SWR aktuell: Seit über sieben Monaten sind Sie der Oberbürgermeister von Balingen, Herr Abel. Sie sind mit dem Satz angetreten: Sie und Balingen passen gut zusammen. Sehen Sie das heute auch noch so?
Absolut, das passt nach wie vor sehr gut zusammen. Wenn ich so zurückdenke an eine Gartenschau, die ich in Balingen erleben durfte mit den vielen Menschen hier, vor allem dem Ehrenamt. Das war genau das, was ich mir unter Balingen vorgestellt hatte, eine Stadt, die lebt, die lebendig ist, die Gemeinsinn pflegt, wo man zusammenhilft. Ich bin ja ein Dorfkind, im Dorf aufgewachsen in einem Ort mit 700 Einwohnern und hab dann ja nach Ausbildung, Schule, Studium und vor allem durch den Beruf dann auch das Leben in größeren Städten erfahren dürfen. Auch ich war früher in vielen Vereinen aktiv.
SWR Aktuell: Die Gartenschau hat die Erwartungen der Stadt übertroffen: 500.000 Besucher und Besucherinnen sind gekommen, 300.000 wurden erwartet. Eine Schau, die sicherlich gut fürs Image ist, aber auch eine finanzielle Belastung darstellt.
Wenn wir alles zusammenrechnen, kommen wir auf 16 Millionen Euro. Das belastet den Haushalt natürlich, aber das kann man ja auch so nicht einfach nur in Zahlen bewerten. Es gibt auch die qualitativen Pluspunkte wie die Infrastruktur, eine schöne Innenstadt. Wir hatten so viele Besucherinnen und Besucher, die gesagt haben: "Wow, dieses Gartenschaugelände ist toll. Jetzt haben wir aber auch eure Innenstadt kennengelernt. Tolle Läden, tolle Fußgängerzone. Auch im nächsten Jahr kaufen hier ein. Wir kennen Balingen jetzt, das ist eine Stadt, in die wir gern wieder zurückkommen."
SWR Aktuell: Was heißt das genau für den Balinger Haushalt?
Die Gartenschau war eingeplant. Was ein viel größeres Problem für uns ist: Die Tarifsteigerungen beim Personal. Da rechnen wir mit zusätzlich vier Millionen, die wir im Jahr 2024 stemmen müssen. Wir haben die Kreisumlage, die steigen soll. Dann sind sie schnell bei einem Zuwachs von zehn Millionen. Das macht uns gerade eher große Sorgen. Ich hatte schon auf dem Schirm, dass auch in einer Stadt wie Balingen, obwohl hier tolles Gewerbe und viele bekannte Firmen sind, dass der Haushalt nicht ganz so rosig aussehen könnte. Aber dass er so dramatisch schlecht aussieht, hat mich doch nachdenklich gestimmt.

SWR Aktuell: Wo müssen Sie unverhofft Abstriche machen?
Wir wollten eigentlich zwei Kindergärten neu bauen. Wir schaffen nur einen wegen der Gelder. Auch ein schwerer Klotz am Bein, obwohl das für Familien und Kinder zunächst mal was Gutes ist: Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen. Das soll ab 2026 losgehen. Wir erleben das leider immer mehr, dass vor allem der Bund, aber in Teilen auch das Land den Kommunen Dinge abverlangen, die finanziell nicht mehr leistbar sind und auch personell und ressourcenmäßig nicht. Das scheint mir schon auch ein Problem zu sein, dass da einfach zu wenig, auch kommunaler Sachverstand, teilweise inzwischen auch in den Parlamenten vorhanden ist. Wir hatten in Baden-Württemberg früher eine vernünftige Regelung, dass auch Landräte und Bürgermeister in den Landtag können. Das hat man dann abgeschafft.
SWR Aktuell: Was plant Balingen zum Thema Klimaschutz und erneuerbare Energien?
Wir sind dran am Thema Wasserstoff, da hatten wir eine Veranstaltung dazu vor kurzem, weil das ein sicherlich drängendes Thema wird für all die Bereiche, in denen man halt nicht elektromobil unterwegs sein kann. Es geht drum, ob man hier einen Elektrolyseur installiert, also ein Gebäude hat, wo man Wasser auftrennt in Wasserstoff und Sauerstoff. Das Problem ist: Es werden auch Wasserstoffleitungen verlegt, von den größeren Energieanbietern, aber leider nicht in unserer Region in den nächsten Jahren. Das heißt, wenn wir unsere Industrie auch hier wirklich vor Ort autark Wasserstoff anbieten wollen, dann müssen wir als Kommune da ran und was tun.
