Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger

Porno mit Buch: Wo hört das lyrische Ich von Till Lindemann auf?

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Katharina Borchardt
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Dominic Konrad

Bis vor kurzem hat der Verlag Kiepenheuer & Witsch Lindemanns Narco-Gedicht „Wenn du schläfst“ aus dem Band „100 Gedichte“ als Ausdruck künstlerischer Freiheit akzeptiert. Seit Lindemanns Lyrikband „In stillen Nächten“, der auch bei KiWi erschien, nun aber in einem gewalttätigen Porno-Clip auftaucht, hat der Verlag die Zusammenarbeit aufgekündigt. Wo hört lyrisches Ich auf und fängt Strafbarkeit an?

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Sieben Minuten Porno mit Lyrikband

Porno mit Buch, das gibt es selten. Rammstein-Sänger Till Lindemann hat es versucht. Ein siebenminütiger Clip, der bereits vor drei Jahren veröffentlicht wurde, schlägt augenblicklich hohe Wellen.

Und just durch einige der Sex-Szenen geistert auch einer seiner Lyrikbände. In den ist ein großes Loch geschnitten, damit Till Lindemanns enormer und im Film vielfach präsentierter Penis hindurch passt. Die Szenen spielen in verschiedenen Hotelzimmern, es sind neben Lindemann stets mehrere Frauen beteiligt, die teils weiße Till-Lindemann-Masken tragen, die an Totenmasken erinnern.

Der perforierte Lyrikband erschien bereits 2013. Er heißt „In stillen Nächten“. Wobei von stillen Nächten hier sicherlich keine Rede sein kann.

Reaktionen der deutschsprachigen Presse auf den Rammstein-Skandal:

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Verlag sieht Vertrauensverhältnis „unheilbar zerrüttet“

Man findet den Clip durch rasches googeln, aber wenn man nicht danach googelt, entdeckt man ihn eben nicht. Und so kommt der Kulturbetrieb erst jetzt drauf. Angestoßen durch die eidesstattlichen Erklärungen weiblicher Fans über K.O.-Tropfen und Übergriffe durch Frontmann Lindemann im Umfeld von Rammstein-Konzerten.

Auch der Verlag Kiepenheuer & Witsch hat offenbar erst jetzt ins Video geschaut – und die Zusammenarbeit mit Lindemann angeekelt aufgekündigt.

Man findet auf der Website des Verlags kein einziges Lindemann-Buch mehr. Das Vertrauensverhältnis zum Autor sei „unheilbar zerrüttet“, schreibt Verlegerin Kerstin Gleba in einer Pressemitteilung. Das habe mit „demütigenden Handlungen“ gegenüber Frauen zu tun.

Verlegerin: Lindemann verhöhnt Trennung zwischen Autor und Kunstfigur

Außerdem würde durch „die gezielte Verwendung unseres Buches im pornographischen Kontext (…) die von uns so eisern verteidigte Trennung zwischen dem ‚lyrischem Ich‘ und dem Autor/Künstler aber vom Autor selbst verhöhnt“.

Tatsächlich gab es ja schon vorher Diskussionen zu Lindemann, der in dem Gedicht „Wenn du schläfst“ davon phantasierte, einer Frau Rohypnol in den Wein zu geben und dann mit der sedierten, also willenlosen Frau Sex zu haben.

Kommentar zu Till Lindemanns Lyrikband „100 Gedichte“ (2020)

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Man dürfe den Autor nicht mit dem lyrischen Ich verwechseln, verteidigte Ex-KiWi-Verleger Helge Malchow Lindemann damals. Sonst sei ja gar kein Schreiben über das Böse mehr möglich. Was natürlich stimmt.

Der Gedichttext wird zur Päsentationsfläche für Lindemanns Penis

Unterdessen hat Lindemann nachgelegt und seinen Gedichtband zum Filmrequisit gemacht. In einem Porno-Clip nun kommt der Band an zwei, drei Stellen vor. Zunächst am Anfang, wenn eine mit osteuropäischem Akzent sprechende nackte Frau das Buch in der Hand hält, in dem ein Dildo steckt, auf dem wiederum der Name „Till“ steht.

Und schließlich steckt es auf Till Lindemanns erigiertem Penis, an dem eine Frau lutscht. Aufgeschlagen ist das Buch auf der Seite mit dem Gedicht „Nein“, dessen Text in den Song „Till the End“ überführt wurde, der das Video größtenteils sehr massiv unterlegt.

Die gebrochene Frau ist die Quintessenz dieses Videos, in dem nur sehr junge, schlanke Frauen auftreten. Alle sehr ähnlich. Alle erwachsen, aber leicht umschubsbar.

Hört das lyrische Ich bei Körperverletzungen auf?

Zu Beginn etwa sieht man eine dieser Frauen mit unzähligen blauen Flecken an beiden Knien. In anderen Szenen reißt Till Lindemann Frauen an den Haaren. Das alles ist schäbig, freudlos und sicherlich bewusst nihilistisch.

Wirklich justiziabel aber wird es erst in einer Szene, in der auch die Musik aussetzt und Till Lindemann eine auf dem Tisch liegende Frau schwer würgt, sie kneift und schlägt und anschließend mit nach hinten verdrehten Armen vergewaltigt. Es ist davon auszugehen, dass sie Todesangst hat.

Spätestens an dieser Stelle ist dann sicherlich auch ein Ende für das sogenannte lyrische Ich erreicht. Das es so natürlich auch im Film geben kann: Till Lindemann kann sich hier durchaus bloß als Schauspieler verstehen, der eine böse Figur verkörpert, zumal in all seinen Kostümen und der großflächigen Schminke im Gesicht.

Doch wenn es in diesem Film oder im Umfeld des Films zu schweren Körperverletzungen kam, muss er zur Verantwortung gezogen werden. Dann ist für ihn Schluss mit dem lyrischen Ich .

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