DVD-Tipp

Dirigent Yannick Nézet-Séguin und das Rotterdam Philharmonisch Orkest

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AUTOR/IN
Kai Löffler

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Mit nur 25 Jahren wurde Yannick Nézet-Séguin Chefdirigent des Orchestre Métropolitain im kanadischen Montreal, acht Jahre später auch des Rotterdam Philharmonisch Orkest. Jetzt wechselt er an die New Yorker Metropolitan Oper. Gewissermaßen zum Abschied dokumentiert eine DVD seine Zeit in Rotterdam. Kai Löffler hat sie für uns angesehen.

Weltklasse-Dirigent

Yannick Nézet-Séguin ist nicht nur ein Weltklasse-Dirigent, er ist auch ein echter Charakter, jemand der die schönen Dinge des Lebens genießt, liebevoll mit seinen Mitmenschen umgeht und sich selber nicht zu ernst nimmt.

Die gerade zu seinen Ehren erschienene Doppel-DVD enthält einen Dokumentarfilm über ihn und eine Aufführung von Schostakowitschs vierter Symphonie, aufgenommen an zwei Abenden im Jahr 2016. 

Interviews mit Orchestermusikern

 „Yannick“ heißt der Dokumentarfilm und beleuchtet vor allem Nézet-Séguins Image, seine Persönlichkeit. Die Kamera folgt dem Dirigenten an die unterschiedlichsten Orte, ins Fitness-Studio, nach Hause und natürlich in den Konzertsaal.  Zwischendurch streut Regisseur Christian Van Schmerbeek Interviewschnipsel mit Orchestermusikern ein, die über die anfangs manchmal holprige Zusammenarbeit mit Nézet-Séguin erzählen.

In der im Film dokumentierten Zeitspanne ist Nézet-Séguin ein vielbeschäftiger Mann. Er leitet simultan drei Orchester - Montreal, Philadelphia und Rotterdam - und muss deshalb auch zunächst ablehnen, als die New Yorker Met ihn als neuen Chefdirigenten gewinnen will.

Dokumentarfilm als Abschiedsgeschenk

Inzwischen hat Nézet-Séguin die Stelle bekanntermaßen angenommen; 2020 tritt er seinen neuen Posten an. Der Film ist eine Art Abschiedsgeschenk des Rotterdammer Orchesters, ein Dankeschön für zehn gemeinsame Jahre. Er zeigt deshalb auch viele persönliche Momente, die Nézet-Séguin mit den Musikern teilt; ein gemütliches Abendessen, lange Umarmungen nach einem Konzert und Probenaufnahmen. Man spürt wie sehr sich Dirigent und Orchester mögen.



Nézet-Séguin erzählt außerdem von seinem Mentor, dem italienischen Dirigenten Carlo Maria Giulini, der ihn, damals schon in hohem Alter, als Lehrer und Vaterfigur stark geprägt hat. Auch über seine Homosexualität spricht der Dirigent und darüber, wie er in der Öffentlichkeit damit umgeht.

Auch Nézet-Séguins Eltern kommen zu Wort

 Zwischendurch taucht der Film immer wieder in die Jugend seines Protagonisten ein und lässt auch die sichtlich stolzen Eltern zu Wort kommen. Und dann wären da noch Aufnahmen, in denen Nézet-Séguin seine neue Kaffeemaschine ausprobiert oder die "22-Tage-22 Liegestütze-Challenge" annimmt.

Sehenswertes Bonusmaterial

Als Bonus befinden sich auf der DVD sehenswerte Interviews, eins mit Nézet-Séguin selbst, zwei mit Mitgliedern seines Orchesters, Aufnahmen der ersten- und zweiten Probe und der Generalprobe. Und natürlich, auf der zweiten Disk, das Konzert: Nézet-Séguin und die Rotterdammer Symphoniker spielen Schostakowitschs Symphonie Nr. 4. Es ist eine saubere Aufnahme einer dynamischen Interpretation.

Während bei der Dokumentation Bild und Ton adäquat sind, stößt das veraltete Medium DVD beim Konzert schnell an seine Grenzen. Der Ton könnte noch etwas mehr Druck haben, ist aber passabel. Das Bild macht dagegen durch die schwachen Kontraste, die kraftlose Farbwiedergabe und die generelle Unschärfe gerade auf einem größerem HD- oder 4K Fernseher wenig Spaß.

Film und Konzert hätten noch Potential

Mit der verbesserten Bild und Tontechnik einer Blu-ray hätte die Schostakowitsch-Aufnahme glänzen können. Und auch im Filmmaterial, das Regisseur Van Schmerbeek gesammelt hat, steckt viel Interessantes; im Schneideraum hätte daraus ein intimes Porträt eines Dirigenten werden können, der über die Jahre mit seinem Orchester zusammenwächst. Vielleicht auch einen Film über den bewegten Alltag eines international erfolgreichen Künstlers. Oder eine Chronik einer künstlerischen und persönlichen Selbstfindung.

Filmisches Pendant einer Fotocollage

Stattdessen ist die Dokumentation eine unzusammenhängende Sammlung von Schnipseln, das filmische Pendant einer großformatigen Fotocollage über Yannick Nézet-Séguin. Für denjenigen, der diese Erinnerungen selbst gelebt hat, ist eine solche Collage ein bewegendes, persönliches Geschenk. Bei den meisten anderen aber wandert die DVD wahrscheinlich bei der nächsten Gelegenheit in den Keller. So sind Hörer mit Interesse an der Schostakowitsch-Aufnahme möglicherweise mit der CD der Deutschen Grammophon besser beraten.

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Kai Löffler