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Therapie bei Demenz – Alternativen zum Ruhigstellen

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Dorothea Brummerloh
Dorothea Brummerloh (Foto: Dorothea Brummerloh)
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Christian Burg
Candy Sauer

Wenige Krankheiten sind so beunruhigend wie die Demenz. Betroffene verlieren das Gedächtnis, manche werden aggressiv. Um die Demenzkranken ruhigzustellen, verschreiben Ärzte häufig Psychopharmaka. Doch die haben schwere Nebenwirkungen. Sinnvoll ist eine aktivierende Pflege mit viel Bewegung.

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Demenz: Sammelbegriff für krankhafte Vergesslichkeit

"Demenz ist eine Verschlechterung der geistigen Leistungsfähigkeit, die fortschreitet und in ein paar Jahren so ausgeprägt ist, dass man nicht mehr selbstständig zurechtkommt und nach weiteren Jahren vollständig pflegebedürftig ist", so erklärt es der Psychiater Frank Jessen. Er leitet die Arbeitsgemeinschaft Klinische Demenzforschung an der Universität Köln.

Doch Demenz ist keine einheitliche Erkrankung, sondern ein Sammelbegriff für krankhafte Vergesslichkeit unterschiedlicher Ursachen. Auch die Symptome sind nicht einheitlich: Betroffene können still sein, in sich gekehrt und nett, aber auch aggressiv, laut und immer unterwegs. Gerade diese "Hinlauf-Tendenz", wie man das Ausbüxen medizinisch korrekt nennt, stellt Angehörige vor Herausforderungen.

Demenzkranke werden häufig mit Neuroleptika ruhiggestellt

Um die Situation zu entschärfen und die Belastungen für Angehörige zu minimieren, verschreiben Hausärtz*innen den Demenzkranken Neuroleptika. Diese Medikamente dämpfen die Patienten, d. h. sie werden ruhiggestellt. Die Verschreibungspraxis dieser Arzneimittel hat Prof. Gerd Glaeske, Gesundheitswissenschaftler der Universität Bremen, anhand von Versichertendaten untersucht und die Daten im Demenzreport 2020 veröffentlicht.

"Es werden zu viele Neuroleptika und Benzodiazepine verordnet", fasst Gerd Glaeske zusammen. Ein Drittel aller Patienten mit Alzheimer-Demenz bekommen Neuroleptika. Etwa elf Prozent bekommen zusätzlich Schlafmittel und Beruhigungsmittel. Im stationären Bereich sind es sogar 54 Prozent, die Neuroleptika bekommen. Das alles deutet darauf hin, dass es um die Ruhigstellung geht, aber nicht um eine Therapie, so der Gesundheitswissenschaftler Glaeske.

älterer Mann nimmt Medikamente (Foto: IMAGO, IMAGO / Shotshop)
Neuroleptika werden oft leichtfertig eingesetzt. Ein Drittel aller Patienten mit Alzheimer-Demenz bekommen Neuroleptika. Dabei sind diese Medikamente nicht ohne Risiko.

Zwischen 2017 und 2019 bekam zum Beispiel etwa ein Drittel der Betroffenen dauerhaft Wirkstoffe wie Risperidon oder Haldol, die üblicherweise bei Schizophrenie und Psychosen angewendet werden.

So liegt der Fehler gar nicht in einem gezielten und angemessenen Einsatz, sondern darin, dass die Medikamente oft sehr leichtfertig eingesetzt werden, erläutert der Psychiater Frank Jessen.

Neuroleptika schaden mehr als sie nutzen

Seit 2002 wissen Mediziner, dass diese Arzneimittel bei Menschen mit Alzheimer-Demenz mehr schaden als nutzen, so Gerd Glaeske. Gerade die längere Vergabe führt dazu, dass Demenzpatienten ein 1,7-fach erhöhtes Risiko haben, früher zu sterben als gleichaltrige Menschen, die keine Demenz haben. Neuroleptika erzeugen sogenannte Dyskinesien – parkinsonartiger Syndrome wie z. B. Zitterbewegungen und Unruhe.

