Glosse

Kraftwerk vs. Pelham und kein Ende? Wie ein paar Sekunden Musik vor Gericht gelandet sind

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Max Bauer

Ein Rechtstreit in Dauerschleife - und genauso klingt er auch: Seit über 20 Jahren streiten sich die Elektro-Pioniere von Kraftwerk mit Rapper und Produzent Moses Pelham um einen Song-Schnipsel. Den hat Pelham, je nach Lesart, rechtswidrig geklaut oder rechtmäßig gesampelt. Die Frage muss vorerst offen bleiben, denn der Bundesgerichtshof hat erst einmal wieder bei den europäischen Kollegen in Luxemburg angefragt.

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20 Jahre Rechtsstreit wegen zwei Sekunden

Es ist ein kleiner Tonschnipsel von gerade mal zwei Sekunden, der seit 20 Jahren die Gerichte beschäftigt: eine Rhythmus-Sequenz aus dem Song „Metall auf Metall“ der Düsseldorfer Kultband Kraftwerk. Der Frankfurter Rapper und Musikproduzent Moses Pelham hatte das kleine Stück Musik kopiert und leicht verändert in einen eigenen Song eingebaut. Durfte er das?

„Metall auf Metall“ von Kraftwerk:

Über dieses Sampling wird seitdem vor Gericht gestritten. Der Fall war schon am Bundesverfassungsgericht, am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg und bereits fünfmal vor dem Bundesgerichtshof. Und jetzt hat der BGH den Fall wieder an den Europäischen Gerichtshof abgegeben – eine musikalische und juristische Dauerschleife.

„Man sollte doch wenigstens einmal fragen“

„Ja, wenn man aus dem Werk eines anderen etwas entnimmt, dann sollte man doch wenigstens einmal fragen. So einfach ist das!“, sagt Ralf Hütter, Mitbegründer der legendären Elektro-Band Kraftwerk.

Sauer sind die bei Kraftwerk. Und zwar sauer auf Moses Pelham. Die zwei Sekunden Elektro-Beat aus dem Kraftwerkstück „Metall auf Metall“ wurden minimal verändert zur Rhythmusspur des Songs „Nur mir“, den Moses Pelham 1997 für Sabrina Setlur produziert hat. Und deshalb gibt es seit über 20 Jahren Streit vor vielen Gerichten. 

„Nur mir“ von Sabrina Setlur:

Sampling: Kunstfreiheit oder Diebstahl?

Sampling ist das Stichwort. Das heißt, Musiker nutzen fremde Töne für die eigene Musik. Im Hip-Hop oder im Pop generell wird das oft gemacht. Die Frage ist nur: Ist es auch rechtswidrig, dass Moses Pelham sich Tonschnipsel von Kraftwerk, sagen wir mal, ausgeliehen hat, ohne zu fragen?

Kraftwerk vs. Pelhalm – erklärt von ARTE Tracks:

Die deutschen Gerichte und schließlich auch das Bundesverfassungsgericht haben eigentlich gesagt: Die Kunstfreiheit erlaubt das Sampling, das Ausleihen von Tönen ohne Einverständnis. Doch dann wurde das Europarecht mehrfach geändert und der Europäische Gerichtshof meinte, das Urheberrecht ist wichtiger, Sampling hat Grenzen.

In der Folge wurden auch die deutschen Gerichte strenger. Doch jetzt gibt es wieder Hoffnung für das Sampling. Denn wegen des Europarechts steht jetzt ein neues Wort im Urheberrechtsgesetz: Pastiche. Ein Pastiche ist nämlich erlaubt. 

Der Elektro-Beat, ein „Pastiche“?

Doch ist das ein Pastiche? Pastiche oder nicht – mit dieser Frage hat sich das Recht nun vollkommen in der Kunst verheddert. In der Kunst imitiert das Pastiche ein anderes Kunstwerk und zwar so, dass es jeder merkt. Es soll auch jeder merken. Denn das Pastiche bewundert sein Vorbild und wird zur Hommage, oder nimmt das Vorbild auf die Schippe und wird zur Parodie.

Der Gerichtssaal wird zur Bühne, der Prozess zur Performance

Nichts neues eigentlich. Schon 1919 hat Marcel Proust das Buch „Pastiches et Mélanges“ geschrieben. Darin geht es um den Gerichtsprozess gegen einen Betrüger, der vorgibt, synthetisch Diamanten herstellen zu können. Proust schrieb die Story in verschiedenen Stilen, mal so wie Flaubert, mal so wie Balzac. Die Geschichte eines Diamanten-Betrügers, geschrieben von einem Literatur-Betrüger, könnte man sagen.

Ja, und vielleicht machen Kraftwerk und Moses Pelham mit uns ja das gleiche: Der Gerichtssaal wird zur Bühne, der endlose Gerichtsprozess zur Performance. Kunst entsteht aus Kunst und wird wieder zur Kunst, und zwei kleine Sekunden Elektro-Rhythmus werden eine Ewigkeit. In diesem Rhythmus kann dieser Prozess gar nicht zu Ende gehen. 

 

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