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Talent und Training – Was zu Spitzenleistung führt

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Jochen Paulus
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Es reicht nicht, 10.000 Stunden zu üben, um meisterlich in einem Fach zu werden. Und Talent allein genügt auch nicht. Motivation, Disziplin und ein förderndes Umfeld sind wichtig.

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Früher gab es eine einfache Erklärung für überragende Leistungen, vor allem in der Musik. "Wunderkinder" wie Wolfgang Amadeus Mozart, Franz Liszt, Clara Schumann und Frédéric Chopin galten als "Auserwählte" und wurden bei Konzerten in ganz Europa dem staunenden Publikum präsentiert. Heute sind angebliche Wunderkinder massenweise bei YouTube zu bestaunen. Sie singen, fiedeln und hauen in die Tasten – manche wirklich erstaunlich gut, manche nicht so sehr.

K. Anders Ericsson zeigte: Wer am meisten übt, bringt die beste Leistung

Vielleicht ist Talent gar nicht so wichtig, sondern nur das gezielte Üben? Das ist jedenfalls die These, mit der der aus Schweden stammende Psychologe Karl Anders Ericsson (1947 - 2020) berühmt wurde. 1993 erschien die bekannteste Studie, die Ericsson noch in seiner Zeit am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin an der dortigen Hochschule der Künste gemacht hatte. Sie wurde in der wissenschaftlichen Literatur seither etwa 14.000-mal zitiert, was extrem viel ist.

In der Studie von Karl Anders Ericsson wurden die Leistungen von Geigern verglichen je nach der Anzahl der Übungsstunden, die sie bisher in ihrem Leben geleistet hatten. Jene mit der meisten Übungszeit hatten auch die besten Leistungen. Der Bestsellerautor Malcolm Gladwell zog 15 Jahre später in seinem Buch "Überflieger" einen erstaunlichen Schluss aus der Studie. Sie belege die "magische Zahl" für echte Könnerschaft: zehntausend Stunden Übung.

In 10.000 Stunden zur echten Könnerschaft?

Sollte die "magische Zahl" von 10.000 Stunden Üben stimmen, wäre sie nicht nur für alle interessant, die an die Weltspitze wollen. Wenn ausreichend oft zu üben dafür genügt, kann es so natürlich auch jedes Kind ins Orchester der Schule oder die Volleyball-Auswahl schaffen.

Diese "magische" Zahl selbst steht allerdings nicht bei Karl Anders Ericsson, und er versuchte wenig erfolgreich, sich von ihr zu distanzieren. Er schrieb aber sehr wohl, dass es mindestens ein Jahrzehnt dauere, durch Übung zur Meisterschaft zu kommen.

Goldball kurz vor dem Einlochen: Haben Menschen, die außergewöhnliche Leistungen hervorbringen, von Geburt an besondere Talente, die später durchs Üben nur verfeinert und ausgebildet werden?  (Foto: Colourbox)
Haben Menschen, die außergewöhnliche Leistungen etwa im Spitzensport hervorbringen, von Geburt an besondere Talente, die später durchs Üben nur verfeinert und ausgebildet werden?

Ohne Talent keine Spitzenleistung

Laut der Frankfurter Verhaltensgenetikerin Miriam Mosing vom Max-Planck-Institut für Empirische Ästhetik in Frankfurt ist Talent doch wichtig. Sie hat in etlichen Studien demonstriert, wie sehr und teilweise unerwartet unsere Anlagen unsere musikalische Laufbahn prägen. Sie forscht dafür mit Zwillingspaaren, manchmal mit Tausenden. Alle Paare wachsen jeweils im gleichen Elternhaus auf, aber die eineiigen oder "identischen Zwillinge", wie Miriam Mosing sie nennt, haben auch noch die gleichen Gene. Und genau das zeigt sich als Einfluss.

Laut einer Studie der Verhaltensgenetikerin spielen identische Zwillinge eher Stücke aus dem gleichen musikalischen Genre, etwa klassische Musik, Jazz oder Pop. Die Gene beeinflussen sogar die Wahl des Instruments. Unter den Zweieiigen, die Klavier spielen, haben 24 Prozent einen Zwilling, der es ebenfalls tut. Bei den Eineiigen aber sind es 41 Prozent. Möglicherweise kommen die gemeinsamen Vorlieben daher, dass genetisch identische Zwillinge relativ ähnliche Persönlichkeiten haben. Eine Rolle dürfte aber auch spielen, dass sie ähnliche musikalische Grundfähigkeiten geerbt haben.

Miriam Mosing fand auch eine interessante Verbindung zwischen Übefleiß und Genen:

"Wie viel wir Musik üben, ist 60 Prozent genetisch."