Die immer noch weit verbreitete Verordnung dieser Mittel bei dementen Menschen sei langfristig keine akzeptable Strategie, kritisiert Gerd Glaeske im Demenzreport. Dieser Bericht belegt zudem, dass nur rund 20 Prozent der Patienten spezielle Mittel gegen Demenz erhalten.

Forschende setzen auf Früherkennung

Die Belastung für Angehörige und Pflegende ist enorm und den Kranken Psychopharmaka zu geben, ist keine Lösung. Eine Therapie, die die Alzheimer-Krankheit als häufigste Demenzform zum Stillstand bringen könnte oder heilen könnte, gibt es auch nicht. Andere Lösungen sind also gefragt. Und so setzen Forschende auf die Früherkennung, weiß Frank Jessen.

"Alles was kaputtgegangen ist im Gehirn, das kriegt man nicht mehr zurück. Deswegen ist das Ziel, diesen Prozess möglichst früh zu erkennen, früh zu behandeln und dadurch möglichst wenig Gehirn zu verlieren."

Gesunder Lebensstil beugt Demenz vor

Dazu zählt auch die Prävention: Bei vielen Erkrankungen gibt es inzwischen zahlreiche Hinweise, dass Bewegung, Ernährung und ein soziales Umfeld wichtige Faktoren für die Vorbeugung sind. Das gilt auch für die Demenz.

Zu den Risikofaktoren für Demenz zählen, so Frank Jessen:

  • Bewegungsmangel
  • jahrelange Schlafstörungen
  • wiederholte Kopfverletzungen, auch solche leichter Art
  • Rauchen
  • hoher Blutdruck
  • Übergewicht und
  • Diabetes

Durch einen gesunden, aktiven Lebensstil hat jeder die Möglichkeit, sein Demenzrisiko zu verringern. Auch frühzeitiges Gedächtnistraining wird empfohlen. Allerdings kann das Fortschreiten der Demenz damit nur verlangsamt werden.

Noch vor zehn Jahren dachten die Fachleute, dass Demenz schicksalhaft ist. Heute gehen sie davon aus, dass 40 Prozent des Risikos, eine Demenz zu bekommen, veränderbar sind.

Silviahemmet – Heimat für demente Menschen

In der Nähe der niedersächsischen Stadt Lohne liegt das St. Anna-Stift Kroge, das seit 2012 ein Pflegeheim beherbergt. Es betreut demente Menschen mit einem "aktivierenden Pflegekonzept". Grundlage dieses Pflegekonzeptes ist die "Silviahemmet®- Pflegephilosophie". Sie geht auf die schwedische Königin Silvia zurück, deren Mutter an Alzheimer erkrankt war.

Ziel ist es, eine möglichst hohe Lebensqualität für die dementen Menschen zu erreichen. Dazu sind nötig:

  • Symptomkontrolle
  • Teamarbeit
  • Kommunikation und
  • Angehörigenarbeit

Das sind die vier Säulen dieser Pflegephilosophie.

Glückliche, ältere Frau mit ihrer Tochter (Foto: IMAGO, IMAGO / agefotostock)
Um eine möglichst hohe Lebensqualität für demenzkranke Menschen zu erreichen, ist auch Angehörigenarbeit nötig.

Bei der Symptomkontrolle zum Beispiel müsse das Personal unterscheiden können: Was ist durch Demenz verursacht und was durch das Alter? Unruhe, Zittern oder Angst können auch banale Ursachen haben, weiß Christopher Eckhardt. Im Pflegeheim St. Anna Stift Kroge gehe man auf Ursachenforschung, wie ein Detektiv. "Es ist bei uns tatsächlich so, dass in 80 bis 90 Prozent der Fälle Medikamente reduziert werden können", erzählt Christopher Eckhardt.

Da in absehbarer Zeit kein Medikament auf den Markt kommen wird, Präventionsprogramme keine Allheilmittel sind und für die Versorgung bereits Erkrankter zu spät kommen, sind aktivierende Pflegekonzepte wie das im St. Anna Stift die Zukunft bei der Versorgung von Demenzkranken.

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