Storch mit weit ausgebreiteten Flügeln beim Landen: Woher kommt die Geschichte mit dem Klapperstorch? (Foto: IMAGO, IMAGO / Jan Huebner)

Geflügelpest auf dem Vormarsch - Experten vermuten bestimmten Ursprung

Vogelgrippe in Baden-Württemberg: Nach Schwänen nun infizierter Storch in Vogelschutzzentrum im Kreis Tübingen

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Luisa Sophie Klink

Ein Weißstorch ist im Vogelschutzzentrum Mössingen an der Vogelgrippe gestorben. Dies ist der erste Fall eines kranken Tieres in menschlicher Obhut. Experten sind alarmiert.

Innerhalb von knapp zwei Wochen ist die Geflügelpest - umgangssprachlich auch "Vogelgrippe" genannt - bei 17 Schwänen, einem Graureiher und einem Weißstorch festgestellt worden. Alle infizierten Wildvögel wurden im Kreis Tübingen gemeldet.

Der infizierte Storch wurde im NABU-Vogelschutzzentrum in Mössingen (Kreis Tübingen) registriert. Alle anderen untergebrachten Vögel wurden negativ auf das Virus getestet, sagte der Zentrumsleiter, Daniel Schmidt-Rothmund, dem SWR. Das Vogelschutzzentrum bleibe aus Sicherheitsgründen allerdings geschlossen. Tierische Notfälle würden aber weiterhin im Außenbereich begutachtet.

Stallpflicht für Geflügel in den Kreisen Tübingen und Reutlingen

Die Landratsämter in Tübingen und Reutlingen haben in Abstimmung mit dem Landwirtschaftsministerium zunächst mit einer Stallpflicht bis Ende März reagiert. Damit sich das Virus nicht weiterverbreitet und gar auf große Geflügelhöfe getragen wird, muss Geflügel hier nun strikt von Wildvögeln abgeschirmt werden. Nur wenn der Kontakt zu Artgenossen und deren Ausscheidungen ausgeschlossen wird, zum Beispiel, indem man feinmaschige Netze oder Gitter anbringt, dürfen gefiederte Tiere noch im Freien gehalten werden. Dies gilt für private wie für gewerbliche Halter. Jeder Verdacht ist anzeigepflichtig.

Besonders betroffen sind Geflügelhöfe mit Hühnern in Freilandhaltung. Die Halter haben überwiegend keine großen Ställe, sondern nur mobile Wagen. Deklariert werden dürften die Eier trotz Stallhaltung zunächst noch mit dem Label "Freilandhaltung", sagte ein Landwirt dem SWR, nach drei Monaten allerdings müssten sie den Stempel "Bodenhaltung" tragen.

Veterinäramt Tübingen hält Ausbreitung in anderen Kreisen für möglich

Im SWR-Interview weist der Tübinger Veterinäramtsleiter Herbert Kemmer darauf hin, dass das Risiko einer Verbreitung des Virus derzeit als hoch eingestuft wird. Man beobachte das Geschehen genau und halte eine Ausbreitung auch in andere Kreise für wahrscheinlich. An Plätzen, wo viele Vögel zusammenkämen, könne sich das Virus leicht verbreiten. Als nicht ungewöhnlich bezeichnete der Tiermediziner auch die tot aufgefundenen Schwäne am Neckar. Über das Wasser könnte der Vogelkot weitergetragen werden. Die Schwanenpopulation sei allerdings noch nicht in Gefahr.

Grundsätzlich könnten alle Vögel an der Geflügelpest erkranken, eine Übertragung auf Singvögel habe es bislang allerdings weltweit kaum gegeben, deshalb stelle das Vogelhäuschen im Garten keine Gefahr dar. Haustierhalter sollten nach Ansicht des Tübinger Veterinäramts allerdings aufpassen, dass Ihre Vierbeiner nicht mit infizierten Vögeln oder deren Ausscheidungen in Kontakt kommen. Das Risiko, dass sie erkranken, sei zwar gering, sie könnten das Virus als Wirte aber weitertragen.

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"2022 war das schlimmste Vogelgrippe-Jahr jemals"

Damit teilt das Tübinger Veterinäramt die Auffassung des Friedrich-Löffler-Instituts(FLI). Das Amt für Tiergesundheit registriert sämtliche Vogelgrippe-Fälle bundesweit, untersucht infizierte Vögel abschließend und beobachtet die Lage weltweit. Dem SWR berichtet eine Sprecherin des FLI eindrücklich, wie sich die Vogelgrippe über die Jahre verändert hat. Habe man früher während der kälteren Jahreszeit gehäuft Fälle registriert und somit saisonale Ausbrüche beobachten können, sei das Virus das gesamte vergangene Jahr zirkuliert und nicht mehr verschwunden. Weltweit habe sich das Virus ausgebreitet.

"Das Jahr 2022 ist aus Sicht des Friedrich-Loeffler-Instituts das schlimmste Geflügelpest-Jahr, das Deutschland bisher gesehen hat."

Vogelgrippe Deutschlandkarte (Foto: Pressestelle, Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit)
Die blauen Dreiecke zeigen die erkrankten Wildvögel der vergangenen 28 Tage. Die grau unterlegten Punkte und Dreiecke infizierte Tiere in den vergangenen 12 Monaten.

"Eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht"

Reinking bezeichnet die Verbreitung als beispiellos. Besonders tragisch: Teilweise waren ganze Populationen in ihrer Existenz gefährdet. Auch im Norden Deutschlands führte das Virus bereits bei in Kolonien brütenden Vögeln entlang der Küsten zu hohen Verlusten. "Seltene Arten wie Seeschwalben und Basstölpel waren ebenso betroffen wie Kormorane", so die Biologin.

"Eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht."

Zwei Basstölpel reinigen ihre Federn auf dem so genannten Lummenfelsen auf der Hochseeinsel Helgoland. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Marcus Brandt)
Mehr als 1.000 Basstölpel sind auf Helgoland vergangenes Jahr der Vogelgrippe zum Opfer gefallen.

Experten halten Massentierhaltung für Ursprung des Virus

Immer wenn Tiere auf engem Raum zusammenkommen, besteht eine erhöhte Seuchengefahr. Reinking bezeichnet zwei Geflügelschauen im vergangenen Jahr als "Superspreader-Events" in Deutschland. In Windeseile sei durch das Zusammentreffen vieler Tiere das Virus in verschiedene Geflügelbestände getragen worden. So wird unter den Experten, darunter auch das FLI, auch die Massentierhaltung für eine sehr wahrscheinliche Ursache der nun endemisch gewordenen Vogelgrippe gehalten. Die massenhaft auf engem Raum zusammengepferchten Tiere seien genetisch gleichförmig und immungeschwächt und somit anfälliger für Seuchen. Eine SWR-Anfrage beim Landwirtschaftsministerium, ob Baden-Württemberg aufgrund der vermuteten Ursache Massentierhaltung plane, niedrigere Obergrenzen bei der Hühnerhaltung einzuführen, wurde folgendermaßen beantwortet: "Eine lenkende Einflussnahme in die Strukturen ist nicht geplant." Baden-Württemberg sei "überwiegend durch eher kleinere, bäuerlich geprägte Betriebe gekennzeichnet".

RKI schätzt Ansteckungsgefahr für Menschen als gering ein

Dass sich Menschen über Tiere anstecken, hält das Robert Koch-Institut (RKI) für "nicht so leicht" möglich. Weltweit sind nur wenige Fälle bekannt geworden, bei denen Menschen erkrankt sind - sie hatten sehr engen Kontakt zu ihren Tieren.

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