Die neue Bahnhofshalle des Stuttgarter Tiefbahnhofs (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod)

Mögliche Szenarien im Überblick

Stuttgart 21: Wann und wie wird der Bahnhof eröffnet?

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Frieder Kümmerer
Frieder Kümmerer (Foto: privat)

Fast wöchentlich gibt es inzwischen Berichte mit neuen Details über die Verzögerungen bei Stuttgart 21. Doch wie könnte eine Inbetriebnahme aussehen? Eine Analyse.

Offiziell heißt es vonseiten der Bahn immer noch: Die geplante Eröffnung des Tiefbahnhofs und des neuen Digitalen Bahnknotens ist nach wie vor für Dezember 2025 vorgesehen. Doch längst ist klar: Der Termin ist nicht mehr einzuhalten. Das haben verschiedene Recherchen des SWR, von "DER SPIEGEL" und der "Stuttgarter Zeitung" in den vergangenen Wochen gezeigt. Es geht um Fehlplanungen, technische Schwierigkeiten und Geld. Drei Szenarien scheinen sich abzuzeichnen, auf die das Projekt gerade zusteuert. Alle drei haben ihre Tücken.

Szenario 1: Stuttgart 21 wird 2025 in Betrieb genommen

Von einer pünktlichen Inbetriebnahme kann ohnehin nicht mehr die Rede sein. Schließlich sollte das gesamte Projekt schon vor Jahren fertiggestellt und eröffnet werden. Zurzeit hält die Bahn am Eröffnungstermin im Dezember 2025 fest. "Es handelt sich um die komplexeste Inbetriebnahme eines neuen Eisenbahnknotens der vergangenen Jahrzehnte mit deutschlandweiten Auswirkungen und ist beispiellos in Europa", so die Bahn.

Und ein Blick auf dieses Szenario lohnt sich - selbst wenn es eigentlich nicht mehr bis 2025 zu schaffen ist. Denn wer regelmäßig an der Bahnhofsbaustelle in Stuttgart vorbei läuft, kann sehen: Es geht offensichtlich voran. Die neue Bahnhofshalle nimmt wöchentlich weiter Gestalt an, die Lichtaugen aus Glas werden eingesetzt, der Rohbau ist fertiggestellt, die Arbeiterinnen und Arbeiter haben mit dem Innenausbau begonnen.

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Doch nahezu jeder Bauabschnitt im Tiefbahnhof selbst ist aus dem Zeitplan geraten. Der Innenausbau hat laut Insidern der Bahn viel später begonnen als für eine pünktliche Fertigstellung notwendig gewesen wäre. Die Installation der Glasaugen dauere länger als zunächst angenommen, heißt es aus Baustellenkreisen. Die meisten Verspätungen müssten innerhalb der nächsten Monate irgendwie aufgeholt werden, damit nicht nur Züge im Tiefbahnhof fahren, sondern auch alle Anforderungen für einen funktionierenden Bahnhofsbetrieb zur Verfügung stehen. Ein Unterfangen, das fast unmöglich erscheint.

Ein weiterer Punkt, der die Inbetriebnahme allerdings nicht direkt beeinflussen würde: Auch die Arbeiten am Bahnhofsgebäude, dem Bonatzbau, sind stark im Verzug. Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) erklärte im Dezember dem SWR gegenüber, dass 2025 lediglich die Wege durch den Bonatzbau zu den Gleisen freigegeben werden können. Geschäfte, Einrichtungen, Innenaustattungen - das alles werde dann noch nicht fertig sein.

Der neue Tiefbahnhof in Stuttgart nimmt gestalt an (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod)
Man kann schon ahnen, wie es einmal aussehen wird. Hier sollen in wenigen Jahren die Züge ein- und ausfahren. Doch wann der neue Tiefbahnhof in Betrieb geht, ist zurzeit unklar.

Technische Probleme und Herausforderungen

Es gibt noch ein weiteres Problem: die neue digitale Sicherungstechnik ETCS (European Train Control System). Damit soll zukünftig der Bahnbetrieb gesteuert werden - nicht nur im Tiefbahnhof, sondern im gesamten neuen Bahnknoten von Stuttgart. Aber der Einbau und die Einrichtung der neuen Technik gestalten sich deutlich schwieriger und komplexer als zuerst vermutet. Der SWR hatte im Dezember darüber berichtet. Zwar hat die neue Technik weitreichende Unterstützer und Befürworter - Bahnexperten sind sich einig, dass die Technik zukunftsweisend ist und den Bahnverkehr europaweit vereinfachen würde - aber die Bahn und ihr Partnerunternehmen Thales scheinen sich mit dem Projekt übernommen zu haben.

Der frühere Chef der Schweizer Bundesbahnen (SBB), Benedikt Weibel, erklärte im Februar dem SWR: "Wenn Sie einen digitalen Bahnhof machen wollen, den es in dieser Größenordnung und dieser Komplexität noch nirgendwo gibt - warum soll das ausgerechnet der Deutschen Bahn gelingen? Das ist Harakiri." Ein Szenario, das daher anscheinend ebenfalls diskutiert wird: eine Teilinbetriebnahme.

