Dirigentenlegende erhält Opus Klassik

„Die Dirigenten waren gute Musiker, aber keine großen Künstler“ – Herbert Blomstedt im Gespräch

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INTERVIEW
Ilona Hanning
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Dominic Konrad

Mit seinen 96 Jahren ist Herbert Blomstedt immer noch aktiv auf den Bühnen der Welt. Nun erhält der Dirigent den Opus Klassik für sein Lebenswerk. Warum er diesen Preis schnell vergessen wird und wie seine Interpretationen ihre Details erhalten, erklärt der Dirigent im Interview.

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Herbert Blomstedt dirigiert die Wiener Philharmoniker (Januar 2020)
Erfolgreicher Dirigent mit über 90: Herbert Blomstedt gehört zu den bedeutendsten Dirigenten unserer Tage. Nun erhält er den OPUS Klassik für sein Lebenswerk.

Bitte keine „Blabla-Erlebnisse“

Gibt es eigentlich Partituren, die Sie nicht mehr aufschlagen und studieren, weil Sie sie schon auswendig kennen?

Herbert Blomstedt: Da muss man grundsätzlich sagen: Wenn man einmal etwas aufwendig memorisiert hat, dann sitzt das nicht wie in Stein gemeißelt für das ganze Leben. Es verschwindet sehr leicht und die Details werden immer diffuser, je mehr Zeit vergeht. Dann muss muss man wieder von Neuem anfangen.

Es geht ja um sehr viele Details, die das Leben der Partitur ausmachen. Wenn diese Details fehlen, dann steckt kein Leben mehr drinnen. Dann ist das nur so ein „Blabla-Erlebnis“. Und das ist ja nicht, was wir wollen.

Blomstedt dirigiert das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart

Die Partitur, ein fantastisches Objekt

Wenn Sie Werke von Komponisten aufführen, die Sie oft aufführen – zum Beispiel Bruckner oder Beethoven – dann geht es ja darum, der Musik immer wieder aufs Neue eine Seele zu geben. Wie machen Sie das?

Blomstedt: Die erste Voraussetzung ist, dass man die Partitur vollkommen kennt. Das ist sehr anspruchsvoll. Die zweite Voraussetzung ist, dass man das auch emotional darstellen kann und nicht nur betrachtet. Es ist ein fantastisches Objekt, das lebt.

SWR2 Zur Person Der Dirigent Herbert Blomstedt

Von Kerstin Gebel

SWR2 Zur Person SWR2

Herr Blomstedt, kommen wir zu Ihrer Karriere als Dirigent. Woher kam dieser Berufswunsch?

Blomstedt: Ich habe natürlich viele Vorbilder gehabt, auch als Kind. Ich hatte das Glück in meiner Gymnasialzeit in Göteborg zu leben. Das war während des Krieges und Göteborg hatte damals das eins der führenden Orchester in Nordeuropa und ein neuen Konzerthaus, das 1936 eingeweiht worden war.

Es ist einer der besten Säle in der ganzen Welt, der Klang ist hervorragend. Einer der drei Konzertmeister war mein Geigenlehrer. Ich hörte jede Woche zwei Sinfoniekonzerte. Dafür hatte ich mir selbst die Saisonkarte gekauft. Ich weiß noch, das kostete 45 Kronen für ein ganzes Jahr.

Ich habe meinen Lehrer enorm verehrt, auch als er im Orchester saß und spielte.

Ich hatte das Glück, meine Geigenstunden beim Konzertmeister dieses Orchesters zu bekommen. Das normale Honorar betrug zehn Kronen pro Stunde, doch das konnte ich nicht bezahlen. Aber er machte eine Ausnahme und ich bekam die Stunde für drei Kronen.

Ich habe meine Lehr enorm verehrt, auch wenn er im Orchester saß und spielte. Er war besessen von der Musik und ein geborener Lehrer. Ich kam dann nachher ans Königliche Konservatorium in Stockholm. Es war damals das einzige Konservatorium in Schweden.

Herbert Blomstedt dirigiert das Hamburger NDR Elbphilharmonie-Orchester (2018)
2003 erhielt Blomstedt das Große Bundesverdienstkreuz. Weitere Auszeichnungen sind der Linzer Anton-Bruckner-Preis (2001), der Max-Rudolf-Preis und die Goldene Ehrennadel der Sächsischen Staatskapelle Dresden (beide 2007) sowie die Bach-Medaille der Stadt Leipzig (2011).

