Ein Tropf hängt an einem Krankenhausbett auf dem Flur der Notaufnahme eines Krankenhauses. (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

Gesetzentwürfe im Bundestag gescheitert

Selbstbestimmtes Sterben: Therapeuten in BW fordern klare Regeln

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Matthias Roman Schneider

Bei der Entscheidung zur Sterbehilfe im Bundestag hat es keine Einigung gegeben. Psychotherapeuten und die Hospizbewegung in BW fordern klare Regeln und mehr Suizidprävention.

Der Bundestag hat am Donnerstag keine Reform der Sterbehilfe beschlossen. Die Hilfe bei der Selbsttötung wird in Deutschland weiterhin nicht gesetzlich geregelt. Somit gibt es keine rechtssichere Handhabe, wann tödliche Medikamente verschrieben werden dürfen. Es scheiterten zwei Entwürfe, die diese Art der Sterbehilfe rechtssicher ermöglichen, legale Suizidassistenz zugleich aber auch an Bedingungen knüpfen sollten. Die Suizidbeihilfe bleibt somit in Deutschland und auch in Baden-Württemberg weiterhin ungeregelt. Auch der Vorschlag für eine Neuregelung im Strafrecht ist im Bundestag gescheitert.

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Prävention müsse leichter zugänglich sein als Sterbehilfe

Während im Bundestag keine Klarheit geschaffen wurde, haben Therapeutinnen und Therapeuten in Baden-Württemberg klare Vorstellungen, was wichtig ist. Die Therapeutin Christa Wenzelburger aus dem Verein Arbeitskreis Leben in Stuttgart warnt: "Wenn Angebote des assistierten Suizids leichter zugänglich sind als niedrigschwellige Suizidprävention, als gute Pflege, leichter als psychotherapeutische Hilfen, kann eine gefährliche Schieflage entstehen." Die Gesellschaft müsse sich davor hüten, dass Menschen sich gedrängt oder aufgefordert fühlten, ihr Leben zu beenden. Suizidale Krisen seien nicht der Wunsch nach dem Tod.

"Suizidale Krisen sind meist nicht der Wunsch nach dem Tod, sondern der Wunsch nach einem Leben ohne die erdrückenden Lebensumstände."

Auch Regina Hertlein, Vorstandsvorsitzende des Caritasverbands Mannheim, wünscht sich dringend mehr Personal und Geld für Suizidprävention. Ihre größte Sorge ist, "dass sich Menschen unter Druck gesetzt fühlen, sich selbst zu töten, beispielsweise weil sie hilfsbedürftig sind und anderen nicht zur Last fallen wollen oder weil sie Angst vor den hohen Kosten eines Heimplatzes oder fehlender Versorgung haben." Aber jeder Mensch habe das Recht, auf Hilfe angewiesen zu sein.

Diese Haltung unterstützt Wenzelburger. "Parallel zum Gesetz zur Regelung der Suizidhilfe müssen in Deutschland flächendeckend Beratungsangebote vorhanden sein, die Menschen in Krisen niedrigschwellige Hilfe anbieten", so die Therapeutin aus Stuttgart.

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Suizid ist nicht illegal

Grundsätzlich ist der Suizid in Deutschland nicht verboten und ebenso wenig die Beihilfe. Die Gesetzentwürfe wollten aber genau festlegen, wer unter welchen Umständen ein tödliches Mittel verschrieben bekommen darf und vor Missbrauch schützen.

So betrifft die Sterbehilfe die Arbeit in einem Hospiz

Menschen gehen zum Sterben in ein Hospiz: eine gängige Annahme. Aus Sicht der Hospizbewegung stimmt diese so aber nicht. Hardy Sauer ist Geschäftsführer des Vereins Ökumenische Hospizinitiative im Landkreis Ludwigsburg, er sagte dem SWR: "Wir stehen für Hilfe im Sterben, nicht beim Sterben!" Das heißt: im Hospiz sollen Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen natürlich im Sterben liegen, bis zu ihrem letzten Tag friedlich und glücklich leben. Assistierter Suizid habe viele Facetten und Fragestellungen. Bei einer Anfrage "würden wir natürlich das Gespräch anbieten", erklärte er. Man würde allerdings versuchen, auf Alternativen wie psychologische Beratung hinzuweisen.

Menschen suchen Auswege

Harald Mayer aus Ramstein-Miesenbach (Rheinland-Pfalz) beispielsweise hat Multiple Sklerose im fortgeschrittenen Stadium. "Die Blase ist kaputt, ich habe einen Katheter. Was ist denn, wenn die nächsten Organe folgen? Was ist denn, wenn die Niere kaputtgeht? Ich halte mich nur noch mit meiner Elektronik über Wasser."

Im vergangenen Jahr hatte die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben geklagt: Menschen haben den Wunsch, ihr Leben selbstbestimmt zu beenden. Harald Mayer möchte nicht, dass ihm jemand anderes eine tödliche Medizin gibt. Der 51-Jährige will im Kreise seiner Familie selbstbestimmt sterben. So hatte er es vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster gesagt.

Hintergrund: Bundesverfassungsgericht erkennt Recht auf Suizid an

In einem Grundsatzurteil erkannte das Bundesverfassungsgericht vor drei Jahren das Recht auf selbstbestimmtes Sterben an. Dieses Recht, sich selbst zu töten, umfasst demnach auch die Freiheit, sich dafür Hilfe bei Dritten zu holen. 2020 hat das Bundesverfassungsgericht ein seit 2015 bestehendes Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt, da es das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben verletzte. Dabei hat "geschäftsmäßig" nichts mit Geld zu tun, sondern bedeutet "auf Wiederholung angelegt", berichtete die Tagesschau.

Kein Fraktionszwang bei Entscheidung zu Sterbehilfe

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Die Entscheidung wurde parteiunabhängig, also ohne Fraktionszwang getroffen. Das bedeutet, jeder Abgeordnete ist dabei nur seinem eigenen Gewissen verpflichtet. Denn die moralischen Fragen beim Thema Sterbehilfe sind schwierig - und jeder hat unterschiedliche Beweggründe für seine Entscheidung.

Wie geht es jetzt weiter?

Wann in Berlin über einen neuen Gesetzentwurf beraten wird, steht noch nicht fest. Nach dem Scheitern der Gesetzentwürfe verabschiedete der Bundestag allerdings noch mit großer Mehrheit einen Antrag, in dem mehr Engagement für die Suizidprävention gefordert wird. Die Bundesregierung wird darin aufgefordert, ein Gesetz für die Verhinderung von Suiziden auf den Weg zu bringen. Angeregt wird ein deutschlandweiter Präventionsdienst, der rund um die Uhr für Menschen mit Suizidgedanken oder deren Angehörige online und telefonisch erreichbar ist. Für den Antrag stimmten 693 Abgeordnete. Es gab nur eine Nein-Stimme und vier Enthaltungen.

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