Wenn Musikunterricht damit begründet wird, dass Kinder dadurch intelligenter werden, wird Gordon Kampe wütend. Wer so argumentiere, hängt auch einen Rembrandt über das Ikea-Sofa, weil es farblich passt. In seiner Glosse zeigt er auf, warum er den Musikunterricht für unverzichtbar hält und was genau Staunkunde ist.
Emissionsfreies Superauto dank Matthäus-Passion
Es soll Studien geben, die belegen, dass Kühe bei der Beschallung mit Musik von Mozart mehr Milch geben. Und in anderen Studien ist herausgekommen, dass man vom Musikmachen besser in Mathe wird. Prima, wenn es stimmt, mir ist das allerdings total egal. Natürlich gönne ich der Milchwirtschaft ihren Umsatz und den Schülerinnen und Schülern fabelhafte Zensuren.
Wo kämen wir aber hin, wenn Musikunterricht als Fördermaßnahme für andere Fächer verstanden würde, nach der Art „man studiert mit dem Schulchor ein halbes Jahr die Matthäus-Passion ein, dabei wird man besser in Mathe, und das Ingenieurstudium rückt näher“. Und zack, das emissionsfreie Superauto der Zukunft ist das direkte Ergebnis von intensiven Bemühungen um einen fis-Moll Akkord zehn Jahre zuvor.
Die Klassikkrise ist eine Bildungskrise
Keine Kunst = keine Schönheit
Nichts dagegen, wenn das ein Nebeneffekt ist. Aber wer Musik und das Musikmachen nicht als einen Wert an sich versteht, der verzwergt den Menschen auf das reine funktionieren und treibt der Welt das Schöne aus.
Wo keine Lieder gesungen, keine Gedichte gesprochen und keine Bilder gemalt werden, da schrumpelt die Bildung und wird zu abrufbarem Wissen, zu Kenntnis und reiner Anwendung degradiert. Vielerorts ist es noch nicht so weit.
Der Rembrandt unter dem IKEA-Sofa
Wenn ich aber gelegentlich in Talkshows höre, dass man ja gerade jetzt zunächst mit den wichtigen Fächern beginnen müsse und damit natürlich nicht Musik meint, dann schwillt mir selbst redend der Kamm. Wer so denkt, der kauft sich auch einen Rembrandt, weil's farblich mit dem IKEA-Sofa harmoniert oder chillt zu Mahlers 9. Sinfonie.
Das ist alles erlaubt. Aber es ist jammerschade, wenn es das schon war mit den Möglichkeiten des menschlichen Geistes. Musikunterricht kann von diesen Möglichkeiten erzählen, kann kulturelle Codes knacken, sie kritisieren, weiterdenken und in der Praxis erfahrbar machen.
Ich wünsche mir, dass man im Musikunterricht begeistert wird von etwas. Und das darf gerne auch mal ein bisschen anstrengend sein. Das klingt so pathetisch, vielleicht weltfremd und nicht praxistauglich. Ja, denn ich sagte es schon: Kunst ist kein Zulieferbetrieb und schon gar kein „Nice to have“.
Die Jugend entdeckt zeitgenössische Musik: Abenteuer Neue Musik
Das Staunen lernen
Mir geht es nicht um bloße Bildungshuberei. Wer Sonatenhauptsatz Regeln kennt und doppelt verminderte Terz-Quart-Nonen-Akkorde bei Sonnenuntergang rückwärts pfeifen kann, aber nichts von Revolution weiß, der wird die Eroica auch nicht verstehen.
Wenn ich auf dem Berg stehe, dann kenne ich nicht jeden Gipfel beim Namen, weiß nicht die chemische Zusammensetzung irgendeines Quartzes. Aber ich bekomme eine Ahnung von Weite und ich staune. Auch Musikunterricht kann Staunkunde sein. Und wer nicht mehr staunen kann, der mache lieber das Licht aus.
Musikgespräch Wie schlecht steht es um den Grundschulmusikunterricht?
„Es ist einfach schön, durch die Schulflure zu laufen, und vor sich hinsingende Kinder zu treffen!“, doch natürlich ist das nicht das einzige Argument, das Birgit Hannig-Waag für guten Musikunterricht in Grundschulen anbringt. Die Stimmung der Schulgemeinschaft sei verändert, Kinder lernen hier fürs Leben. Hannig-Waag ist selbst Lehrerin und im Landesverband Musikunterricht Baden-Württemberg. Sie berichtet im Musikgespräch, wie sie mit Kindern musikalisch arbeitet und warum fachfremder Unterricht nicht immer gleich schlecht sein muss.