Pianistinnen im Aufbruch

Phyllis Sellick: Am größten im Star-Pianistenduo

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Philipp Quiring
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Dominic Konrad

Das Leben der Pianistin Phyllis Sellick ist sehr eng verbunden mit dem ihres Ehemanns Cyrill Smith. Gemeinsam standen sie auf der Bühne und sorgten für Hollywood-reife Unterhaltung in der Presse, als sie bei einem Bootsausflug ein U-Boot aus der Misere rettet.

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Eine spektakuläre U-Boot-Rettung

Im Gleichgewicht zueinander sind Phyllis Sellick und Cyrill Smith fast immer, das Star-Pianistenduo aus England. Auch auf dem Wasser machen sie eine gute Figur, bei einem ihrer vielen Segelausflüge.

An den Tauen wird gezogen, das Körpergewicht ausbalanciert, geschickt der Kopf eingezogen, wenn das Segel auf die andere Seite schießt, weil der Wind aus der anderen Richtung kommt. Doch Ruhe und Idylle auf der englischen See können trügerisch sein. Dann geht plötzlich alles ganz schnell.

Das Boot kippt um und kentert. Beide im Wasser. Sie halten sich fest. Dann kommt es zu einer Hollywood-reifen Episode, „Titanic“ lässt grüßen. Nur dass hier am Ende alles gut ausgeht. Ein vorbeifahrendes U-Boot taucht auf und rettet die beiden.

Phyllis Sellick spielt Rameau

Schön, erfolgreich und begabt

Die Boulevard-Medien lechzen nach solchen Geschichten des da schon berühmten Paares. Sie sind schön, erfolgreich und gut Klavier spielen können sie auch noch. Dabei ist es erstmal alles andere als selbstverständlich, dass die beiden zusammenkommen.

Im Studium begegnen sie sich zum ersten Mal an der legendären Royal Academy of Music. Hierhin schaffen es nur die Besten. Beide sind noch Jugendliche, Cyrill zwei Jahre älter als Phyllis. Er himmelt sie an. Doch sie sind Konkurrenten, duellieren sich sogar bei einem wichtigen nationalen Wettbewerb, den er gewinnt.

Mit dem Selbstbewusstsein des Siegers versucht er sein Glück, will die Klavierkarte ausspielen und sie so verführen. Man könne ja zusammen als Duo auftreten, ist seine Strategie. Doch Phyllis lehnt ab, höflich, aber bestimmt: „Nein, ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist!“

Sellick spiel Ravels „Le tombeau de Couperin“

Die Solokarriere steht an erster Stelle, zumindest vorerst

Von gemeinsamen Bootstouren ist da erst recht keine Rede. Phyllis Sellick geht zum legendären Pädagogen Isidore Philipp nach Paris, der hat noch bei einem Schüler von Frédéric Chopin persönlich Unterricht gehabt.

Sellick lernt das „französische“ Repertoire lieben. Ihr Lehrer stellt ihr die lebende Komponistenlegende Maurice Ravel vor und sie spielt für ihn ein Stück nach dem nächsten. Eine Zeit, die Phyllis Sellick prägt und sie zu einer großen Pianistin reifen lässt. Ihren besonderen Ton, der auch im Leisen noch bis in die letzte Reihe eines Konzertsaales trägt, hat sie wohl auch hier entwickelt. 

Der Heiratsantrag kommt bei einer Busfahrt

Zurück in England ist der spätere Partner Cyrill Smith in der Zwischenzeit zu einem der vielversprechendsten Talente des Landes gereift, wird später als enger Freund und musikalischer Vertrauter von keinem geringeren als dem großen internationalen Klavierstar Sergej Rachmaninow geschätzt und sogar verehrt.

Phyllis und Cyrill lernen sich diesmal besser kennen. Sie fahren viel mit dem Fahrrad durch die englische Landschaft und während einer Busfahrt mit einem Linienbus zwischen Central London und Ilford kommt es zum Heiratsantrag. Vielleicht nicht der romantischste Ort, das „Ja“ hat es aber trotzdem gegeben. Sie heiraten 1937. 

Debussys „Reflets dans l'eau“, gespielt von Phyllis Sellick

Englands neue Klavier-Royals

Um dann aber auch auf der Bühne ein Paar zu werden, muss erstmal jemand das Verkuppeln übernehmen. Der berühmte Dirigent Sir Henry Wood wird da aktiv, will sie für das Eröffnungskonzert der BBC Proms im Duo haben.

1941, zum ersten Mal in der Royal Albert Hall, wo das bekannteste Klassikfestival der Welt auch heute noch gefeiert wird. Die beiden werden zur großen Sensation, übertragen im Fernsehen mit allem Drum und Dran. Die Engländer haben ein neues Royal-Paar, zumindest in der Musik. 

Royal Albert Hall
Bei den ersten BBC Proms in der berühmten Royal Albert Hall überzeugen Phyllis Sellick und Cyrill Smith ihr Publikum.

