Ikonische Pop-Momente am laufenden Band
Mit ihrem letzten Visual Album „Lemonade“ sang und inszenierte Beyoncé 2016 eine Empowerment-Hymne auf Schwarze Frauen und polarisierte mit politisch aufgeladenen Songs. Von ihrem hochschwangeren, madonnenhaften Grammy-Auftritt 2017, über ihre politisierte Super-Bowl-Performance im Black-Panther-Look bis hin zu visuell spektakulären Musikvideos mit Schwarzen Idolen wie Serena Williams oder Zendaya, die millionenfach geklickt wurden, lieferte „Queen Bey“ einen ikonischen Pop-Moment nach dem anderen.
Doch immer wieder steht Beyoncé auch im Fokus der Kritik: Kulturelle Aneignung und Kommerzialisierung von Subkulturen werden der Musikerin vorgeworfen. Vor der Erscheinung ihres neuen Albums, das den passenden Titel „Renaissance“, also Wiedergeburt, trägt, lohnt sich ein Blick auf das jüngere Schaffen der Texanerin und die neuen Perspektiven der Künstlerin.
Ruhm, Geld, Macht und Black Excellence
Die Projekte der Sängerin, die auf das Erfolgsalbum „Lemonade“ folgen, übertreffen sich gegenseitig in Prunk, Glamour und beeindruckender Bildsprache. Black Pride und Black Excellence stehen dabei stets im Zentrum – Beyoncé feiert das Schwarzsein und ihren Erfolg, wenngleich auch Ästhetik, Sound und Botschaft unmittelbar an „Lemonade“ anzuknüpfen scheinen.
Als sie 2018 zusammen mit Ehemann Jay-Z als „The Carters“ das R&B und HipHop Album „Everything is Love“ veröffentlicht, bucht sich das Paar für den Videodreh zum Rap-Hit „Apeshit“ direkt den ganzen Louvre. Hier klingt bereits durch, was Beyoncé seitdem wiederholt besingt und anpreist: Ruhm, Geld, Macht und Black Excellence.
Die Botschaft, die dabei deutlich durchdringt, lautet: Wir beide haben es geschafft. Wir sind an der Spitze des Rap- und Pop-Olymps angekommen. Wir bahnen der Black Music einen Weg in den Mainstream und definieren damit Popkultur. Und vor allem: Wir sind reicher als ihr alle zusammen und zeigen das auch – gerne.
Fokus auf die visuelle Repräsentation Schwarzer Menschen
2019 produziert Beyoncé den Soundtrack zum Remake von „The Lion King“ mit und liefert im selben Jahr als erste Schwarze, weibliche Headlinerin beim Coachella-Festival einen einschlagenden Auftritt ab, der anschließend auf Netflix dokumentiert wird. Im Visual Album „Black Is King“, das 2020 erscheint und an das „Lion King“-Remake anknüpft, übertreffen sich Choreografie, Kostüm und Inszenierung gegenseitig. Jede Sekunde ist visuell bis ins kleinste Detail aufeinander abgestimmt.
Beyoncé lässt dabei die Arbeit von afrikanischen Filmmacher*innen, Choreograph*innen, Designer*innen und Künstler*innen einfließen, wie etwa von dem ghanaischen Musiker Shatta Wale oder der nigerianischen Sängerin Tiwa Savage. Zudem legt sie, wie auch im „Lemonade“-Film, großen Wert auf die visuelle Repräsentation Schwarzer Menschen – verstärkt durch Cameos von Pharrell Williams, Naomi Campbell oder Lupita Nyong'o.
Zwischen Empowerment und Aneignung
Für die einen wird „Black Is King“ daher als bildgewaltiges Visual Album gefeiert, das African und Black American Culture repräsentiert und zelebriert, Schwarze Menschen empowert und diesen eine Bühne bietet. Von anderen wiederum erntet Beyoncé starke Kritik für ihre Inszenierung.
Auf Twitter entbrannten kontroverse Diskussionen über kulturelle Aneignung – wobei sich vor allem auch Afrikaner*innen zu Wort meldeten. So lautet der Vorwurf unter anderem, dass sich Beyoncé visuell hauptsächlich an west-afrikanischer Yoruba-Kultur bediene, die den ganzen Kontinent repräsentieren soll und damit ein verzerrtes, prä-kolonialistisches Bild von Afrika zeichnet.
Beyoncé verwende traditionelle Körperbemalungen, afrikanische Gewänder, Kopftücher oder Frisuren und stilisiere sich selbst als afrikanische Königin und Mutter. Auch werden Stimmen laut, dass die Sängerin Afrika zwar als Story-Trope benutze, jedoch selbst noch nie eine Tournee auf dem Kontinent spielte.
Eine neue Dance-Ära oder Wiedergeburt eines Erfolgsrezepts?
Sechs Jahre nach dem Erscheinen von „Lemonade“ ist Beyoncé nun zurück mit ihrem siebten Soloalbum „Renaissance “. Der Titel kündigt eine musikalische und künstlerische Neuausrichtung der Pop-Gigantin an.
Auf ihrem Instagram-Kanal lässt Beyoncé ihre Followerschaft bereits wissen, dass sie mit „Renaissance“ ein Gefühl von Aufbruch, Freiheit und neuem Optimismus vermitteln will.
Einen Vorgeschmack auf das neue Album und das Gefühl von Aufbruch und Freiheit liefert Beyoncé bereits mit ihrer Dance-Hymne „Break My Soul“, die vor allem innerhalb der LGBTQ+-Community gefeiert wird.