SWR Aktuell: Kommen wir zu einem weiteren Thema, das seit Monaten schon den Zollernalbkreis und natürlich auch seine Kommunen umtreibt: Die Unterbringung von Geflüchteten. Sie haben mit anderen Bürgermeistern aus dem Zollernalbkreis einen Brief an Bundesinnenministerin Faeser unterschrieben. Darin steht, dass die Kommunen im Kreis an der Grenze der Belastbarkeit angekommen sind. Ist das in Balingen wirklich so?
Wir sind da noch in einer glücklichen Lage: Wir haben auf dem Lochen oben eine Flüchtlingsunterkunft. Das ist eine ehemalige Jugendherberge, die aber momentan für Flüchtlinge genutzt wird. Wir haben hier in der Beckstraße in Balingen ein größeres Gebäude, in dem wir Flüchtlinge in der Innenstadt unterbringen. Also da tut Balingen sehr viel mehr, als es eigentlich muss. Aber wenn sie bei Privatleuten nach Wohnungen fragen, ehrlicherweise ist es halt schwierig. Vor sechs Jahren waren die Menschen noch eher bereit, da ihre Privatwohnungen herzugeben. Und ich sage schon, was das angeht, sind wir an anderer Grenze angelangt. Wir brauchen aber auch das Signal vom Bund, bei den Sozialleistungen angefangen. Genauso auch müssen wir wirklich drüber nachdenken, wie Europa das stärker an den Außengrenzen hinbekommt. Wir haben es eigentlich selber in der Hand, mit den Sozialleistungen, dem Bürgergeld, alles was wir hier diesen Menschen anbieten. Das bekommen sie in Europa sonst nirgendwo, außer in Deutschland.
SWR Aktuell: Jetzt sind sie Mitglied bei der CDU. Kann man es mit einer christlichen Grundgesinnung vereinbaren, Menschen nicht aufnehmen zu wollen?
Diese Frage muss man sich täglich stellen, sei es jetzt in der Politik oder auch im Privatleben. Man kann nicht alle Wünsche erfüllen und so sehen wir Menschen, die mir wirklich von Herzen leid tun, die an einer Grenze anlangen und wieder zurückgeschickt werden müssen. Es gibt auch Dinge im Leben, die kann ich auch nicht ändern, die passieren einem und man kann sie nicht ändern. Und dann muss man trotzdem versuchen, da damit klarzukommen, gerade auch als Christ.
SWR Aktuell: Balingen wurde bereits zum zweiten Mal dieses Jahr als familienbewusste Kommune ausgezeichnet.
Es sind manchmal auch die kleinen Dinge. Wenn wir zur Geburt gratulieren, dann jeder Familie mit einem kleinen Schreiben vom Oberbürgermeister. Dann gibt es da auch ein Babylätzchen dazu. Familien und Kinder sind uns viel wert.
SWR Aktuell: Sind sie auch privat ein Familienmensch?
Wir haben vier Kinder, und wenn es die Zeit irgendwie zulässt, dann bin ich gern bei meiner Familie. Das hat oberste Priorität.
SWR Aktuell: Ihre Tochter hat eine Hirnhautentzündung lag im Wachkoma, als Sie ihr Amt angetreten hatten. Wie geht es ihr jetzt?
Es geht ihr Gott sei Dank etwas besser. Sie muss das Atmen wieder lernen. Wir sind dabei, sie vom Atemgerät wegzubekommen. Wir haben sie jetzt auch in eine Einrichtung hier in der Nähe verlegt. Das macht es uns als Familie wieder leichter, zusammen zu leben, und insofern sind wir da eigentlich recht hoffnungsfroh, jetzt auch mit Blick auf Weihnachten, dass wir dann wieder gemeinsam beisammen sind.
SWR Aktuell: Wie schafft man das, so schwierige Zeiten zu überbrücken, zu überdauern?
Zusammenhalt in der Familie ist das Entscheidende. In Balingen habe ich auch viel Unterstützung bekommen, Menschen, die sagen, wir haben da vollstes Verständnis, dass sie an den Wochenenden jetzt nicht auch noch hier bei uns sein können. Also das tut auch wahnsinnig gut. Und mir hilft auch der Glaube wahnsinnig viel. Auch wenn, wenn es Tage gibt, wo man zweifelt. Aber der Glaube, dass man sich doch auch irgendwo, ja sich gebettet fühlen darf und sagen darf, es gibt halt eine größere Macht, die weiß, was sie tut und gut steuert, dass das Ganze vielleicht doch eine Bedeutung hat.
Das Interview hat die SWR-Reporterin Diana Deutschle geführt.