Was haben der Schwimm- und Sportverein Ulm und der 1. Fußballclub Heidenheim gemeinsam? Außer der natürlich nicht unwichtigen Tatsache, dass die Fußballmannschaften aus Ulm und Heidenheim jetzt jeweils eine Liga höher spielen. Die beiden Vereine schmücken sich mit dem Gründungsjahr 1846. Und nicht nur sie: Das ist etwa auch in Ellwangen, Schorndorf, Crailsheim, Ludwigsburg und Heidelberg so. Zufall? Eine Spurensuche in der Sportgeschichte.
"Ulmer Fußballverein 1846, herzlichen Glückwunsch zum 25. Jahresfest!" Fritz Glauninger sitzt in seinem Wohnzimmer und versucht, einen einhundert Jahre alten Brief zu entziffern. Um sich herum alte Fotos und Zeitungen. Der Brief von 1919, geschrieben in deutscher Kurrentschrift, ist von Paul Sturm. Dem Mann, der den Fußball nach Ulm brachte. "Das bewegt einen, obwohl ich ihn nie kennengelernt habe", sagt der 84-Jährige.
Glauninger ist Vereins-Archivar des SSV Ulm 1846. Und das seit mehr als 50 Jahren. Zum Gründungsdatum 8. April 1846 gibt es keine Urkunde im Archiv. Die Älteste ist von 1848, anlässlich "irgendeines" Turnfests.
"Die Turngemeinde Ulm war der ursprüngliche Verein", weiß der Archivar. Mehr als zwanzig Trennungen, Neugründungen, Abspaltungen vergingen, bis schlussendlich 1970 aus der Turn- und Sportgemeinde Ulm 1846 und dem 1. Schwimm- und Sportverein Ulm der heutige SSV Ulm 1846 wurde.
Fritz Glauninger war damals Vorstandsmitglied des 1. SSV Ulm. "Das war eine vernünftige Sache, aus diesen zwei Vereinen einen zu machen." Zumal die beiden Vereine nur durch eine Straße getrennt gewesen seien. "Aber das Etikett - 'Das ist ein '46-er und das ist ein SSV-ler' - blieb noch ewig", erinnert sich der Archivar schmunzelnd.
Der Vormärz und Turnvater Jahn: Was ist um das Jahr 1846 herum passiert?
In der Gründerzeit der Vereine in Heidenheim und Ulm, bis Mitte des 19. Jahrhunderts, war von Fußball noch nicht mal im Ansatz die Rede. Umso mehr vom Turnen und von Turnvater Jahn, der als Initiator der deutschen Turnbewegung gilt.
"Die Jugend von Deutschland sollte für den Kampf gegen die napoleonische Besetzung ausgebildet werden", sagt Martin Ehlers vom Institut für Sportgeschichte in Baden-Württemberg. Friedrich Ludwig Jahn habe damals den Nerv der Zeit getroffen und das Turnen im 19. Jahrhundert zu einer Volksbewegung gemacht, wobei Übungen nicht nur an Reck und Stufenbarren manche zur Verzweiflung brachten.
Ganz nach Jahns Motto "Turnen fürs Vaterland" wurde der Sport politisch. Genau wie die vielen Vereinsgründungen. Im sogenannten Vormärz, der Zeit vor der März-Revolution 1848/49, schossen die Turnerbünde nur so aus dem Boden.
"Man entwickelte zu der Zeit ein bürgerliches Selbstverständnis, wollte Mitspracherecht", sagt Martin Ehlers. Die Bürger waren politisch motiviert und es entwickelte sich ein Nationalgefühl. Das sei das, was sich in Deutschland verstärkt bei den Turnern zeigte, so Ehlers weiter. Generell habe sich das ganze Vereinswesen in dieser Zeit unheimlich stark entwickelt.
1893 bringt der Tübinger Paul Sturm den Fußball nach Ulm
Es ist also kein Zufall, dass die Sportvereine in Heidenheim und Ulm in dieser Zeit entstanden sind. Der Fußball kommt allerdings erst Jahrzehnte später in Ulm an. Und zwar durch den Tübinger Paul Sturm, dessen alten Brief Fritz Glauninger im SSV-Archiv aufbewahrt. Die erste Fußballmannschaft entsteht beim Privatturnverein Ulm, andere Vereine in der Stadt ziehen nach.
In Ulm und Heidenheim trennen sich die Fußballer von ihrem Mutterverein
In Heidenheim war man etwas später dran mit diesem "neuen" Ballsport auf dem Rasen: 1910 schlossen sich die ersten Fußballer zusammen und gründeten den VfB Heidenheim. Eine recht neue Erscheinung ist die Abspaltung der Fußballer als eigenständiger Verein - sowohl in Ulm als auch in Heidenheim.
Das eigentliche Gründungsjahr des 1. FCH ist 2007, als sich die Fußballabteilung vom Mutterverein Heidenheimer Sportbund trennt. So viel gehöre zur Wahrheit schon dazu, sagt Markus Gamm, Pressesprecher des 1. FC Heidenheim. Mit der Zahl 1846 im Namen berufe man sich auf das Gründungsjahr und somit auf die Tradition und die Werte des Muttervereins.
In Ulm das gleiche Spiel: 2009 spalten sich die Fußballer vom SSV Ulm 1846 ab, hängen ein "Fußball" an den Vereinsnamen. Die Jahreszahl 1846 blieb. "Das dürfen die schon auch mitnehmen, die 1846. Ist ja schließlich ein Alleinstellungsmerkmal", findet Vereins-Archivar Fritz Glauninger.
Für die dritte Liga, in der der Aufsteiger SSV Ulm 1846 Fußball jetzt spielt, hätte sich Glauninger eigentlich gewünscht, dass das alte Trikot von damals noch einmal auflebt: Weißes Trikot mit schwarzem Brustring. "Das wäre doch schön gewesen, oder?"