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Szenario 2: Nur ein Teil des Bahnknotens geht 2025 in Betrieb

Eine Teilinbetriebnahme würde bedeuten, dass der alte Kopfbahnhof vorerst weiter in Betrieb bleibt und nur einzelne Züge durch den Tiefbahnhof geleitet werden. Vermutlich würde dann primär der Fernverkehr zwischen Mannheim und Ulm im neuen Bahnhof halten. So haben "SPIEGEL" und "Stuttgarter Zeitung" bereits berichtet, so wird es auch aus Insider-Kreisen dem SWR bestätigt. Für viele Stuttgart-21-Gegnerinnen und -Gegner dürfte damit ein Traum in Erfüllung gehen: Zumindest auf Zeit gäbe es dann einen Kombi-Bahnhof, wie von vielen gefordert.

Doch auch dieses Szenario birgt Probleme: Bahnexpertinnen und -experten sowie Mitarbeitende der Bahn erklären, dass ein kombinierter Fahrbetrieb von Tief- und Kopfbahnhof nie vorgesehen war. Technisch gesehen würde das einige Herausforderungen mit sich bringen. Auf den Zulaufstrecken müsste ermöglicht werden, dass Züge sowohl in den alten Bahnhof mit der alten Technik einfahren können, als auch in den neuen Bahnhof mit dem neuen System ETCS. Züge müssten schon Kilometer vorher im entsprechenden Zugsicherungssystem fahren, um an der entsprechenden Weiche in den richtigen Bahnhof abbiegen zu können.

Der Stuttgarter Kopfbahnhof von oben - daneben die Stuttgart-21-Baustelle (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa/Werner Kuhnle | Werner Kuhnle)
Der Stuttgarter Kopfbahnhof von oben. Schon längst sollte der eigentlich durch den neuen Tiefbahnhof ersetzt werden. Jetzt könnte es sein, dass der Kopfbahnhof auch nach 2025 noch weiterhin gebraucht wird.

Teilinbetriebnahme von niemandem gewollt?

Außer der Bahn scheint niemand eine Teilinbetriebnahme zu wollen. Aus der Landespolitik ist zu vernehmen, dass eine Teilinbetriebnahme keine Option sei. Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) erklärte im Dezember: "Einen Holperstart können und werden wir uns nicht leisten."

Ähnliches hört man aus Kreisen der Stadt Stuttgart. Die Stadt hätte nichts von einer Teilinbetriebnahme, denn die Flächen des Kopfbahnhofes stünden der Stadt erst zur Verfügung, wenn oben am Kopfbahnhof der gesamte Betrieb eingestellt worden ist.

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Szenario 3: Die gesamte Eröffnung wird verschoben

Auf diese Variante warten wohl die meisten. Denn zahlreiche Indizien deuten darauf hin, dass eine spätere komplette Inbetriebnahme einiges einfacher machen würde. Alle Gewerke hätten mehr Zeit, ihre Aufgaben abzuschließen. Der Testbetrieb des neuen Bahnknotens könnte mit genug Zeit durchgeführt werden.

Und: Auch andere Teile des Projektes, die erst später geplant waren, könnten direkt mit in Betrieb genommen werden; wie zum Beispiel der neue Bahnhof am Flughafen Stuttgart, der im Dezember 2026 fertig werden soll. Dass Folgeprojekte, die aus Stuttgart 21 entstanden sind, wie der Pfaffensteigtunnel zwischen Böblingen und dem Flughafen-Bahnhof oder die finale Ausbaustufe des Digitalen Knotens noch Jahre dauern werden, ist hierbei nicht berücksichtigt.

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Doch wie bei allen Szenarien gibt es auch hier Herausforderungen. Unter anderem sind andere Teile des Bahnknotens dann bereits fertig. Allen voran die Tunnelanlagen in der Stuttgarter Innenstadt. Andere Beispiele in Deutschland machen das Problem deutlich: Tunnel werden gebaut, damit sie durchfahren werden. Beim skandalgeplagten Flughafen BER in der Bundeshauptstadt war Jahre vor Fertigstellung des Flughafens der U-Bahn-Tunnel bereits fertig.

Regelmäßige "Belüftungsfahrten" mussten gewährleisten, dass die Tunnel nicht feucht wurden und rosteten. Auch die Angst, dass sich Tiere wie Fledermäuse im Tunnel ansiedeln, wie das immer wieder vorkommt, dürfte groß sein.

Ein weiterer Punkt: Eine Verzögerung der Inbetriebnahme kostet Geld. 400 Millionen Euro kostet eine Verschiebung pro Jahr, munkelt man im Hintergrund. Um die Mehrkosten tobt schon seit knapp einem Jahr ein großer Streit vor dem Verwaltungsgericht. Denn bisher ist unklar, wer für die Mehrkosten aufkommen muss.

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Bis zum Sommer muss eine Entscheidung getroffen sein

Eines scheint klar: Es ist ein Ringen um die Frage, wie und wann man den neuen Bahnknoten in Betrieb nehmen kann. Niemand will schuld sein an einer Verzögerung. Und niemand will bisher die Tatsache aussprechen, dass der Termin nicht mehr einzuhalten ist und sich dafür verantwortlich zeigen.

Die Zeit wird aber eine Entscheidung herbeiführen, denn spätestens im Juni muss geklärt werden, wie der neue Bahnknoten und der Tiefbahnhof in Betrieb gehen werden. Denn ein neuer Bahnknoten wirkt sich auf den Eisenbahnverkehr in ganz Deutschland aus, und eineinhalb Jahre vor der Inbetriebnahme muss klar sein, unter welchen Voraussetzungen ein neuer Fahrplan gestaltet und geplant werden muss.

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