Fritz Stüssi – so heißt ein Schweizer Zeitgenosse von Johannes Brahms. Er hat als „Musikkönig vom Zürichsee“ vor gut 100 Jahren mehrere Chöre und Orchester geleitet und über hundert Werke komponiert.
Fesselnde Aufnahme
„Alles Fleisch, es ist wie Gras“ – diese Zeilen aus dem biblischen Petrusbrief hat Johannes Brahms in gewaltigen Chorklängen vertont, in seinem Deutschen Requiem. Fritz Stüssi eröffnet sein Oratorium „Werden und Vergehen“ gut fünfzig Jahre später mit den gleichen Zeilen. Hier färbt der Schweizer sein Bariton-Rezitativ aber eher nachdenklich als heroisch.
Bariton Krešimir Stražanac interpretiert behutsam und spannungsgeladen zugleich und scheint jedes Detail seiner Erzählung beim Singen mitzuerleben. Es fesselt von Anfang an, vor allem wenn kurz darauf die Züricher Sing-Akademie mit dem ersten Choreinsatz folgt.
Jede Stimme gestaltet ihre Phrasen individuell, zugleich verschmelzen die Gesänge zu einem herrlich runden Chorklang. Hier gelingt die seltene Mischung aus Flexibilität, Vokalfluss und Glanz – beim Chor ebenso wie bei den Gesangssolisten.
Stiller Kontrast zum Weltkrieg
Es klingt typisch romantisch. Als Fritz Stüssi 1914 im Alter von vierzig Jahren sein Oratorium vollendet, bricht in Europa gerade der erste Weltkrieg aus, doch bei Stüssi überwiegen die stillen Momente.
Die Stimmen klingen vor allem in den Chorälen vereint – und doch wirkt es so, als würde jede und jeder Einzelne ein intimes Gebet zum Himmel schicken, das sich wie zufällig zum Glaubensbekenntnis des Kollektivs steigert.
Musik für die Gemeinde
Die bescheidene Zurückhaltung im Klang passt hervorragend zu Stüssis Kompositionsstil. Denn in seinem Oratorium gibt es zwar dramatische Momente, aber eben keine exponierten Arien.
Die musikalischen Elemente stehen ganz im Dienst der religiösen Botschaft, wobei Stüssi das Handwerk offensichtlich von alten Meistern gelernt hat: Choräle und Chorfugen erinnern an Bach, die farbige Instrumentationskunst an Schumanns Oratorium „Das Paradies und die Peri“, während die teilweise gewagten harmonischen Verläufe wohl von Johannes Brahms inspiriert sind.
Vielleicht sind das die Früchte seiner Studienzeit an der Berliner Königlichen Hochschule für Musik, wo er bei Joseph Joachim und Max Bruch gelernt hat. Stüssis Oratorium kommt allerdings ohne überbordende Klangwucht daher. Er schreibt Musik für die Gemeinde, nicht für den eigenen Ruhm.
Musik eines vergessenen Komponisten
Man möchte so unbeirrbar glauben können wie diese Musik es verspricht, getragen von Leichtigkeit und Hoffnung.
Neben dem Oratorium sind Motetten von Fritz Stüssi auf dem Album zu hören – jede davon ist eine wertvolle Entdeckung dieses vergessenen Komponisten aus der Schweiz.
Die so liebevolle wie differenzierte Interpretation der Sing-Akademie Zürich sowie aller Solistinnen und Solisten macht wahre Freude beim Hören. Einmal mehr beweist Florian Helgath mit dieser Aufnahme seine herausragende Qualität als Chor- und Gesangsdirigent.
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