Wie viel das Üben dann allerdings bringt, ist eine andere Frage. Natürlich lassen sich viele Fertigkeiten erfolgreich trainieren, aber etwa die Grundfähigkeiten, Unterschiede zwischen Melodien, Tonhöhen und 13 Rhythmen zu erkennen, offenbar nicht.

In der Jugend breiter trainieren: spätes Spezialisieren führt eher an die Weltspitze

Was ist erfolgsversprechender: früh anfangen und immer in der selben Sportart trainieren oder lieber zuerst mehrere Sportarten probieren? Sportwissenschaftler Professor Arne Güllich von der Universität Kaiserslautern hat alle passenden Studien zu dieser Frage im Sportbereich ausgewertet. Die Weltklasseathleten unterscheiden sich darin, dass sie erst später mit ihrer Hauptsportart begonnen haben und über die gesamte Karriere hinweg auch andere Sportarten trainiert haben, so Arne Güllich.

Eintracht Frankfurt U17 bei der Juniorinnen Bundesliga: Frühes, spezialisiertes Training ist die beste Methode für Siege bei Junioren-Meisterschaften - aber nicht für die Weltspitze (Foto: IMAGO, IMAGO / Beautiful Sports)
Eintracht Frankfurt U17 bei der Juniorinnen Bundesliga: Frühes, spezialisiertes Training ist die beste Methode für Siege bei Junioren-Meisterschaften – aber nicht für die Weltspitze

Nur für Siege bei Junioren-Meisterschaften ist frühes, spezialisiertes Training die beste Methode, für die Weltspitze nicht. Arne Güllich hat dafür mehrere mögliche Erklärungen. Zum einen kann man so eher die Sportart wählen, die am besten zu einem passt. Und zum anderen kann Talent sich so erst richtig zeigen.

Was ist Talent?

Vielleicht ist "Freude am Üben von etwas" ja Teil des Talents? So sehen es jedenfalls Forschende wie die Verhaltensgenetikerin Prof. Miriam Mosing. Für sie gibt es nicht einfach eine musikalische Begabung, sondern eine gute Mischung aus musikalischem Gehör, Anatomie und Motivation.

Talente sind eine vielschichtige und multifaktorielle Angelegenheit. Selbst im Sport ist Talent keineswegs nur eine Frage des Körperbaus. Klar, der spielt eine wichtige Rolle, sagt der Sportwissenschaftler Professor Arne Güllich von der Universität Kaiserslautern. Aber es reicht nicht, nur auf die Anatomie zu achten. Auch wie der Körper reagiert, sich anpasst oder Belastung aushält, gehört zur sportlichen Begabung. Und der Umgang mit Rückschlägen. Talent ist eine komplexe Sache.

Achtung Falle: Talentsuche bei Kindern nach Geburtsjahrgang

Talente zu erkennen und richtig einzuordnen ist nicht immer leicht. Oft werden begabte Kinder gesucht, indem man sich die einzelnen Jahrgänge anschaut. Die Altersverteilung der jungen Talente ist dann scheinbar verblüffend. Im Jahr 2005 zeigte beispielsweise eine Analyse der deutschen Jugend-Nationalmannschaften im Fußball: Nur vier Prozent der Spieler waren im letzten Quartal des Jahres geboren – aber 50 Prozent im ersten. Das passiert, wenn einfach die Besten eines Jahrgangs ausgewählt werden. Da haben die gegen Ende des Jahres Geborenen natürlich keine großen Chancen. Denn die sind fast ein Jahr jünger als die zu Beginn des Jahres Geborenen.

Training führt auch im Alter noch zu Erfolg

Studie zeigt: Selbst im hohen Alter lässt sich mit einem achtwöchigen Krafttraining die Maximalkraft um durchschnittlich 180 Prozent verbessern (Foto: IMAGO, IMAGO / Westend61)
Eine Studie zeigt: Selbst im hohen Alter lässt sich mit einem achtwöchigen Krafttraining die Maximalkraft um durchschnittlich 180 Prozent verbessern

Aber auch unabhängig vom Alter kann man mit Übung eine Menge erreichen. Die Gerontologin Maria Fiatarone ließ in den 1980er-Jahren im Rahmen einer Studie eine kleine Gruppe Menschen zwischen 80 und 92 Jahren ein achtwöchiges Krafttraining absolvieren. Nach dem Übungszeitraum hatte sich im Durchschnitt die Maximalkraft der Teilnehmenden um 180 Prozent verbessert, bei manchen sogar um 300 Prozent. Training wirkt also bei uns allen.

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