Der abgebrochene Putschversuch der Söldnergruppe Wagner vom Wochenende wirft international viele Fragen auf. Die Einschätzungen zweier Experten aus Schwäbisch Gmünd und Aalen waren dabei bundesweit gefragt. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter war am Sonntagabend Gast in der ARD-Talksendung "Anne Will", der ehemalige deutsche Botschafter in Moskau, Rüdiger von Fritsch aus Schwäbisch Gmünd, sprach am Montagmorgen im Deutschlandfunk über die Situation.
In vielen Punkten sind sich Kiesewetter und von Fritsch einig. Ganz grundlegend: Russlands Präsident ist nach dem Marsch auf Moskau der Gruppe Wagner geschwächt. Er habe die Putschisten hunderte Kilometer auf Moskau marschieren lassen, ihnen Bagger und Baumaschinen entgegenstellt, sagte Rüdiger von Fritsch. "Seine Propaganda hatte nicht mehr die Kontrolle über das Land. Das ganze Land weiß, dass dieser starke Führer gar nicht so stark ist. Das bedeutet, dass er verwundbar geworden ist."
Politische Lage in Russland: Interview mit Rüdiger von Fritsch
Es gebe nicht wenige in Putins Umfeld, deren Bereitschaft steige, den Machthaber anzugreifen, so der ehemalige Botschafter. Möglicherweise gebe es entsprechende Kreise im Militär. Was Putin aber am meisten fürchte, sei der sogenannte "Schwarze Schwan": "Die völlig unbekannte Entwicklung aus dem Volk oder der Führung. Jemanden, den Putin nicht auf der Rechnung hat."
Auf die Frage, wie loyal und stabil die russische Armee überhaupt noch ist, sagte Roderich Kiesewetter bei "Anne Will": "Wir wissen, dass die russischen Streitkräfte sehr schwach sind. Dass sie zwar viel Personal haben, aber nicht die geeignete Ausstattung."
Aus der aktuellen Situation leitet er eine Handlungslinie für den Westen ab: "Putin hat eine Schwäche erlebt, und plötzlich verhandelt er", so die Analyse des Oberst a.D.. "Das ist für uns ein Appell, dass wir in der Unterstützung der Ukraine nicht nachlassen dürfen, und dass wir jetzt die Schwäche Putins nutzen müssen, damit sein Gravitationszentrum, die Krim, befreit wird."
Die ganze Sendung "Anne Will" vom 25.06.2023
Russland stehe vor einem Umbruch, auch da sind sich die Experten einig. Rüdiger von Fritsch sieht verschiedene Szenarien für einen Übergang nach dem Ende des Regimes Putin. "Ein geordneter Übergang ist nicht auszuschließen", sagte er. Ein Ende des Krieges inklusive. "Jeder, der die Macht übernimmt, könnte sagen: 'Ich habe den Krieg nicht angezettelt, ich beende ihn.'" Aber auch Machtkämpfe seien nicht auszuschließen. "Oder wie am Ende der Sowjetunion, dass einzelne Teile des Reiches eigene Wege gehen".
Eine Zeitbombe in der Gesellschaft
Diese Möglichkeit spricht auch Roderich Kiesewetter an: "Nämlich die des Blutzolls der ethnischen Minderheiten", sagte er zum Ende der Talksendung. Denn es kämpften kaum Russen aus Moskau oder Sankt Petersburg, sondern Tschetschenen, Tartaren und viele andere. "Das ist eine Zeitbombe in dieser Gesellschaft." Denn ganze Dörfer hätten ihre leistungsfähigen Männer verloren oder versehrt zurückbekommen. Das führe dazu, dass sich die Föderationsländer irgendwann mehr Freiheit holen wollten. In Tschetschenien sei das bereits sichtbar.
"Putin muss weiter geschwächt werden"
Der Machtkampf in Russland habe in jedem Fall bereits begonnen. Es gehe nun darum, den NATO-Gipfel in zwei Wochen in Ruhe vorzubereiten, sagte Kiesewetter. "Wir dürfen keine Angst davor haben, dass Putin scheitert und Russland den Krieg verliert. Wir sollten sehen, wie wir die Ukraine so stärken, dass Putin weiter geschwächt wird."