Danach hört ihn natürlich auch ab und zu sehr große Dirigenten, jedes Jahr zum Beispiel Furtwängler in Göteborg. Ich habe ihn da um mein erstes Autogramm gebeten. Ich bin eigentlich eine schüchterne Person, aber da konnte ich mich nicht zurückhalten. Ich habe dann ein Autogramm von ihm bekommen, es war fantastisch!

Ich habe ihn (Wilhelm Furtwängler) da um mein erstes Autogramm gebeten. Ich bin eigentlich eine schüchterne Person, aber da konnte ich mich nicht zurückhalten.

Blomstedt dirigiert Haydn und Bruckner (2019)

Die Dirigenten waren keine großen Künstler

Also wollten Sie Dirigent werden, weil sie Herrn Furtwängler erlebt haben?

Blomstedt: Ja und nein, ich muss das ein bisschen relativieren. Es war die Orchestermusik, die mich faszinierte und nicht vor allem die Legende. Die Dirigenten waren gute Musiker, aber keine großen Künstler.

Aber trotzdem habe ich das enorm erlebt. Das Orchester war mein Idol, ich kannte den Namen jedes Musikers im Orchester. Ich hörte sie ja auch zweimal pro Woche. Diese Namen sitzen noch heute bei mir.

„Es waren nicht die Dirigenten, die mich fasziniert haben.“

Es waren nicht die Dirigenten, die mich fasziniert haben. Das war die Ausnahme, das war Luxus. Aber die Musik und das Orchester haben mich fasziniert.

Man kann nicht imitieren, wenn man die Verantwortung hat

Jetzt haben Sie, Herr Blomstedt, eine sehr lange und sehr erfolgreiche Karriere als Dirigent. Man denkt auf den ersten Blick, bei Ihnen lief alles wie am Schnürchen. Gab es denn nicht auch mal Momente als Dirigent in puncto Karriere, wo Sie wirklich Probleme hatten, Entscheidungen zu fällen und wo Sie gezweifelt haben?

Blomstedt: Das ist völlig normal. Ich glaube, wenn das fehlt, das wäre nichts. Zum Beispiel: Ich war sehr begeistert von Mrawinskys Aufnahmen der Tschaikowsky-Sinfonien auf Schallplatte.

Herbert Blomstedt in Dresden (2007)
Bis heute arbeitet Herbert Blomstedt, hier 2007 in Dresden, mit vielen bedeutenden Orchestern, darunter die Sächsische Staatskapelle, die Berliner Philharmoniker, das Israel Philharmonic Orchestra, das Concertgebouw-Orchester Amsterdam und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.

Ich hatte damals schon debütiert und hatte mit den Stockholmer Symphonikern auch ein paar Tschaikowsky-Sinfonien gespielt und habe mehr oder weniger Mrawinsky kopiert, gerade seine Tempi, und war sehr begeistert davon.

Das ging überhaupt nicht, das klingt total schief. Man kann nicht jemand anders imitieren, wenn man selbst die Verantwortung hat. Das geht früher oder später schief.

Preise sind wichtig für die Öffentlichkeit, nicht für den Künstler

Herr Blomstedt, jetzt haben Sie schon einige Auszeichnungen bekommen, unter anderem das große Verdienstkreuz mit Stern. Das ist eine besondere Stufe des Bundesverdienstordens. Und dieses Jahr bekommen Sie den Opus Klassik für ihr Lebenswerk. Wie geht es Ihnen damit, diesen Preis zu bekommen?

Blomstedt: Ja, man hat da ja keinen Einfluss, Gottseidank. Man kann nur allen danken und dann schnell vergessen.

Also sind Ihnen solche Preise nicht wichtig?

Blomstedt: Was ist wichtig für die Öffentlichkeit, nicht für den Künstler. Ich hatte einen älteren Kollegen in Deutschland, Eugen Jochum. Er hatte einen wunderbaren Humor. Wenn er solche Preise bekam, dann sagte er immer wieder: „Das kommt wieder in den Blechkasten.“

Man soll sich natürlich darüber freuen, und das kann in einer gewissen Zeit eine große Aufmunterung sein, die man braucht. Aber wenn das dazu führt, dass man glaubt: „Jetzt bin ich einer von den Großen!“, dann ist das schon gefährlich.

Herr Blomstedt, ich danke Ihnen sehr für ihre Zeit und wünsche Ihnen alles Gute, vor allen Dingen Gesundheit. Bleiben Sie fit und dirigieren Sie weiter!

Blomstedt: Vielen Dank.

Backstage Talk Herbert Blomstedt: Wenn wir denken, das kann ich schon, dann sind wir schon erledigt

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