Pianistinnen im Aufbruch

Das Auf und Ab der legendären Mozart-Interpretin: Clara Haskil

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Philipp Quiring
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Sebastian Kiefl

Sie ist die Lieblings-Mozart-Interpretin des Papstes und Charlie Chaplin bezeichnete sie als Genie. Doch der Erfolg kam erst mit 50: Das Auf und Ab im Leben von Clara Haskil.

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Prägende Chauvi-Kritik

Aufrecht steht sie da, mit scheuem Blick, das zerzauste Haar zu einem Dudd zusammengesteckt, schüchtern und zerbrechlich: Clara Haskil in jungen Jahren auf einem Foto.  

„Sie spielen wie eine Putzfrau!“ ruft ihr Alfred Cortot entgegen. Ein legendärer Pädagoge und Pianist, der allerdings auch bekannt für seine vielen falsch gespielten Noten ist. Er trifft Clara Haskil mit seinem Chauvi-Spruch. Sie ist seine Schülerin am altehrwürdigen Konservatorium in Paris.

Voller Selbstkritik und Ironie

Was auch immer er damit inhaltlich ausdrücken will, auch Jahre später ist dieses Bild der „Putzfrau“ präsent. 

„Mein Talent und meine Fingerfertigkeit sind ertrunken. Ich habe das schon vor langen Jahren vorausgesehen und von ‚Putzfrau‘ gesprochen, denn andere Studien habe ich nicht gemacht, aber dazu bin ich auch zu alt! Wie Ihr seht, ist mein Optimismus auch gewachsen.“

Worte, die typisch für Clara Haskil sind: selbstkritisch und ironisch. Selten ist sie mit dem zufrieden, was sie als Musikerin leistet. Zur Wahrheit gehört, dass sie sich immer wieder die Frage stellen muss, ob es denn mit der großen Karriere klappt. 

Gemälde von Clara Haskil amd Flügel
Gemälde von Clara Haskil. Die rumänisch-schweizerische Pianistin hatte es nie leicht, zählte aber zu den bedeutendsten Mozart-Interpretinnen. Papst Franziskus outete sich als großer Fan ihrer Mozart-Interpretationen.

Zähe Erfolge

Nur mit Mühe bekommt sie mit Ende 30 einen Schallplattenvertrag. Sie ist voller Hoffnung, dass die Karriere nun endlich in Schwung kommt. Doch ihre Platten verkaufen sich nicht. Das Label bricht die Zusammenarbeit ab, Haskil will nicht und wird für lange Zeit nicht mehr aufnehmen.

Die Konzerte, die sie spielt, werden oft verhalten besprochen, wenn sie überhaupt stattfinden. Clara Haskil ist körperlich schwach, muss immer wieder Auftritte absagen. Die Wirbelsäulenerkrankung Skoliose setzt sie regelmäßig außer Gefecht. Sie muss sich Operationen unterziehen, ihren Oberkörper über mehrere Jahre in eine Gipsform pressen.

Magie der Stille

Wenn sie dann die Energie aufbringt, ein Konzert zu bewältigen, ist es in den 30er Jahren eher eine Ausnahme, dass ein Kritiker darin Positives hört:

„Ihr Spiel ist tief vom musikalischen Sinn des interpretierten Stücks durchdrungen und unterwirft sich ohne Selbstgefälligkeit, ohne Aufsehen, ohne äußeres Blendwerk den Erfordernissen des musikalischen Textes, den es ausdrücken soll.“

Dabei ist es genau das, was hier beschrieben wird, was ihr später so viel Bewunderung und Verehrung einbringt. Die Magie ihres Spiels liegt in der Stille und in ihrer intuitiven Ausdruckskraft.

Sie ist eine Dienerin der Musik, die mit ihrer introvertierten, sensiblen Art auch im Gegensatz zu exzentrischen Klavier-Stars ihrer Zeit wie Vladimir Horowitz oder Glenn Gould steht. 

Ein Wunder im 2. Weltkrieg

Clara Haskil befürchtet immer wieder, dass sie als „Putzfrau“ arbeiten muss, erwähnt das Wort in Briefen regelmäßig. Auch dann, wenn nach einzelnen Konzerten keine erneute Einladung folgt. Das Geld wird knapp, doch sie ist reich an Freundinnen und Freunden, die für sie sogar überlebenswichtig werden – denn sie hat – wie so viele andere auch – ganz andere Sorgen.

