Oper als Pilgerreise durch Stuttgart

Natur statt Kunsttempel: Ingo Gerlach über Messiaens „Saint François d’Assise“ in Stuttgart

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Bernd Künzig
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Dominic Konrad

Die Staatsoper Stuttgart zeigt Olivier Messiaens Opern-Oratorium in einer spannenden Neuinszenierung: Neben dem Opernhaus als Aufführungsort begibt sich das Publikum auf eine Pilgerreise durch die Natur und erlebt Teile der Oper mit Kopfhörern oder auch Open-Air. Ingo Gerlach begleitet die Produktion als Dramaturg. Mit SWR2 spricht er über das einzigartige Projekt.

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Ingo Gerlach, Dramaturg an der Staatsoper Stuttgart (Foto: Pressestelle, Matthias Baus)
Ingo Gerlach ist seit der Spielzeit 2018/19 Chefdramaturg an der Staatsoper in Stuttgart.

Ein herausragendes Stück Musiktheater des 20. Jahrhunderts

In seinem einzigen Werk für die Bühne hat Olivier Messiaen dem heiligen Franz von Assisi ein musikalisches Denkmal gesetzt. Die Genrezuschreibung von „Saint François d’Assise“ ist dabei alles andere als klar: Ist es eine Oper? Oder doch eher ein sakrales Oratorium? In jedem Fall ist es ein sehr singuläres Werk in der Musiktheaterliteratur, meint der Stuttgarter Dramaturg Ingo Gerlach.

Intendant Viktor Schoner sei es ein Herzensanliegen gewesen, dieses Stück nach Stuttgart zu holen. Die 1983 in Paris uraufgeführte Oper wurde bis heute noch nicht an der Stuttgarter Staatsoper gespielt, erklärt der Dramaturg. Für die Inszenierung von Anna-Sophie Mahler sind alle Gewerke des Hauses gefordert. Die Planung für das Projekt, so Gerlach, läuft bereits seit mindestens zwei Jahren.

Probenbesuch mit Bariton Michael Mayes, der die Titelpartie singt

Die Vogelpredigt auf dem Killesberg

Für Regisseurin Mahler war es immer ein Traum, Kunst nicht nur im Kunsttempel zu produzieren, erklärt Gerlach das Konzept der Stuttgarter Messiaen-Produktion. Nach einem ersten, konzertant anmutenden Teil, begeben sich die Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Weg zur Freilichtbühne auf dem Killesberg. Die Wanderschaft durch den Wartbergpark wird dabei zu einer kleinen Pilgerreise mit inszenierten Stationen.

Das zentrale Bild der Oper, die Vogelpredigt, ist dann unter freiem Himmel inszeniert. Es sei eine Konfrontation zwischen der Natur und der in die Kunst transferierten Natur, erklärt Ingo Gerlach. Wahrscheinlich ganz im Sinne des Komponisten: Messiaen, der Ornitologe war, hat 41 Vogelstimmen in seiner Partitur vertont. Diese mischen sich unter freiem Himmel mit dem Gesang der Vögel vor Ort.

Zum abschließenden dritten Akt begibt sich das Publikum zurück ins Opernhaus. Die Produktion dauert insgesamt rund acht Stunden, zwei Stunden länger als die Pariser Uraufführung. Dabei wird aber auch das leibliche Wohl der Zuschauenden nicht außer Acht gelassen, so Gerlach: Verpflegungspakete werden bereitgestellt.

Messiaens Oper bringt die Musik in den öffentlichen Raum

Mit dem unkonventionellen Konzept möchte die Stuttgarter Staatsoper eine andere Form von Oper zeigen. Es sei ein Angebot, das die Oper aus dem Opernhaus herausholt und eine neue Art der Interaktion mit dem Publikum ermöglichen soll.

Bei den Angeboten, die man rund um die Inszenierung in der Stadt gemacht habe, sei klar geworden, dass der Heilige Franziskus nicht nur für katholische Gläubige eine spannende Figur darstellt. Auch bei Protestanten könne Franz das Interesse wecken, verrät Dramaturg Gerlach.

Ob die Produktion ein Beispiel für die Zukunft der Oper sein kann? Das weiß man immer ersr hinterher, antwortet der Dramaturg mit einem Lachen.

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