Traute Zweisamkeit mit zwei Steinway-Flügel

Auch der Proms-Dirigent Henry Wood ist überglücklich und gießt nach dem Erfolg noch mehr Öl ins Feuer, um die Beziehung weiter anzuheizen. Er schenkt dem Paar einfach einen Steinway-Flügel, einen haben sie ohnehin schon, mit zwei gleichwertigen Instrumenten ist so auch die Harmonie beim gemeinsamen Üben gesichert.

Phyllis Sellick wohnt mit ihrem Mann in einem Haus in einer der schönsten Londoner Ecken, dem Richmond Park. Die Flügel werden so verteilt, dass beide in Ruhe für sich üben können – oder eben zusammen. 

Sellick und Smith schenken Hoffnung

Während des Zweiten Weltkrieges schöpfen die Menschen in Großbritannien Hoffnung aus den beiden. Sie spielen gemeinsam für britische Truppen oder auf Wohltätigkeitskonzerten wie den Lunchtime-Concerts der Kollegin Myra Hess. Sie sammeln so Geld oder sorgen einfach nur für Ablenkung.

Dabei sind sie sich auch nicht zu schade, auf völlig ramponierten, scheppernden Instrumenten zu spielen, wie während eines Truppenbesuchs in Indien. Phyllis Sellick nimmt außerdem auch noch Filmmusik auf, die Ralph Vaughan Williams für den britischen Kriegsfilm „49th Parallel“ („Der 49. Breitengrad“) geschrieben hat. 

Vaughan Williams schrieb „The Lake in the Mountains“ für Sellick

Immer wieder wird Phyllis Sellick von Komponisten hofiert. Sie wollen für sie Musik schreiben. Von Michael Tippett führt sie die erste Klaviersonate auf oder von William Walton das Stück für Klavier und Orchester „Symphonie Concertante“. Ihre eigene Solokarriere läuft weiter. 

Ein Schicksalsschlag reißt das Paar aus der Karriere

Phyllis Sellick hat mit ihrem Mann zwei Kinder. Familie und Beruf unter einen Hut zu kriegen wird dabei immer schwieriger, all die Reisen um den Globus und dazu dann noch die Erziehung. Sie arrangieren sich – gleichberechtigt – so gut es geht. Doch die Kinder fühlen sich trotzdem vernachlässigt.

Den Eltern wird das klar, als sich die Kinder zu Weihnachten nur eins wünschen: Dass alle zusammen mehr Zeit zuhause verbringen. Beide wollen den Wunsch erfüllen.

Hinzu kommt dann allerdings ein tragischer Schicksalsschlag. Cyrill Smith ist auf Tour durch die damalige Sowjetunion als er einen Herzinfarkt erleidet. Ein großer Schock für alle, vor allem, weil er einen Arm nicht mehr bewegen kann. Doch Phyllis Sellick gibt ihn nicht auf, glaubt an ihn und baut ihn auf. Für ihn bricht eine Welt zusammen – wie er schreibt. 

„Phyllis ermutigte mich, Übungen zu machen, damit es mir wieder besser geht. Die haben aber nicht funktioniert. Sie arbeitete mit mir an meiner Gesundheit und forderte von mir, dass ich das Spielen mit nur einer Hand üben sollte“.

Sellick und Smith spielen Schubert für drei Hände

Weiterspielen als Duo mit drei Händen

Sie lassen sich dafür Stücke umschreiben oder erarbeiten Repertoire, das es bereits gibt. Die Presse schreibt über das Schicksal, die Öffentlichkeit nimmt Anteil.

Verschiedene Komponisten solidarisieren sich, richten ihre Stücke extra neu ein oder komponieren gleich etwas ganz Neues für sie. Phyllis Sellick und Cyrill Smith werden zum Vorbild für Diversität, auch im Konzertleben.

Nach der Uraufführung des Concerto, das Malcolm Arnold extra für sie geschrieben hat und das sie bei den Proms 1969 erstmals spielen, schwärmt ein Kritiker der englischen Zeitung „The Daily Telegraph“ von ihrem „grenzenlosen Mut und Optimismus“. 

Phyllis Sellick überlebt Cyrill Smith um mehr als drei Jahrzehnte

Phyllis Sellick hat ihren Mann und Duo-Partner in gewisser Weise gerettet, mit ihrem Optimismus und ihrer Bestimmtheit. Sie selbst überlebt ihn nach seinem Tod noch um mehr als drei Jahrzehnte, bis 2007.

Sie lehrt als Professorin an der Royal Academy of Music, und spielt wieder allein und gelegentlich mit jemand anderem auch im Duo. All die besonderen Erlebnisse mit ihrem Partner-in-Spe und insbesondere die spektakuläre U-Boot-Rettung wird sie bestimmt bis zum Schluss mit einem Lächeln in Erinnerung behalten haben. 

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