Lehrerin mit Mundschutzmaske im Präsenzunterricht, Corona-Krise, Stuttgart, (Foto: IMAGO, imageBROKER/MichaelxWeber)

Forsa-Befragung

Zwei Jahre Corona-Pandemie: Lehrkräfte in BW am Limit

Stand

Lehrermangel und Corona-Pandemie zehren an den Kräften des baden-württembergischen Lehrpersonals. Laut einer Forsa-Befragung stehen vier von fünf Lehrkräften am Rand der Erschöpfung.

Nach zwei Jahren Pandemie stehen fast alle Lehrerinnen und Lehrer in Baden-Württemberg laut einer Umfrage am Limit. Vier von fünf Lehrkräften in Baden-Württemberg fühlen sich stark oder sehr stark belastet. Die meisten dehnen ihre Arbeit auf die Wochenenden, viele auch auf die Nachtstunden aus und sehen dennoch vor allem klaffende Lücken im Lern- und Lehrplan. Das zeigen Daten einer repräsentativen Forsa-Befragung im Auftrag der Robert Bosch Stiftung, die am Donnerstag veröffentlicht wurde.

Körperliche und mentale Erschöpfung bei Lehrkräften wegen Corona

Laut Deutschem Schulbarometer erleben rund 90 Prozent der Befragten ihr Kollegium an den Schulen in Baden-Württemberg stark oder sehr stark belastet. Bundesweit arbeiten mehr als 79 Prozent der Lehrerinnen und Lehrern in der Regel auch an Wochenenden, für 60 Prozent ist Erholung in der Freizeit kaum noch möglich. Etwa jede zweite Lehrkraft an einer deutschen Schule fühlt sich laut der Umfrage körperlich (62 Prozent) oder mental erschöpft (46 Prozent).

Fast für Hälfte der Lehrkräfte Unterricht derzeit Krisenmanagement

"Lehrkräfte stehen enorm unter Druck", sagte Dagmar Wolf von der Robert Bosch Stiftung. Sie müssten nicht nur die Digitalisierung im Rekordtempo nachholen, Corona-Richtlinien überwachen und Lernrückstände aufarbeiten. Es gelte auch, den Fachkräftemangel abzufedern und eine steigende Zahl von geflüchteten ukrainischen Kindern und Jugendlichen in die Schulen zu integrieren. Für 44 Prozent der bundesweit Befragten besteht ein Großteil des Unterrichts derzeit aus Krisenmanagement, das gilt vor allem für Haupt-, Real-, Gesamt- und Grundschulen.

GEW: BW-Regierung unterschätzt Lehrermangel an Schulen

Die deutliche Arbeitsbelastung in den Schulen sollte die baden-württembergische Landesregierung nach Einschätzung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) alarmieren. "Ich hoffe, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann und seine Regierung die Ergebnisse sehr ernst nehmen", sagte die baden-württembergische Landesvorsitzende der GEW, Monika Stein, der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag. Die Lehrkräfte seien "am Anschlag", das Land müsse dringend mehr investieren und vor allem die Zahl der Studienplätze ausbauen, forderte Stein und kritisierte: "Die Regierung unterschätzt den Lehrermangel und seine Tragweite."

Kultusministerin: Lehrkräfte zeigen "unglaublichen Einsatz"

Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) zeigt sich durch das Schulbarometer wenig überrascht. "Es wird in der Öffentlichkeit gerne vergessen, dass die Schulen sowohl von der Corona-Pandemie als auch von den Folgen des Ukraine-Kriegs voll betroffen sind", sagte sie am Donnerstag. "Sie mussten die Umsetzung der Corona-Maßnahmen leisten und stemmen aktuell mit einem unglaublichen Einsatz die Beschulung der Schülerinnen und Schüler, die aus der Ukraine geflohen sind." Außerdem belaste der Lehrkräftemangel die Schulen. Deshalb seien die Kapazitäten bei den Studienplätzen in den Lehrämtern Grundschule und Sonderpädagogik erhöht worden. Zudem komme mit Freiburg ein weiterer Standort hinzu, wo das Lehramt Sonderpädagogik studiert werden könne.

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Schopper kritisiert fehlende Wertschätzung in der Gesellschaft

Schopper kritisierte allerdings auch, dass die Leistung der Lehrkräfte in der Gesellschaft nicht ausreichend gewürdigt werde. "Ich finde, dass der Beruf der Lehrkraft bei uns ein viel zu geringes Ansehen hat und wir sollten den Lehrerinnen und Lehrern mehr Anerkennung zukommen lassen", sagte sie. "Lehrkräfte haben nicht nachmittags frei und viele Ferien." In diesen Zeiten korrigierten sie unter anderem Klassenarbeiten, schrieben Stundenentwürfe oder telefonierten mit Eltern.

Nicht nur in den Kollegien zeigen sich die Spuren der Corona-Belastung. Auch bei den Schülerinnen und Schülern beobachten laut Forsa-Umfrage bundesweit fast alle Lehrkräfte (95 Prozent) seit Beginn der Pandemie zunehmende Verhaltensauffälligkeiten. Viele hätten wachsende Probleme, sich zu konzentrieren oder zu motivieren. Deutlich zugenommen hat laut Befragung auch die Aggressivität bei den Schülern. Allerdings werden der Umfrage zufolge nur an einem Drittel der deutschen Haupt-, Real- und Gesamtschulen und an jeder vierten Grundschule Sprechstunden von Schulpsychologen angeboten.

Zugleich schätzen immer mehr Lehrkräfte den Anteil der Schülerinnen und Schüler mit deutlichen Lernrückständen inzwischen höher ein. Im September 2021 hatten 33 Prozent der Schülerinnen und Schüler Lernrückstände, im April 2022 stieg der Anteil auf 41 Prozent, so die Lehrkräfte. Das betrifft vor allem Schulen, in denen mehr als die Hälfte der Schülerschaft eine andere Familiensprache als Deutsch spricht.

Zufriedenheit trotz starker Belastung

Trotz hoher Arbeitsbelastung sind laut der Forsa-Umfrage 78 Prozent der befragten Lehrkräfte in Baden-Württemberg noch immer zufrieden mit ihrem Job. "Lehrerin oder Lehrer wird man aus Überzeugung", sagte Dagmar Wolf von der Robert Bosch Stiftung. "Aber chronische Überlastung macht auf Dauer krank und unzufrieden. Schulen benötigen deshalb dringend zusätzliches Personal", warnte sie. Die Stimmungslage der aktiven Lehrerinnen und Lehrer könnte aber nicht nur in Baden-Württemberg den bereits deutlichen Lehrkräftemangel auch verstärken: Bundesweit mehr als jede zehnte Lehrkraft gab in der Befragung an, kürzertreten und ihre Unterrichtsstunden im kommenden Schuljahr verringern zu wollen. Das gilt vor allem für Teilzeitkräfte.

Dem möchte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) allerdings entgegenwirken. Um dem Lehrermangel entgegenzusteuern, hatte er zuletzt angeregt, eine Mindestarbeitszeit für Teilzeit-Lehrkräfte einzuführen. Die Teilzeit-Regelungen seien sehr großzügig, sodass vor allem viele Lehrerinnen nur relativ wenige Stunden unterrichteten, stellte Kretschmann fest. Er bekräftigte, wenn jede Lehrerin in Teilzeit eine Stunde mehr unterrichten würde, hätte man umgerechnet 1.000 Lehrerstellen.

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SWR