieben: An die Controllerin, die nach der Vorstandspräsentation wegen Burnout-Symptomen krankgeschrieben wird. An den Handwerker, der nach einem Unfall die Rettungskräfte schwerverletzt fragt, ob er morgen arbeiten kann - es sei so viel zu tun. Die Erzieherin, die nach acht Stunden Streit schlichten, Hände entkleben und Stinkewindeln wechseln ihren kalten Morgenkaffee wiederfindet und sich mit der Tasse in der Hand für den Eindruck entschuldigt, gerade das Klischee der gemütlichen Basteltante zu erfüllen.

Berufliche Dauerlast, garniert mit trendy Phänomenen wie Selbstoptimierung, Online- und Freizeitstress, dazu die Post-Corona-Erschöpfung – so wird das nix mit dem großen Zusammenhalts-Comeback. Solange selbst Achtsamkeitskurse am Ende nur dazu dienen, uns noch belastbarer zu machen.

Die Jugend macht Hoffnung

Man muss nicht so schwarzsehen wie der Soziologe Hartmut Rosa, der aus der permanenten Beschleunigung den Schluss zieht: Ausstieg oder Kollaps. Und auch nicht so radikal fordern wie die Publizistin Teresa Bücker, die die Erwerbsarbeitszeit bei 30 Wochenstunden deckeln würde - für alle. Aber noch weniger muss man die angeblich ach so faule Jugend beschimpfen, der eine gute Work-Life-Balance von Anfang an zentral wichtig scheint.

Im Gegenteil: Ihr bewusst anders gesetzter Fokus macht neue Hoffnung. Auf wieder mehr freie Plätze in den Burnout-Kliniken - und wieder mehr Zusammenhalt.

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Laura Koppenhöfer