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Vorbild Rhein-Hunsrück – Ein Landkreis verzaubert die Energiewelt

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Richard Fuchs
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Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)
Marie-Claire Schneider

Ausgerechnet der strukturschwache Rhein-Hunsrück-Kreis gilt international als Vorbild für erneuerbare Energien. Von Japan bis Afrika kommen Experten und lassen sich inspirieren.

Vorbild für die Energiewende

Südlich der Mosel im Mittelrheintal, zwischen Boppard und Rheinböllen liegt der Rhein-Hunsrück-Kreis. 991 Quadratkilometer, 102.000 Einwohner, hauptsächlich kleine Dörfer, keine Industrie und einer der strukturschwächsten Landkreise in Rheinland-Pfalz. Und gleichzeitig Vorbild für die Energiewende und Ziel interessierter Delegationen aus der ganzen Welt. Dass der Rhein-Hunsrück-Kreis heute deutschlandweit als der Landkreis gilt, der in der Summe am Weitesten im Klimaschutz ist, habe sich Stück für Stück ergeben, so Klimaschutzmanager Frank-Michael Uhle. Er ist im Dienst der Kreisverwaltung in Simmern dafür verantwortlich, das Klimaschutzkonzept des Landkreises umzusetzen.

Delegationen auf 34 Nationen zu Besuch

Der Kreis produziert heute dreimal so viel erneuerbaren Strom wie er selbst verbrauchen kann. Vor 20 Jahren sah das hier noch ganz anderes aus – keine einzige Kilowattstunde wurde vor Ort erzeugt. Auch im Wärmebereich schreitet die Entwicklung stetig voran. Bei Einsparungen, dem Bau von Nahwärmenetzen und Fotovoltaikanlagen. Der Erfolg des Rhein-Hunsrück-Kreises macht immer mehr Menschen neugierig. Nicht zuletzt durch den Gewinn des Europäischen Solarpreises im Jahr 2011. Wie geht so was? Rechnet sich das – auch wenn es keine staatliche Förderung erneuerbarer Energien gibt? Bisher haben Delegationen aus 34 Nationen den Kreis besucht, um sich von der Energiewende berichten zu lassen.

„Ehrenbotschafter für die Energiewende“

Einer der Verantwortlichen für die Energiewende im Rhein-Hunsrück-Kreises ist Bertram Fleck.

Als Landrat hat er 26 Jahre lang das Projekt mitgestaltet, jetzt im Ruhestand nennt er sich, mit einem Augenzwinkern, „Ehrenbotschafter für die Energiewende“. Wie sein Nachfolger, Landrat Marlon Bröhr, hat aber auch er stürmische Zeiten ertragen müssen. Nicht selten ging es dabei um die 300 Windräder im Kreis, und ob sie wirkliche alle nötig sind. Altlandrat Fleck ist sich sicher, dass jeder Landkreis, jede Kommune die Energiewende schaffen könnte und sich aus den Einnahmen für die Zukunft rüsten könnte.

Investitionen in Milliardenhöhe

In den letzten 15 Jahren wurden im Landkreis 1,3 Milliarden Euro in Erneuerbare Energien investiert, mindestens 100 Millionen Euro sind davon als Aufträge bei Handwerkern in der Region verblieben. Viel interessanter sei aber die jährlich wiederkehrende Wertschöpfung aus dem Betrieb der Anlagen – diese beträgt mittlerweile 44 Millionen Euro pro Jahr, so Klimaschutzmanager Frank-Michael Uhle.

Bürger arbeiten am Konzept mit

Am Klimaschutzkonzept des Kreises haben auch über 300 Bürger mitgewirkt. Es besteht aus vielen Maßnahmen, die sich auf mehrere Jahre verteilen. Inspiriert wurden sie von anderen Vor-Machern – beispielsweise aus Freiburg, Osnabrück und der Schweiz. Dass sie jetzt andere Interessenten inspirieren, halten sie hier für eine Bringschuld.

Hackschnitzel für Schulen

Ein Projekt, das Delegationen vorgestellt wird, ist die Umstellung auf Hackschnitzelheizungen in Schulen. Angefangen habe alles mit 120-Sammel-Stationen, an denen Bürge in fast jeder Kreisgemeinde ihren Gartenabraum abladen können, so Bertram Fleck. Mit dem organischen Rohstoff werden inzwischen drei Schulzentren mit rund 30 Gebäuden geheizt.

Projekten aus den Dorfgemeinschaften heraus

Damit die Energiewende funktioniert, braucht Klimaschutzmanager Uhle die Unterstützung und Dorfgemeinschaften. Beispielsweise in Horn, einem Dorf mit 350 Einwohnern, haben die Bürger eine Fotovoltaikanlage mit Batterie-Speicher-System auf dem Gemeindehaus installiert und betreiben damit nachts die komplette Straßenbeleuchtung im Ort. Auch in Neuerkirch und Külz, ebenfalls Ortschaften mit kaum mehr als 400 Einwohnern, entstand ein Gemeinschaftsprojekt: das größte Solarthermie-Feld in Rheinland-Pfalz mit über 1.400 Quadratmetern. Das Besondere an diesem Projekt ist, dass Umsetzung und Finanzierung der Heizungsanlagen von Bürgern selbst in die Hand genommen wurden.

Regional-Partnerschaft in Japan

Die Verantwortlichen im Rhein-Hunsrück-Kreise empfangen nicht nur vor Ort Interessierte und berichten über ihre Erfahrungen, sie reisen auch ins Ausland und stehen Städten und Regionen mit ihrer Expertise zur Seite. So reisten Vertreter des Landkreises nach Ghana oder begründeten eine Regional-Partnerschaft mit der japanischen Region um die Stadt Miyama. Die Energiewende und der baldige Status als "Null-Emissions-Landkreis" (Uhle)* haben den Rhein-Hunsrück-Kreis zum beliebten Wohn- und Arbeitsort gemacht und seine Vertreter zu international gefragten Experten für den Wandel hin zu Erneuerbaren Energien.

*Der Ausdruck entstammt einer Aussage von Klimaschutzmanager Uhle, wie auch aus dem Sendungsmanuskript hervorgeht. In einer früheren Version dieses Artikels hatten wir dies nicht eindeutig gekennzeichnet.

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