Die LGBTQ+ Szene ist begeistert
Die Anspielungen sind eindeutig: Beyoncé veröffentlicht den Song ausgerechnet während des Pride-Monats Juni, kurz vor der großen New Yorker Pride-Parade. Er basiert auf dem elektrisierenden Sample des House-Klassikers „Show Me Love“ von Robin S., der in den 90er Jahren in der Clubszene durch die Decke ging. Zudem mischt der Track die antreibende Stimme der schwarzen, queeren Bounce-Musikerin Big Freedia unter das Intro. Innerhalb kürzester Zeit wurde zu „Break My Soul“ schon bei den ersten Drag-Shows getanzt.
Es ist das erste Mal, dass Beyoncé mit offenem Empowerment für die LGBTQ+ Szene in Erscheinung tritt. Nicht jede*r nimmt der Künstlerin diesen Schritt als Überzeugungstat ab – Kritiker*innen könnten darin eher einen Sprung auf den „Pride-Train“ sehen.
Dennoch: Sogar ohne Videoveröffentlichung erreichte die Single auf YouTube bereits nach wenigen Stunden rund zwei Millionen Klicks und Ex-Präsident Barack Obama platzierte den Song gar in seiner populären „Summer Playlist“.
Post-pandemischer Zeitgeist oder doch eher Doppelmoral?
Mit „Break My Soul“ stößt Beyoncé ein Revival der 90er-Jahre Dance und House Musik an und fängt damit den post-pandemischen Zeitgeist geradezu perfekt ein. Der Song ist ein Ruf nach Aufbruch und Befreiung aus der Lockdown-Phase – nach der gerade junge Menschen das drängende Bedürfnis haben, sich frei zu tanzen.
Allerdings tritt die Sängerin mit ihren Lyrics erneut eine kleine Welle der Kontroverse los, denn die Songzeilen “Release ya anger, release ya mind, Release ya job, […] release the stress” oder auch “I just quit my job, I'm gonna find new drive” lassen sich wie ein Aufruf dazu lesen, den Job zu kündigen.
Diese Aufforderung ruft vor dem Hintergrund der Pandemie, in der unzählige Menschen ihren Job verloren haben, bei vielen Fans eher ambivalente Gefühle hervor. So ein Text, gesungen von einer milliardenschweren Sängerin, die in vielen Hinsichten Kapitalismus und Luxus verkörpert und den „9 to 5 struggle“ wohl eher weniger am eigenen Leib erfahren muss, wirkt wie ein Affront.
Für die Fans, die sich angelehnt an das englische Wort für Bienenstock liebevoll „Beyhive“ nennen, verkörpert Beyoncé mit dem Song den Zeitgeist einer Generation, die sich von den Fesseln von Corporate America und dem Stereotyp des „alten weißen Mannes“ lösen will.
Das Artwork ist eine Hommage an das goldene Disco-Zeitalter
Auf dem „Renaissance“-Albumcover thront Beyoncé auf einem schillernden, gläsernen Pferd. Als wesentlicher Kontrast ist ihr nackter Körper dabei allerdings lediglich von silbernen, schneidend-scharfen Körperschmuck bedeckt, während ihre offenen, langen Haare über die Schultern fallen: Sie bleibt eben eine Frau der großen Auftritte.
In einer Vogue-Fotoreihe zum Cover-Shoot ist die Sängerin in einen glitzernden Retro-Futurismus gehüllt, der an die Club-Kid-Ära der 70er- und 80er-Jahre erinnern soll. Die Outfits ähneln allerdings eher einer schillernden Drag-Ästhetik – ein Mix aus Latex und Glitter, Plateau und Federn, Camp und Disco. Ein Stil, den sonst Stars wie Lady Gaga prägen, die sich im Gegensatz zu Beyoncé allerdings öffentlich für die LGBTQ+-Community stark machen.
Queer ist im Trend, doch Aneignung kann auch als Hommage verstanden werden
Erneut drängt sich der Eindruck kultureller Aneignung und der Kommerzialisierung von Subkulturen auf. Doch dieses Muster ist in der Popkultur weder neu noch verwerflich. Popkultur bedient sich schon immer subkultureller Trends und ist maßgeblich geprägt von gesellschaftlichen und kulturellen Einflüssen, wie schon Madonna 1990 mit ihrem Hitvideo zu „Vogue“ zeigte, in dem sie die Subkultur der marginalisierten, queeren Ballroom-Szene aus Harlem in den Mainstream holte.
Aktuell sind queere Themen trendiger denn je: Die Drag-TV-Show „RuPaul‘s Drag Race“ geht weltweit durch die Decke und bringt Drag-Kultur in den Mainstream, Unterhaltungsformate wie Princess Charming setzen immer mehr auf Diversity und Unternehmen springen oftmals leider erst auf den „Pride-Zug“ auf, wenn sie damit ihre Verkaufszahlen steigern.
Dass Beyoncé sich also einer gewissen Ästhetik bedient, muss nicht zwingend nur kritisch betrachtet werden, denn Aneignung kann eben genauso auch als Hommage von der jeweiligen Kultur und Community fungieren.
„Break My Soul“ ist und bleibt ein empowerndes und belebendes Dance-Anthem, für alle, die von der Gesellschaft unbeachtet bleiben oder fallen gelassen werden, doch trotzdem wieder aufstehen und nach vorne schauen – Und selbstredend auch für alldiejenigen, die einfach abtanzen und gut unterhalten werden wollen.
Hin oder her, Beyoncés Konzepte scheinen stets aufzugehen: Die Kritik der kulturellen Aneignung und des kommerziellen Kalküls scheinen immer wieder der einzigartigen Bildkraft sowie ihrer Stimmgewalt und dem feinen Gespür für Zeitgeist zu unterliegen – der Erfolg, den mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch das Ende Juli erscheinende „Renaissance“ einfahren wird, gibt Queen B recht.