In Baden-Württemberg sollen Straßenränder und freie Flächen an Bundes- und Landesstraßen für Solaranlagen genutzt werden. Interessenten wie Stadtwerke, Genossenschaften oder Unternehmen im Bereich Photovoltaik haben dem Land dafür rund 650 mögliche Grundstücke gemeldet, erklärte Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) bei einer Pressekonferenz am Dienstag.
Von den 650 Flächen könnten einige nicht genutzt werden, weil sie nicht dem Bund oder dem Land gehörten, oder weil beispielsweise Artenschutzgründe dagegen sprächen, so der Minister. Letztlich seien aber knapp 260 mögliche Flächen an Bundes- und Landesstraßen gefunden worden, die für den Bau von Photovoltaikanlagen infrage kommen. Der mögliche Jahresertrag auf diesen Flächen liegt laut Hermann bei rund 122 Gigawattstunden, was einem Jahresverbrauch von rund 35.000 Drei-Personen-Haushalten entspreche.
Die meisten Flächen im Regierungsbezirk Stuttgart
Die meisten der Flächen liegen nach Angaben des Verkehrsministeriums im Regierungsbezirk Stuttgart (85), gefolgt von den Regierungsbezirken Karlsruhe (74), Tübingen (71) und Freiburg (26). Wann die Flächen bebaut werden, hänge davon ab, ob es Investoren dafür gebe. Außerdem spiele es eine Rolle, wie viele Solarmodule und Handwerker verfügbar seien. Er könne sich gut vorstellen, dass die Flächen in zwei bis drei Jahren mit Photovoltaikanlagen bebaut sind, erklärte Hermann.
Seit Februar 2022 konnten Energieversorger und andere beim Land ihr Interesse an derartigen Projekten anmelden. Laut Verkehrsministerium wurden 26 der 28 Anfragen positiv beantwortet. Mit dem Bau kann allerdings noch nicht gleich begonnen werden. Die Antragsteller müssen zunächst die Details mit den zuständigen Stellen der Straßenbauverwaltung abzuklären. Erst dann können die neuen Photovoltaikanlagen an Straßenrändern wirklich entstehen, erklärte Hermann.
Kretschmann ärgert sich über Verzögerung
Auf die Frage, warum man nicht früher auf die Idee gekommen sei, Photovoltaikanlagen an Straßenrändern zu bauen, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), das könne er nicht wirklich erklären - geärgert habe es ihn aber. Er verglich die Situation mit der Erfindung des Rollkoffers: Die Rädchen am Koffer seien auch erst spät erfunden worden, obwohl das eigentlich naheliegend sei. Aber viele Generationen hätten Koffer schleppen müssen, so der Ministerpräsident.
Für die Opposition ist die Initiative der Landesregierung wenn überhaupt nur ein Anfang. Die Idee sei gut, findet Christian Jung von der FDP. Es dürfe aber nicht enden wie mit den von der Landesregierung angekündigten 1.000 Windrädern, von denen bisher nur ein Bruchteil gebaut wurde.
Vor allem freie Flächen an Zu- und Abfahrten geeignet
Als Standorte für die geplanten Photovoltaikanlagen an Straßenrändern kommen vor allem sogenannte Innenohren infrage - also die Freiflächen zwischen den Zu- und Abfahrten zu einer Schnellstraße. Laut einer Hochrechnung des Ministeriums könnten neben den jetzt ins Auge gefassten 170 "Innenohren" an Bundes- und Landesstraßen künftig rund 200 weitere derartige Flächen für Photovoltaik genutzt werden. Aber auch an Lärmschutzwänden und an Böschungen könnten Solaranlagen entstehen.
Ein Vorreiter in Baden-Württemberg sind die "Lustnauer Ohren" an der Bundesstraße B27, Tübingens größte Anlage für Photovoltaik. Neben einer der am stärksten befahrenen Bundesstraßen Deutschlands zwischen der Universitätsstadt und Stuttgart wurden dort 2.880 Photovoltaikmodule auf zwei kreisförmigen Geländestücken aufgestellt. Nach Angaben der Stadtwerke ist die Modulfläche knapp 5.400 Quadratmeter groß.
Fast 15.000 Kilometer Bundes- und Landesstraßen in BW
In Baden-Württemberg gibt es nach bisherigen Angaben rund 4.840 Kilometer Bundesstraßen und etwa 9.650 Kilometer Landesstraßen. Ob die Flächen entlang der Straßen optimal für die solare Stromgewinnung genutzt werden können, hängt von ihrer Ausrichtung und Lage ab. So kommen vor allem Böschungsflächen oder Lärmschutzbauwerke in Ost-Westrichtung infrage.