SWR2 lesenswert Kritik

NoViolet Bulawayo – Glory

Stand
AUTOR/IN
Tino Dallmann

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In Jidada, einem fiktiven afrikanischen Land, das an Simbabwe erinnert, endet die Herrschaft des alten Pferdes mit einem Coup. Vor vielen Jahren hat es das Land in die Unabhängigkeit geführt, doch inzwischen herrschen Misswirtschaft und Korruption - und daran ändert sich auch mit den neuen Machthabern nichts. Ein eindringlicher Roman, der an George Orwells Farm der Tiere erinnert.

Aus dem Englischen von Jan Schönherr
Suhrkamp Verlag, 467 Seiten, 25 Euro
ISBN 978-3-518-43104-7

NoViolet Bulawayo wurde in Simbabwe geboren und lebt in den USA, wohin sie mit 18 Jahren ausgewandert ist. Derzeit ist sie Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin. Ihr Debütroman "Wir brauchen neue Namen" war vor knapp zehn Jahren für den renommierten Booker Prize nominiert, jetzt hat sie ihren zweiten Roman vorgelegt: "Glory" – Tino Dallmann.

Wer NoViolet Bulawayos Roman Glory aufschlägt, kommt nicht umhin, an George Orwell und seine Fabel Farm der Tiere zu denken. Schließlich sind auch hier die Protagonisten Tiere: Der Roman spielt in einem fiktiven afrikanischen Land mit dem Namen Jidada. Dessen Präsident, ein altes Pferd, hat das Land vor vielen Jahren von der kolonialen Herrschaft in die Unabhängigkeit geführt. Inzwischen liegt diese Zeit aber so lange zurück, dass selbst das Pferd sich nicht mehr genau erinnern kann, in welche glanzvolle Zukunft es das Land eigentlich führen wollte. Dazu kommt, dass die Realität in Jidada ziemlich trist aussieht. Die Schulen, Krankenhäuser und Straßen sind in einem miserablen Zustand. Den meisten Tieren fehlt es am Nötigsten, während sich die Herrschenden bereichern – auch die junge Ehefrau des Präsidenten. Die Eselin schmiedet, sehr zum Missfallen des inneren Machtzirkels, bereits Pläne, ihren gebrechlichen Gatten im Amt abzulösen.  

Natürlich verhandelt diese Allegorie die jüngere Geschichte Simbabwes. Das alte Pferd und die Eselin sind unschwer als die Ebenbilder von Robert und Grace Mugabe zu erkennen. Wie bei Orwells Farm der Tiere geht es um eine Revolution, die den Grundstein für eine Schreckensherrschaft legt. Denn auch der Staatsapparat in Jidada baut auf Furcht auf. Eine Armee von Hunden erstickt jeden Anflug von Auflehnung mit äußerster Brutalität. Bildhaft beschreibt NoViolet Bulawayo, wie vermeintliche Rebellen verfolgt und brutal umgebracht werden. Auch in Simbabwe gab es solche Morde, bei denen in den 1980er Jahren mehr als 20.000 Menschen umgekommen sein sollen. Internationale Forscher haben diese Morde als Genozid anerkannt.

Beeindruckend an Bulawayos Roman ist, dass er die Schwere und Tragik der Geschichte immer wieder mit Leichtigkeit und Humor bricht. An vielen Stellen trägt Glory die Züge einer Satire. Etwa, wenn die Eselin ihre einfache Herkunft mit einem neuen Titel verschleiern möchte und ihren Einfluss dazu nutzt, um einen Doktortitel zu ergattern. Auch ohne den leisesten Schimmer vom Studium an einer Universität hat sie den Titel schneller, als sie das Wort "Dissertation" sagen kann. Komik entsteht auch dann, wenn der Roman die Tierallegorie betont ernst nimmt: Als sich der Vizepräsident mit einigen Hunde-Generälen trifft, um den Sturz des alten Pferdes zu besprechen, umkreisen diese ihn mit wedelnden Schwänzen und beschnüffeln seine Hufe, seinen Schweif – und sein Hinterteil.

Hinzukommt, dass NoViolet Bulawayo für ihren Roman eine Tonart und einen Rhythmus findet, die dem Text eine ganz eigene Dynamik verleihen. In Online-Kommentaren und Tweets lässt sie wiederholt das einfache Tiervolk von Jidida zu Wort kommen. Ihre Äußerungen veranschaulichen so die Zerrissenheit des Landes: Viele Tiere halten an der Revolution und dem vermeintlichen Ruhm der Vergangenheit fest, um sich die triste Gegenwart erträglicher zu machen. Und auch als das alte Pferd abtreten muss, traut sich längst nicht jeder, an eine bessere Zukunft Erneuerung des Landes glauben. Die Sprache aus dem Netz hat sich auf diese Weise in den Roman eingeschrieben - und verleiht ihm bei aller Tiefe ordentlich Tempo.

Glory ist somit weit mehr als eine Adaption von Farm der Tiere. NoViolet Bulawayo hat ein feinfühliges und engagiertes Buch darüber geschrieben, wie Unrecht auch nach dem Ende des Kolonialismus fortwirkt. Dabei führt sie dem Leser nicht nur die Gewaltherrschaft und Korruption der ehemaligen Freiheitskämpfer vor Augen, sondern fragt auch, wie gespaltene Länder wie Jidida geeint werden könnten. Ihr ist ein kluges und an vielen Stellen vor Witz sprühendes Buch über unsere Gegenwart gelungen.

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AUTOR/IN
Tino Dallmann