Ein Flugzeug fliegt über einen mit Stacheldraht gesicherten Maschendrahtzaun.  (Foto: dpa Bildfunk, Daniel Kubirski)

Integrationsbemühungen umsonst?

Kritik an BW-Landesregierung: Abschiebungen gut integrierter Ausländer gehen weiter

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Im August wollte Baden-Württemberg per Erlass gut integrierten Ausländern eine Bleibeperspektive eröffnen. Flüchtlingsrat, Grüner Jugend und SPD reicht das nicht.

Im August hat die Landesregierung in Baden-Württemberg einen Erlass herausgegeben, der gut integrierten Ausländerinnen und Ausländern eine Bleibeperspektive eröffnen sollte. Das zumindest ist die Überschrift auf Seiten der Landesregierung. Die Vorlage dazu kommt aus NRW - dort ist der Erlass schon seit Frühjahr 2021 in Kraft. Baden-Württemberg folgte vor zwei Monaten. Flüchtlingsrat, SPD und die Jugendorganisation der Grünen im Land kritisieren, der Erlass komme zu spät und werde ihrer Ansicht nach auch noch schlecht umgesetzt.

Grüne Jugend organisierte Demo gegen Abschiebungen

Bereits am Wochenende hatte die Grüne Jugend dagegen demonstriert. "Dieses Abschiebegefängnis muss sofort geschlossen werden und alle anderen dieser Art auch!", forderte am Sonntagnachmittag einer Redner bei einer Versammlung vor der Abschiebehaftanstalt in Pforzheim. In dieser zentralen Haftanstalt für Baden-Württemberg werden Menschen untergebracht, bei denen der Verdacht besteht, dass sie vor der Abschiebung untertauchen können. Im strömenden Regen demonstrierten dort Menschen gegen die aus ihrer Sicht menschenverachtende Praxis der Landesregierung.

Organisiert hatte die Demo die Grüne Jugend, die Jugendorganisation der Grünen, die mit der CDU die Landesregierung in Baden-Württemberg stellen. Laut ihrer Sprecherin Sarah Heim geht es darum, dass Menschen, die seit Jahren in Deutschland sind, Arbeit gefunden haben und sich in die Gesellschaft integriert haben, trotzdem mit Gewalt aus ihr heraus gerissen werden. Heim ist überzeugt: "Dafür können wir nicht stehen."

Erlass sollte Bleibeperspektiven verbessern

Bereits im August hatte die Landesregierung einen Erlass herausgegeben, der die Bleibeperspektiven gut integrierter Ausländer im Land verbessern sollte. Darin sind Anwendungshinweise für bereits geltende Gesetze. So soll in der Praxis die die Voraufenthaltszeit von bislang acht auf sechs Jahre verkürzt werden. Wenn Kinder dabei sind, wird der Mindestaufenthalt von sechs auf vier Jahre reduziert. Künftig sollen sechs beziehungsweise vier Jahre Aufenthalt, nachweislich gute Integration und gute Sprachkenntnisse reichen, um nach dem Aufenthaltsgesetz des Landes bleiben zu können.

Für Sarah Heim von der Grünen Jugend ist das ein Anfang. "Das ist ein guter, wichtiger Schritt. Allerdings wurde der sehr spät umgesetzt", sagt Heim. In der Zwischenzeit seien viele Menschen abgeschoben worden, die davon profitieren hätten können.

Der Flüchtlingsrat hat im ersten halben Jahr 867 Menschen gezählt, die aus Baden-Württemberg abgeschoben wurden. Laut Migrationsministerium des Landes sind von Anfang August bis zum 23. September 246 Menschen abgeschoben worden - im Verhältnis kaum eine Änderung seit Inkrafttreten des Erlasses. Das sorgt für Enttäuschung bei der SPD, der größten Oppositionspartei im Landtag.

SPD-Abgeordnete kritisiert Zunahme von Abschiebungen

Ihre Integrationspolitische Sprecherin, die Tübinger Abgeordnete Dorothea Kliche-Behnke (SPD), sagt: "Es sieht derzeit so aus, dass wir im Moment eher eine Zunahme an Abschiebungen haben." Das sei dramatisch vor dem Hintergrund, dass sich die Bundesgesetzgebung aktuell genau in die andere Richtung entwickle. Selbst Menschen in Sozial- und Gesundheitsberufen, in denen händeringend Arbeitskräfte gesucht werden, würden weiter abgeschoben. "Dafür fehlt uns jegliches Verständnis", sagt Kliche-Behnke.

Schon im August hatte der SWR über die Abschiebung der Freiburger Pflegerin Zoufinar Murad berichtet:

Nach offiziellen Zahlen war im Sommer die Zahl der Abschiebungen tatsächlich wieder gestiegen. Denn aufgrund der Corona-Pandemie waren viele Abschiebungen verhindert worden. Durch die Einstellung beziehungsweise Einschränkung des Flugbetriebes sowie wegen der vielerorts strikteren Einreiseregeln sei es in vielen Fällen nicht möglich gewesen, die Menschen zurückzuführen, hatte im Juli ein Sprecher des Landesregierung bestätigt.

CDU-Staatssekretär verteidigt Abschiebepraxis

Siegfried Lorek (CDU), der Staatssekretär für Migration in Baden-Württemberg verteidigt die aktuelle Politik der Landesregierung: "Die Kritik teile ich überhaupt nicht. Wir führen weiterhin Recht aus, wie es bisher war." Dazu sei das Land auch verpflichtet. Das Justizministerium werde weiterhin geltendes Bundesrecht umsetzen "und dazu gehören auch Aufenthaltsbeendigungen", so Lorek.

Die Bundesregierung hat sich im Sommer auf das Chancenaufenthaltsrecht geeinigt, das im Dezember in Kraft treten soll. Bis dahin fordert die SPD im Land einen Abschiebestopp, um dann nach neuer Gesetzeslage entscheiden zu können. Eine andere Forderung wird in Rheinland-Pfalz und Hessen angewandt: im Vorgriff auf das kommende Bundesgesetz haben diese Bundesländer einen Erlass herausgegeben: Demnach werden Abschiebungen von Menschen verhindert, die nach dem neuen Gesetz ein Chancen-Aufenthaltsrecht bekommen würden.

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