Eine Rentnerin schüttet Kleingeld aus einer Geldbörse auf den Küchentisch. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Felix Kästle)

Eine Betroffene aus Stuttgart erzählt

Tabuthema Altersarmut: Meistens trifft es Frauen

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Susanne Babila

Obwohl sie viele Jahre lang gearbeitet hat, ist eine 67-jährige Stuttgarterin von Altersarmut betroffen. Ihre monatliche Rente reicht kaum zum Leben. Ein Beispiel unter vielen anderen.

Die Rente von Anne Meier beträgt 680 Euro im Monat. Wie kann man davon in Stuttgart leben? Welche Unterstützung bekommt sie? Und was geht einer 67-jährigen Frau durch den Kopf, die 25 Jahre gearbeitet hat, aber als Rentnerin trotzdem finanziell kaum über die Runden kommt?

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Anne Meier heißt eigentlich anders. Wir nennen sie so, denn sie möchte anonym bleiben. Die 67-jährige Rentnerin sucht regelmäßig Rat und Hilfe in der sozialen Beratungsstelle der Caritas im Seniorenwohnpark Mönchfeld in Stuttgart. Wenn es um Formalitäten geht, wie zum Beispiel einen Antrag auf Grundsicherung zu stellen, weil ihre Rente nicht zum Leben reicht. Darüber zu reden sei schwer, sagt sie, Altersarmut sei ein Tabuthema.

"Man schämt sich, zugeben zu müssen, dass man alleine nicht über die Runden kommt und das obwohl man sein Leben lang alles gegeben hat und dann reicht es am Ende nicht aus."

Frauen in BW bleiben im Schnitt 861 Euro Rente

Neue Berechnungen des Statistischen Bundesamtes in Deutschland zeigen, dass knapp die Hälfte der deutschen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland ein Nettoeinkommen von weniger als 1.250 Euro im Monat hat. Auf weniger als 1.000 Euro kommt demnach etwa jeder vierte Rentenempfänger. Der weitaus größere Teil davon sind Frauen. Auch in Baden-Württemberg lag 2021 die durchschnittliche Altersrente für Männer bei 1.327 Euro, bei Frauen hingegen nur bei 861 Euro. Auch deshalb, weil sie häufig weniger verdienen als Männer, sich länger und öfter der Familie widmen und nicht selten in schlecht bezahlten Jobs arbeiten.

Anne Meier erwähnt gegenüber ihren Kindern nur selten ihre finanziellen Sorgen, denn sie ist überzeugt, dass "eine Mutter doch für ihre Kinder sorgen müsse und nicht umgekehrt". Deshalb wendet sie sich mit ihren Problemen an Sozialarbeiterin Olga Weingart-Merk. Seit zwei Jahren arbeitet sie bei der Beratungsstelle der Caritas und betreut Seniorinnen und Senioren aus der Umgebung.

Eine junge Sozialarbeiterin sitzt an einem Schreibtisch (Foto: SWR)
Die Sozialarbeiterin Olga Weingart-Merk steht Frauen wie Anne Maier, die von Altersarmut betroffen sind, in der sozialen Beratungsstelle der Caritas in Stuttgart-Mönchfeld zur Seite.

Mit ihr (Olga Weingart-Merk) kann ich offen reden, dann finden wir gemeinsam Lösungen und reden auch darüber, dass es keine Schande ist, in eine Kleiderkammer zu gehen.

Obwohl sie 25 Jahre im Einzelhandel gearbeitet hat, reicht Anne Meier ihre Rente von 680 Euro kaum zum Leben. Nach ihrer Scheidung konnte sie nur in Teilzeit arbeiten, denn es gab damals keine Kindertageseinrichtungen für ihre zwei Kinder, die sie allein betreute. Mit 51 Jahren bekam sie einen Schlaganfall.

Für ihr Alter konnte sie deshalb nur wenig vorsorgen. "Klar, man muss aufs Geld schauen. Zehn Euro sind für mich viel Geld. Friseurbesuche schiebt man solange es geht hinaus und wenn man eine Jacke braucht oder ein paar Schuhe, ist es nicht so, dass man in die Stadt geht und sich einfach etwas kauft. Das geht nicht. Auch Urlaube kann man vergessen", sagt Anne Meier.

Wohnen im Alter: Miete führt oft zu finanziellen Problemen

Anne Meier erhält eine Grundsicherung, das heißt, ihre Rente wird mit staatlichen Leistungen aufgestockt. Denn ihre Altersrente reicht gerade für Miete und Nebenkosten. Das Dach über dem Kopf schaffe meist das größte finanzielle Problem, sagt Sozialarbeiterin Olga Merk-Weingart: "Wenn Sie in Miete leben, ist jede Mieterhöhung ein großer Einschnitt, auch wenn die Strom- oder Gaspreise in die Höhe gehen. Selbst wenn Sie in ihrem Eigentum wohnen, müssen Sie schauen, ob etwas am Haus gerichtet werden muss."

In vielen Häusern, in denen Seniorinnen und Senioren wohnen, steht ein Umbau an, da häufig Badezimmer nicht altersgerecht ausgestattet sind oder ihnen das Treppensteigen zunehmend schwerfällt. Anne Meier lebt in einer 40 Quadratmeter großen Sozialwohnung im Seniorenwohnpark. Dort stehen 17 von 64 Wohnungen für Rentnerinnen und Rentner zur Verfügung, die einen Wohnberechtigungsschein besitzen und damit berechtigt sind, eine Sozialwohnung zu mieten. Doch viele haben Angst, auf das Sozialamt zu gehen und scheuen sich, Hilfe und Rat zu suchen. "Es steigt zwar die Zahl der Rentnerinnen und Rentner, die zu mir kommen", sagt Olga Weingart-Merk. Oft würden sie sich aber erst trauen Hilfe zu suchen, wenn es schon fast zu spät ist.

Viele verdrängen ihre Geldsorgen und häufen Schulden an. Sie kommen dann in letzter Minute zu mir, manche erst dann, wenn der Gerichtsvollzieher sich schon angemeldet hat.

Kaum Geld für Gesundheit oder Freizeit

Anne Meier hat keine Rücklagen für unerwartete Ausgaben wie Reparaturen im Haushalt. Auch eine ausgewogene Ernährung sei nicht einfach, sagt sie, ganz zu schweigen von einer vollumfassenden medizinischen Versorgung. Denn viele Medikamente sind rezeptfrei und müssen selbst bezahlt werden. Darüber hinaus bleibt auch Anne Meier so gut wie kein Geld für Freizeitaktivitäten, Geschenke oder einen Ausflug.

Hilfreich sind dann Angebote im Seniorenwohnpark wie ein Mittagstisch für zwei Euro, kostenlose Informationsveranstaltungen zu Hausnotruf oder Betrugsdelikten wie der "Enkeltrick" oder gemeinsames Yoga und Kegeln. Denn von Altersarmut Betroffene fühlen sich oft unsicher, sozial ausgegrenzt und einsam. Manchmal helfen auch die Kinder, sagt Anne Meier. Doch sie sei froh, dass ihr Sozialarbeiterin Olga Weingart in der Beratungsstelle zur Seite steht:

Sie fängt mich auf. Ich kam schon sehr zerknittert an und bin mit einem Lächeln wieder herausgegangen.

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Susanne Babila