Schülerinnen und Schüler  (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Felix Kästle)

Personalmangel an Schulen

Statt höherer Mindestarbeitszeit: Teilzeit-Lehrer in BW sollen freiwillig aufstocken

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Die Landesregierung in BW nimmt ihren Vorstoß für eine höhere Mindestarbeitszeit bei Teilzeitlehrern zurück - und appelliert stattdessen, diese sollten freiwillig mehr unterrichten.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte im April erklärt, angesichts der Ankunft von Tausenden geflüchteter Kinder und Jugendlichen aus der Ukraine brauche das Land dringend mehr Lehrkräfte. Sein Vorschlag damals: Die Mindestarbeitszeit für Beamtinnen und Beamte in Teilzeit von 25 auf 30 Prozent erhöhen. Das hätte bedeutet, dass diejenigen Lehrkräfte, die nur 25 Prozent der üblichen Stundenzahl unterrichten, auf 30 Prozent aufstocken müssen. Das ist jetzt vom Tisch. Stattdessen gibt es einen Appell der Landesregierung an alle Lehrkräfte in Teilzeit, freiwillig etwas mehr zu arbeiten.

Bitte: "Eine, zwei oder drei zusätzliche Stunden unterrichten"

Kretschmann hat sich zusammen mit Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) in einem Brief an Schulleitungen und Lehrkräfte gewandt. Darin heißt es, noch immer sei der Lehrermangel akut und werde durch geflüchtete ukrainische Schulkinder weiter verschärft. Die Lehrkräfte sollten sich überlegen, ob sie "nicht im kommenden Schuljahr eine, zwei oder drei zusätzliche Stunden unterrichten" könnten. "Wir wissen, dass wir Ihnen mit unserem Aufruf einiges abverlangen", schreiben beide weiter. Kretschmann und Schopper rechnen vor, dass sich dies beachtlich auf die Unterrichtsversorgung im Land auswirken würde. Unterrichte jede zweite Lehrkraft in Teilzeit eine Stunde zusätzlich pro Woche, könnten laut dem Schreiben im kommenden Schuljahr rund 1.000 Deputate - also Lehraufträge - dazugewonnen werden.

Einen weiteren Appell richtet die Landesregierung an ältere Lehrkräfte: "Bitte überlegen Sie sich doch (...), ob Sie Ihren anstehenden Ruhestand noch etwas hinausschieben und uns als Pensionärin oder Pensionär unterstützen können", heißt es in dem Schreiben.

Philologenverband reagiert fassungslos

Der Vorsitzende des Philologenverbands Baden-Württemberg (PhV BW), Ralf Scholl, reagierte fassungslos auf Brief und Bitte. "Wir finden es eine Ungeheuerlichkeit, dass die nach zweieinhalb Corona-Jahren völlig erschöpften Lehrkräfte gebeten, ja beinahe angebettelt werden, für die Landesregierung die Kastanien aus dem Feuer zu holen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Der Verband forderte, zusätzliche Stunden müssten auch bezahlt werden. "Von dem dafür notwendigen Nachtrags- oder Sonderhaushalt ist aber bislang nichts zu sehen", so Scholl.

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Kultusministerium: Erhöhung der Mindestarbeitszeit wenig sinnvoll

Die Idee, wegen des Lehrermangels die Mindestarbeitszeit für Beamtinnen und Beamte in Teilzeit zu erhöhen, hat das Kultusministerium nach eigenen Angaben umfassend geprüft. "Allerdings hat die Prüfung ergeben, dass wir dadurch lediglich 80 bis 120 Deputate gewinnen würden. Deshalb werden wir die Idee nicht weiterverfolgen", so eine Regierungssprecherin am Mittwoch.

VBE begrüßt Entscheidung der Regierung

Der Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Gerhard Brand, begrüßt diesen Sinneswandel der Regierung. Lehrkräfte hätten sich oft aus familiären Gründen ganz bewusst für die Teilzeit entschieden und dadurch auch anteilig auf Gehalt verzichtet. "Eine erzwungene Erhöhung der Teilzeit hätte bei vielen von ihnen dazu geführt, ihren Dienst ganz niederlegen zu müssen", sagte Brand. "Dadurch wäre das Ziel der Landesregierung konterkariert worden."

Lehrerinnen und Lehrer haben ein Recht auf Teilzeit

Verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer haben grundsätzlich Anspruch darauf, ihr Deputat, also ihre Unterrichtsstundenzahl, auf bis zu 50 Prozent zu reduzieren. Ein Antrag auf Teilzeit aus familiären Gründen kann nur abgelehnt werden, wenn zwingende dienstliche Gründe entgegenstehen. Deputate unter 50 bis mindestens 25 Prozent sind genehmigungspflichtig. Die Untergrenze bei der Teilzeit liegt seit einer Änderung unter Grün-Rot vor rund fünf Jahren bei 25 Prozent - vorher waren es noch 30 Prozent. Entsprechende Anträge werden bei Lehrkräften individuell vom jeweiligen Regierungspräsidium geprüft.

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