Der Zweite Weltkrieg bricht aus und der düstere Schatten breitet sich aus, droht Europa zu verschlingen. Sie flüchtet von Paris ins noch unbesetzte Marseille. Dort ist sie vorübergehend in Sicherheit, doch es wird ein Hirntumor festgestellt. Sie muss sofort operiert werden. Es ist ein Wunder, dass ihr dies in dieser Ausnahmesituation überhaupt ermöglicht wird.

Freunde helfen mit Geld, organisieren den Arzt – und schleusen die frisch Operierte dann auch noch im letzten Moment aus Marseille. Die Wehrmacht marschiert auch hier 1942, wenige Tage nach der Operation ein. Als Jüdin hätte sie sich längst bei den Behörden melden müssen. Ihr sicherer Tod wird so verhindert. 

Umbruch mit 50 Jahren

Clara Haskil erholt sich von der Operation und die Schweiz wird ihre neue Heimat. Sie verdient Geld als private Pianistin einer Adeligen und kommt wieder auf die Beine. Als der Krieg vorbei ist, ist sie bereits 50.

Eigentlich beginnt erst jetzt ihre internationale Karriere. Mit wenigen ausgewählten Musikerinnen und Musikern, die ihren hohen Ansprüchen genügen, spielt sie im Duo. Der mit 33 Jahren früh verstorbene und bis dahin gefeierte Pianist Dinu Lipatti wird ihr Seelenverwandter, stammt wie sie aus Rumänien und hat eine ähnliche Vorstellung von Mozarts Musik wie sie.

Wenige enge Vertraute

Von Proben hält Clara Haskil nichts. Sie setzt voraus, dass es entweder von Natur aus passt, es eine Verbundenheit gibt, oder man es sonst einfach gleich sein lässt. Ihre Vertrauten lassen sich an einer Hand abzählen.

Pianist Geza Anda gehört dazu. Unter den Streichern ist der spanische Starcellist Pablo Casals ihr treuer Partner und der berühmte Geiger Arthur Grumiaux, mit dem sie alle zehn Beethoven-Violinsonaten aufnimmt. 

Lampenfieber bis zum ersten Ton

Mit über 50 kann sie schließlich von der Musik leben. Kauft sich ihren ersten Flügel. Sie spielt regelmäßig international Konzerte. Wenn sie auftritt, leidet sie unter extremem Lampenfieber.

Kritiker beschreiben, wie sie unscheinbar die Bühne betritt, zusammengefallen und schwach wirkt und sich dann erst, wenn am Klavier der erste Ton erklingt, aufrichtet und eine Energie freisetzt, die wie aus dem Nichts zu kommen scheint. 

Kein Erfolg in Paris ohne Pelzmantel

„In meinem Leben traf ich drei Genies: Clara Haskil, die beiden anderen waren Einstein und Sir Winston Churchill.“ fasst der berühmte Comedian Charlie Chaplin zusammen.

Porträt von Charlie Chaplin am Telefon
„Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 mit Clara Haskil am Flügel und Markevitch als Dirigenten. [...] Für mich ist das so eine große Annäherung an die Wahrheit, wie es ein Kunstwerk nur sein kann.“ erinnert sich Charlie Chaplin an Clara Haskil.

Dank einer unglaublichen intrinsischen Motivation und trotz zahlreicher extremer Widerstände kann sie nie die Hände vom Klavier lassen. Sie geht ihren eigenen, mühsamen Weg und findet schließlich ihren inneren Frieden, ist angekommen.

Als „Putzfrau“ muss sie letztendlich nie arbeiten. Auch, wenn sie in Paris nie die Anerkennung findet, die sie sich bis zum Schluss wünscht. Clara Haskil sagt, sie fühle sich dort „nie geliebt“ und kommentiert das auf ihre eigene sarkastisch-humorvolle Art: „Es ist schon merkwürdig, dass mir in Paris die Karriere nicht gelingen will. Vielleicht liegt es daran, dass ich keinen Pelzmantel besitze und mir kein Rouge auflege?!“

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