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Genetische Ahnensuche – Herkunftstest mit Nebenwirkungen

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Jennifer Stange
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Ulrike Barwanietz

Manche DNA-Herkunftstests sorgen für mehr Verwirrung als für Aufklärung oder Familienzusammenführung. Ob Russin, Deutscher oder Italiener: genetisch sind alle Europäer.

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Nur eine Rasse: die menschliche!

Das menschliche Genom gilt als unfehlbarer Chronist der eigenen Abstammung. Für einen Herkunftstest wird die DNA in riesige Datenmengen zerlegt und nach Hinweisen auf die Herkunft durchforstet. Doch gibt es überhaupt eine mustergültige DNA-Mischung für bestimmte Regionen und lässt sich daher sagen, wer aus welchem Land stammt? 

“I have German in my blood”das behauptete US-Präsident Donald Trump beim G7 Gipfel in Biarritz im August 2019: Er habe „Deutsches“ im Blut. Bundeskanzlerin Merkel neben ihm prustete ganz kurz. Kein Wunder, “deutsches Blut”, das klingt nach biologistischen und rassistischen Fantasien des 19. und 20. Jahrhunderts.

Bereits im Jahr 2000 verkündete US-Präsident Bill Clinton im Weißen Haus, dass das menschliche Erbgut fast vollständig sequenziert sei: „Die Sprache, in der Gott den Menschen schuf“. Der Leiter des internationalen Humangenomprojekts, Francis Collins, ergänzte, dass es nur eine Rasse gäbe: die menschliche.

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Alle Menschen sind zu 99,5 Prozent identisch in ihrer DNA

Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Wissenschaftler lautete: Die DNA aller Menschen ist zu 99,5 Prozent identisch, egal wo jemand lebt und wer die Eltern und Ururureltern sind. Bei 99,5 Prozent bleiben allerdings 0,5 Prozent genetische Differenz. Das sind immerhin rund drei Millionen Punkte auf dem Genom.

Dieser Differenz widmeten sich fortan viele Forschungsprojekte und kommerzielle Anbieter. Unternehmen wie „FamilyTreeDNA“, kurz FTDNA, untersuchen rund 700.000 Stellen auf der DNA und vergleichen sie mit den Proben von Millionen Menschen in ihren Datenbanken.

Parallel zum Humangenomprojekt begann in den 1990er-Jahren ein Forscherteam um Luigi Cavalli-Sforza an der Stanford University, die DNA lokaler Populationen zu sammeln. Der Genetik-Professor und angesehene Wissenschaftler wollte die DNA vom Aussterben bedrohter Völker sammeln und genetisch kartografieren.

Die Geschichte der Migration findet sich in der DNA wieder

Von Anfang an war dieser Ansatz umstritten, weil er nicht ohne Anleihen an Volks- oder Rassentheorien auskam. Doch Cavalli-Sforza ging es nicht um biologische Unterschiede. Für ihn war die Genetik eine historische Quelle, um Antworten auf offene Fragen der Zivilisationsgeschichte zu finden. Zum Beispiel: Wie kam der Ackerbau nach Europa?

Spuren frühgeschichtlicher Migration nach und innerhalb von Europa sind in der DNA heutiger Menschen auffindbar. Doch im Lauf der Jahrtausende wurde das Erbgut einzelner Bevölkerungsgruppen durch Migrations- und Fluchtbewegungen immer komplexer. Es ist kaum möglich, das Erbgut einer Frau aus dem alten Rom vom Erbgut eines zeitgenössischen Stuttgarters zu unterscheiden.  

Auch Cavalli-Sforza kam zu dem Schluss, die Genetik zeige, dass zahllose Migrationen zu einer vorteilhaften genetischen Mischung geführt haben, die weder rassische Reinheit noch eine starke rassische Differenz festzustellen erlaube. Dennoch blieb sein „Human Genome Diversity Project“ dem Ziel treu und definierte 51 Populationen, darunter Beduinen, Basken, Franzosen, Japaner und Russen. Das Projekt gilt bis heute als Blaupause ähnlicher Vorhaben.

DNA Big Data verändert die Ahnen- und Kriminalforschung

Durch neue Möglichkeiten im Netz und dank der genetisch gestützten Genealogie erlebt die Familien- und Ahnenforschung währenddessen weltweit einen Boom. DNA Big Data habe die Ahnenforschung verändert, sagt Familienforscher Holger Zierdt vom Landeskriminalamt Hamburg.

In den Datenbanken der Anbieter von Herkunftsanalysen können Kundinnen und Kunden nämlich auch nach sogenannten „Matches“ suchen: Das sind Übereinstimmungen mit anderen Kunden, deren Erbgut mit dem eigenen zu einem gewissen Grad identisch ist.

Genauso haben US-Ermittler den Golden State Killer gefunden: über ein "Match" in einer öffentlichen DNA-Datenbank. Nach Jahrzehnten wurde der Mann gefasst, der in den 1970er- und 1980er-Jahren mindestens zwölf Morde und 75 Vergewaltigungen begangen haben soll.

Öffentlich zugängliche DNA-Daten von Privatpersonen

Der Täter hatte DNA-Spuren an Tatorten hinterlassen. Die Ermittler veröffentlichten sein genetisches Profil bei „GEDmatch“, einer sehr beliebten kostenlosen Analyseplattform für genealogische Zwecke mit Sitz in Florida. Einzige Bedingung von „GEDmatch“: Man muss seine DNA-Rohdaten öffentlich zugänglich machen, um die eigene DNA mit der von anderen vergleichen zu können. Der Fall wird im April 2018 öffentlich, viele weitere Fälle folgen.

Wenige Monate enthüllt später Buzzfeed News, dass „FamilyTreeDNA" seine Datenbank für das FBI geöffnet habe. Ohne dass Kundinnen und Kunden darüber Informiert wurden, sind sie still und leise zu Informantinnen und Informanten geworden. Und das DNA-Profil einer Person legt die Spur zu unzähligen anderen: zu den Eltern, Geschwistern, Kinder, Onkeln, Tanten und so weiter.

Die Anbieter von DNA-Tests basteln währenddessen weiter an ihren Tools und optimieren die Algorithmen, mit denen die Wahrscheinlichkeitswerte für die jeweilige Herkunft errechnet werden. Die Testergebnisse können sich also von Update zu Update verändern und immer vielversprechender werden.

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Vor 150 Jahren veröffentlichte Gregor Johann Mendel seine Experimente mit Erbsen. Zeitgleich entdeckte Friedrich Miescher die DNA. Heute gelten beide als Väter der Genetik.

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