Jedes Jahr sterben deutschlandweit rund 100 Millionen Vögel durch den Flug gegen Glas, so die Schätzung der Länderarbeitsgemeinschaft der staatlichen Vogelschutzwarten. Das entspricht zwischen fünf und zehn Prozent der Vögel in Deutschland. Auch in Ulm ist das Problem bekannt.
Kinder finden tote Vögel im Schulhof
Der Pausenhof der Ulmer Friedrichsauschule ist lichtdurchflutet. Das liegt auch an den in die roten Backsteinmauern eingelassenen Fenstern. Dass sie für Vögel eine echte Todesfalle sein können, wird Konrektorin Claudia Kühner bewusst, als sich im Frühjahr die Schulgarten AG bei ihr meldet: "Da haben die Kinder und die AG-Leiterinnen die toten Vögel entdeckt und wir hatten an der Scheibe auch den Abdruck eines Vogels, der dagegen flog."
Damals ebenfalls vor Ort: Sabine Kröber vom Nabu in Ulm, eingeladen von der Schulgarten AG. Die Kinder erzählen ihr von den toten Vögeln, zeigen ihr einen reglosen Vogelkörper - kleiner als eine Amsel - hellbraun mit einer weißlich- beigen Unterseite und dichten, dunklen Sprenkeln: "Eine tote Singdrossel. Die wurde dann beerdigt", sagt die Naturschützerin.
Für Konrektorin Kühner ist klar: Es muss etwas geschehen. Gemeinsam mit dem Nabu und der Stadt entscheidet sie, kleine Punkte auf die Scheiben aufbringen zu lassen. Nah beieinander liegend, damit die Vögel das Hindernis erkennen. Seitdem habe sich das Problem an der Friedrichsauschule gelegt, berichtet Kühner: "Wir haben weder Spuren an den Scheiben entdeckt, noch Vögel im Gebüsch liegen sehen."
Wegen eingeschränktem Sehvermögen: Vögel nehmen Glas nicht wahr
Dass Vögel überhaupt gegen Glas fliegen, liegt an ihrem Sehvermögen, erklärt Sabine Kröber vom Nabu. Zwei Umstände bereiten den Tieren besonders Probleme, sagt sie: "Einmal die Spiegelung. Wenn sich Bäume in Glasscheiben spiegeln, denken die Vögel, da wäre wirklich ein Baum und fliegen rein. Das Zweite ist die Durchsicht. Das heißt, die Vögel sehen von der einen Seite ein Stück des Himmels auf der anderen Seite und denken, sie können durchfliegen."
Gläserne Orte in Ulm für Vögel gefährlich
Durch den Aufprall mit teils hoher Geschwindigkeit brechen sich viele der Tiere das Genick oder erleiden eine Gehirnerschütterung, so Kröber. Die Naturschützerin kennt viele Orte in Ulm, die für Vögel lebensbedrohlich sind: die in einer Glaspyramide untergebrachte Stadtbibliothek mit ihren spiegelnden Scheiben zum Beispiel. Oder der durchsichtige Überbau am Bahnhofsvorplatz und das Ulmer Amtsgericht, in dem sich die umliegenden Bäume spiegeln. Viele der Gefahrenstellen meldet Kröber der Stadt Ulm.
Bei der Unteren Naturschutzbehörde der Stadt beschäftigt das Thema Melanie Marquardt. Sie freut sich über den Einsatz der Friedrichsauschule. Auch, weil ihre Behörde nicht eingreifen darf, wenn sie von einem Vogelschlag-Hotspot erfährt: "Wir können den Eigentümer - sei es städtisch, privat oder im unternehmerischen Bereich - nicht verpflichten, Maßnahmen umzusetzen." Denn dafür brauche es eine gutachterliche Untersuchung, um zu ermitteln, ob an dem Ort tatsächlich überdurchschnittlich viele Vögel sterben.
Naturschutzbund fordert Beschluss zu vogelschlagsicherer Bebauung
Für Marquardt besonders frustrierend: das fehlende Bewusstsein für das Problem in der Stadtplanung. "Glas ist ein super Material, es ist schön und steht für Urbanität. Allerdings ist bei vielen noch nicht angekommen, dass wir hier ein Problem haben." Der Nabu in Ulm fordert daher vom Ulmer Gemeinderat, dass Gebäude künftig von vornherein mit vogelschlagsicheren Fenstern gebaut werden. Vorbild ist die Stadt Leipzig. Dort hat man sich Ende Juni auf einen entsprechenden Beschluss geeinigt.
Kreativ gegen Vogelschlag
Was Vögel am Flug gegen die Scheibe hindert? Linien, Punkte oder andere Muster auf dem Glas. Sie müssen engmaschig sein, damit die Vögel nicht versuchen, durchzufliegen, rät Sabine Kröber. Wenig wirkungsvoll hingegen sind die Silhouetten von Greifvögeln - häufig auf gläsernen Bushaltestellen zu sehen. Ihre Abstände sind zu groß und schrecken Vögel nicht ab. Auch selbstgemachte Maßnahmen können helfen: Bunte Schnüre vor dem Fenster etwa, oder Muster mit Fingermalfarben.