SWR2 lesenswert Kritik

Peter Longerich – Die Sportpalast-Rede 1943. Goebbels und der »totale Krieg«

Stand
AUTOR/IN
Stefan Berkholz

Audio herunterladen (4,4 MB | MP3)

Der Historiker Peter Longerich dokumentiert und kommentiert Goebbels' Sportpalast-Rede vom Februar 1943 nach der Tonaufnahme, inklusive Zwischenrufen und Stimmungen aus dem Publikum. So wird das Zusammenspiel zwischen Redner und Auditorium deutlich.

Siedler Verlag, 208 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-8275-0171-4

Der 1955 geborene Peter Longerich ist einer der wichtigsten deutschen Historiker. Er ist Professor in London und hat maßgebliche Bücher über den Nationalsozialismus verfasst, darunter Biografien von Hitler, Goebbels und ein Buch über die Wannseekonferenz. Jetzt erschien "Die Sportpalast-Rede 1943. Goebbels und der »totale Krieg«" – Stefan Berkholz.

Joseph Goebbels war „der eigentliche Exekutor des Führerwillens“, schreibt der Historiker Peter Longerich. Goebbels war „der engste Vertraute und politische Mitarbeiter“, so größenwahnsinnig wie zutiefst ergeben. Und dennoch war er an den „zentralen Entscheidungsprozessen nur am Rande beteiligt“, analysiert der Historiker.

So erfuhr Goebbels vom Überfall auf die Sowjetunion, den Hitler bereits seit Sommer 1940 plante, erst ein halbes Jahr später, ab März 1941. Goebbels‘ Sportpalast-Rede vom 18. Februar 1943 markierte den Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg. Im November 1942 war es zur Niederlage der deutschen Wehrmacht in Afrika gekommen, im Winter 1942/43 kam es zur Katastrophe bei Stalingrad.

„Das ‚Dritte Reich‘ war endgültig in die Defensive geraten“, schreibt Longerich. Zugleich verdichteten sich bis Ende 1942 die Hinweise auf den Massenmord an den Juden. Anfang Dezember 1942 postuliert Goebbels in seinem Tagebuch, „die Judenfrage einer radikalen Lösung zuzuführen“. Die Hetzrede vom Februar 1943 im Berliner Sportpalast sollte dazu dienen, „den Deutschen deutlich zu machen, dass sie längst Zeugen und Komplizen eines gigantischen Verbrechens geworden waren“, verdeutlicht Longerich.

Und Goebbels selbst war sich darüber im Klaren, dass eine Niederlage von Hitlers Reich auch das Ende seines eigenen Lebens bedeuten würde. Entweder – Oder, einen Mittelweg gab es in diesen Überlegungen nicht. Verzweifelter letzter „Totaler Krieg“ oder Untergang mit allen Konsequenzen und Abrechnung durch die Siegermächte. Dies war die Quintessenz von Goebbels‘ Kampfrede, zwei Jahre vor Kriegsende.

Im ersten Kapitel erzählt Longerich auf rund fünfzig Seiten die Vorgeschichte, „von der Siegesstimmung im Sommer 1942 bis zur Winterkrise 1942/43“, wie die Überschrift lautet. Im Hauptteil dokumentiert und kommentiert der Historiker auf knapp achtzig Seiten Goebbels‘ Rede, und zwar nach der Tonaufnahme, das heißt inklusive Zwischenrufen und Stimmungen aus dem Publikum.

Longerich interpretiert und analysiert also nicht nur Goebbels‘ Wortlaut, sondern stellt durch die dokumentierten Zwischenbemerkungen auch die „Interaktion zwischen Redner und Publikum“ dar, „im Sinne eines ‚Gesamtkunstwerks‘“, wie der Historiker in Anführungszeichen hinzufügt. In Teil 3 schließlich – „Nach der Rede“ - fasst Longerich auf 35 Seiten die anschließenden Reaktionen zusammen, wobei er in erster Linie Zeitungen in den Blick nimmt. Darin stößt er auf kritische Andeutungen in der Nazipresse. In einem Bericht vom Sicherheitsdienst des Reichsführers SS, dem SD, findet sich zudem die distanzierende Bemerkung, dass der »propagandistische Zweck (…) allzusehr zum Bewusstsein gekommen« sei, das heißt, die Rede sei allzu leicht als reine Propaganda-Inszenierung zu erkennen gewesen.

Auch aus der gleichgeschalteten Justiz und sogar in Berichten der Reichspropagandaämter gab es kritische Töne. Und die politischen Auswirkungen von Goebbels‘ Rede in der Welt? Das Echo im Ausland? Der Historiker Iring Fetscher hatte dazu vor rund 25 Jahren in einer vergleichbaren Arbeit zur Sportpalast-Rede erste Studien unternommen. Longerich hat sich weitere Forschungen dazu erspart und sich mit einem knappen Überblick und Zusammenfassungen begnügt. Vor über zehn Jahren veröffentlichte Peter Longerich bereits eine beinahe tausend Seiten starke Goebbels-Biographie.

Im vorliegenden Buch kristallisiert er anhand von Goebbels‘ so exzessiven wie propagandistischen Tagebüchern eine krankhaft narzisstische Persönlichkeit heraus. So größenwahnsinnig wie zutiefst abhängig von und gut vertraut mit Hitler, blieb Goebbels dennoch in grundlegenden Entscheidungsprozessen eher eine Randfigur. Ein Widerspruch, der genauer analysiert werden könnte. Peter Longerich hat mit diesem schmalen Buch – pünktlich zum Jahrestag – eher ein Nebenprodukt seiner historischen Arbeit vorgelegt.

Zeitwort 18.2.1943: Joseph Goebbels fordert „den totalen Krieg“

Sie gilt als die berühmteste Rede im Dritten Reich: Als die Niederlage im Zweiten Weltkrieg näher rückt, hetzt im Sportpalast der Propagandaminister das Volk auf.

SWR2 Zeitwort SWR2

21.4.1945 Goebbels ruft zur Verteidigung Berlins auf

21.4.1945 | Der Krieg, den Deutschland angefangen hat, ist praktisch schon verloren, als Joseph Goebbels im Rundfunk die Bewohner Berlins noch einmal zur erbitterten Verteidigung der Hauptstadt gegen den, wie er es nennt, "Mongolensturm" aufruft.

Buchkritik Peter Longerich - Antisemitismus: Eine deutsche Geschichte. Von der Aufklärung bis heute

Antisemitismus ist struktureller Bestandteil deutscher Identität: So die These des renommierten deutschen Zeithistorikers Peter Longerich in seinem neuen Buch "Antisemitismus - eine deutsche Geschichte".
Rezension von Roman Herzog.
Siedler Verlag, 640 Seiten, 34 Euro
ISBN: 978-3-8275-0067-0

SWR2 lesenswert Kritik SWR2

Politik Politische Rhetorik – Was macht große Reden aus?

Große politische Reden überdauern die Zeit. In Deutschland aber, so scheint es, haben wir lange keine mehr gehört. Was macht eine gute Rede aus und wann wird sie unvergesslich?

SWR2 Wissen SWR2

Stand
AUTOR/IN
Stefan Berkholz