Ein Geldbeutel mit 20-Euro-Scheinen, die herausschauen. Das Bild bezieht sich auf die Gaspreisbremse, die im März 2023 greift, und die Energiepauschale für Studierende. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Christin Klose)

Finanzstreit in BW-Koalition

Negative Steuerschätzung: Kretschmann will Innere Sicherheit und Schulen priorisieren

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Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik (Foto: Henning Otte)

Die Landesregierung in BW muss mit sinkenden Steuereinnahmen zurechtkommen. Grüne und CDU müssen nun klare politische Prioritäten setzen. Verkehrswende und Klimaschutz könnten dabei unter die Räder kommen.

In der grün-schwarzen Koalition in Baden-Württemberg zeichnet sich nach der negativen Steuerschätzung ein Finanzstreit ab. Die Steuereinnahmen sinken bis 2025 um 445 Millionen Euro. Trotzdem beharren die Ministerien auf ihren Projekten. Manche Minister haben bessere Karten, andere schlechtere.

BW-Innenminister Strobl pocht auf 700 Millionen Euro mehr

Allein Innenminister und Vize-Regierungschef Thomas Strobl (CDU) hat nach SWR-Informationen fast 700 Millionen Euro zusätzlichen Bedarf angemeldet. Der CDU-Politiker will den Neubau des Landeskriminalamts (LKA) beschleunigen und das dazugehörige Rechenzentrum schnell errichten. Das Projekt soll 470 Millionen Euro kosten, wie aus einer Aufstellung des Innenministeriums hervorgeht, die dem SWR vorliegt. Strobl pocht auf einen schnellen Bau, nachdem es in dem maroden LKA-Gebäude vor kurzem einen Kurzschluss gegeben hatte, der sich auch auf die EDV-Systeme von Polizeipräsidien im Land auswirkte. Eigentlich waren die ersten Vorbereitungen für den Neubau erst für 2025 geplant.

Wofür wird die Rücklage im Landesetat BW angezapft?

Die grün-schwarze Koalition hatte sich im Mai 2021 grundsätzlich auf das Projekt verständigt, doch die Finanzierung ist bisher nicht geklärt. Die Frage ist nun, woher das Geld für das neue LKA kommen soll - womöglich aus der Rücklage für Haushaltsrisiken, die Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) gebildet hat. Dieser Puffer im Doppelhaushalt 2023/2024 umfasst rund 2,5 Milliarden Euro. Doch Bayaz befürchtet, dass die Steuereinnahmen noch stärker einbrechen als bisher geschätzt. Zudem muss sich das Land ab Herbst auf Milliarden-Ausgaben für die Tarifsteigerungen für die Landesbediensteten im Öffentlichen Dienst einstellen. Bayaz wird spätestens dann einen Nachtragsetat vorlegen müssen. Doch auf Antrag der CDU soll sich die Spitzen der Koalition schon bald in der Haushaltskommission treffen.

Kretschmann nennt Innere Sicherheit und Schule als Prioritäten

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) betonte am Dienstag in Stuttgart, seine Regierung müsse sich angesichts der negativen Steuerschätzung noch stärker als bisher auf die "Kernaufgaben" des Landes konzentrieren. "Es steht bei mir nichts vor der Klammer", sagte der Grünen-Politiker. Allerdings gebe es unabweisbare Investitionsbedarfe. Dazu gehörten die Innere Sicherheit und die Schulpolitik. "Diese haben hohe Priorität, das ist ja logisch", sagte Kretschmann.

Innenminister Strobl pflichtete am Dienstag bei, es gelte nun "das Notwendige vom Wünschenswerten" zu unterscheiden. Der CDU-Politiker verwies darauf, dass der Neubau des LKA schon im Kabinett beschlossen worden sei. "Das ist notwendig", so Strobl. Er wolle das Projekt beschleunigen und keinesfalls verschieben. Die Kosten seien auch nicht auf einen Schlag fällig, sondern über mehrere Jahre zu finanzieren.

Baden-Württemberg

Ministerien müssen 600 Millionen Euro einsparen Doppelhaushalt in BW: Koalition will "Knautschzone" für Krisen

Trotz deutlich höherer Steuereinnahmen sollen die Ministerien in BW für den Doppelhaushalt 2023/24 rund 600 Millionen Euro einsparen. Nicht zuletzt wegen des Ukraine-Kriegs.

Innenminister warnt: Keine Sicherheit nach Kassenlage

Innenminister Strobl will auch die IT-Ausstattung der Polizei und der Verwaltung modernisieren und beansprucht dafür 150 Millionen Euro. "Damit kann der IT-Betrieb aufrechterhalten, die Sicherheitsarchitektur verbessert und die Polizei im Hinblick auf künftige Anforderungen zukunftssicher gemacht werden." Darüber hinaus fordert er einen Zuschuss in Höhe von 50 Millionen Euro für den Betrieb der Polizeipräsidien, um die Kostensteigerungen aufzufangen. Es dürfe keine "Sicherheit nach Kassenlage" geben, schreibt das Ministerium in dem Papier. Die Polizei habe im vergangenen Jahr trotz sparsamer Haushaltsführung ein Defizit von 4,3 Millionen Euro gemacht.

Allerdings hatte der grüne Finanzminister Bayaz am Montag erklärt, die Steuerschätzung sei eine "Zäsur". Und weiter: "Wir müssen uns auf eine neue finanzpolitische Realität einstellen, in der zusätzliche Aufgaben nicht mit frischem Geld, sondern mit klaren politischen Prioritäten angegangen werden müssen." Zur Erinnerung: Auch der Koalitionsvertrag von Grünen und CDU steht unter Finanzierungsvorbehalt.

Verkehrswende in BW akut in Gefahr

Das könnte auch bedeuten, dass Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) das Herzstück der von ihm geplanten Verkehrswende erstmal abschreiben muss: Die Mobilitätsgarantie. Sollte das der Fall sein, dürfte es dem Koalitionspartner CDU nicht unrecht sein. Denn: Die CDU zweifelt sowieso am Sinn der Maßnahme und fragt, woher die zusätzlich benötigten Busfahrerinnen und Busfahrer kommen sollen. 

Dabei hatte Hermann erst vor kurzem intern eine neue detaillierte Berechnung für die Kosten der Mobilitätsgarantie vorgelegt. Demnach würde der Einstieg in die deutlich verbesserte Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr vor allem auf dem Land 220 bis 240 Millionen Euro kosten, erfuhr der SWR aus dem Verkehrsministerium.

Hermanns Ziel ist es eigentlich, dass ab 2026 im ländlichen Raum in den Hauptverkehrszeiten der Halbstundentakt gilt und im Ballungsraum der Viertelstundentakt. In der zweiten Stufe bis 2030 soll dann den ganzen Tag gelten, dass im Ballungsraum der Viertelstundentakt gefahren wird und im ländlichen Raum der Halbstundentakt.

On-Demand-Angebote sollen Mobilitätsgarantie günstiger machen

Ursprünglich hatte das Ministerium die Kosten für den Endausbau der Mobilitätsgarantie auf 600 bis 800 Millionen Euro geschätzt. Nun soll der Betrag nach einer detaillierten Berechnung deutlich niedriger sein. So soll nicht überall auf dem Land regelmäßig der Bus fahren, sondern es soll auch On-Demand-Angebote mit Kleinbussen geben. Die Kommunen dringen trotzdem darauf, dass das Land die anfallenden Kosten übernimmt.

Nach der Steuerschätzung dürfte das Land versuchen, die Kommunen stärker in die Pflicht zu nehmen. Denn deren finanziellen Aussichten sind etwas besser: Sie erwartet für dieses Jahr ein Plus von 220 Millionen Euro. 2024 dürften nochmal 42 Millionen Euro hinzukommen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat mehrfach darauf verwiesen, dass die Kommunen die Möglichkeit erhalten sollen, eine Nahverkehrsabgabe ("Mobilitätspass") einzuführen. Diese müssten die Kommunen dann für die besser ÖPNV-Anbindung nutzen. Beim Mobilitätspass können die Kommunen entscheiden, ob sie alle Einwohnerinnen und Einwohner oder nur die Autofahrerinnen und Autofahrer zur Kasse bitten.

Kretschmann hatte vor kurzem erklärt, die Mobilitätsgarantie sei zwar wichtig, aber auch wichtige Projekte müssten finanzierbar sein. Hinzu kommt: Während Hermann auf die Garantie wegen der Klimaziele im Verkehrssektor pocht, hält Kretschmann den Umstieg auf E-Autos für entscheidend. Die Grünen-Fraktion erklärte jedoch am Montag ihre eigenen Prioritäten: "Konsequenter Klimaschutz, moderne Mobilität und gute Bildung". Hier müsse passgenau investiert werden.

Bayaz befürchtet sogar noch höheres Steuerminus

In Sachen Klimaschutz hat auch Finanzminister Bayaz große Aufgaben vor sich. Er soll die etwa 8.000 Landesgebäude sanieren und - wenn möglich - mit Solaranlagen versehen, schließlich soll die Landesverwaltung bis 2030 klimaneutral sein. Aber Bayaz hat jetzt andere Sorgen: Von Januar bis April hat das Land 1,5 Milliarden Euro weniger eingenommen als eigentlich geplant. "Wir haben eine Aufholjagd in den kommenden Monaten vor uns, sonst fällt das Ergebnis am Ende des Jahres schlechter aus als prognostiziert."

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