Buch der Woche vom 22.7.2018

Katharina Adler: Ida

Stand
AUTOR/IN
Wolfgang Schneider

Ida – ein Widerspenstige, die sich nicht zähmen ließ. Katharina Adler, die Autorin, ist zugleich die Urenkelin von Ida, der Heldin des Romans. Lange hat sie in der eigenen Familiengeschichte recherchiert; umso mehr fällt ihr unangestrengter Stil ins Auge, die schlichte, entschlackte Sprache. Damit ist Katharina Adler ein außergewöhnliches und fesselndes Debüt gelungen.

Adler findet den Stoff in ihrer eigenen Familiengeschichte

Bisher hat die 1980 in München geborene Autorin Katharina Adler Amerikanistik studiert, Prosa in Zeitschriften veröffentlicht und Drehbücher geschrieben. Mehrere stipendiengestützte Jahre hat sie an ihrem ersten Roman gearbeitet, der tief in die Geschichte ihrer eigenen Familie eintaucht. Diese Geschichte hat es allerdings in sich – die Urgroßmutter Ida Adler war eine berühmte Patientin Freuds, der Urgroßonkel Otto Bauer ein wichtiger österreichischer Politiker.

Autorin Katharina Adler (Foto: Pressestelle, Rowohlt Verlag - Christoph Adler)
Autorin Katharina Adler

Der Roman beginnt mit der Ankunft Ida Adlers, geborene Bauer, 1941 in New York. Sie hat eine Odyssee hinter sich: Flucht aus Wien, danach aus dem besetzten Frankreich nach Casablanca, um den Nationalsozialisten zu entkommen. Die Schikanen dieser Flucht, die Schiffsreise nach Amerika, zusammen mit anderen Flüchtlingen eingepfercht auf einem alten Frachter, werden erst in den letzten Kapiteln des kreisförmig konstruierten Romans geschildert.

Die ehemalige Patientin Freuds wird mit der Vergangenheit konfrontiert

In den Vereinigten Staaten wird Ida aufgenommen von ihrem einzigen Sohn, dem Kapellmeister Kurt Adler, der bereits im Opernbetrieb von Chicago arbeitet. Auf einer Party erlebt sie, wie über die neueste Mode unter amerikanischen Gebildeten geplaudert wird: die Psychoanalyse. Es ist ein Schreck für Ida.

Eine Tür in ihre Vergangenheit wird aufgerissen. Vor fast einem halben Jahrhundert war die Achtzehnjährige eine Patientin Sigmund Freuds. Ihre Fallbeschreibung wurde berühmt: „Der Fall Dora – Bruchstücke einer Hysterie-Analyse“. Der Vater, ein wohlhabender jüdischer Textilfabrikant, hatte sie wegen nervösem Husten, Stimmproblemen und Selbstmordgedanken zu Freud geschickt.

Der Roman blendet nun zurück in die Zeit der Jahrhundertwende, führt uns mit subtiler Erzählkunst ein in die Familie Bauer und ihre inneren Spannungen und Konflikte. Es gibt schillernde Figuren in dieser Familie, wie Idas Onkel Friedrich Adler, der 1916 aus Protest gegen die österreichische Kriegspolitik den Ministerpräsidenten Karl Stürgkh erschießt. Ida heiratet den Komponisten Ernst Adler – um bald die Grenzen seines musikalischen Talents und auch die Grenzen ihrer Liebe zu ihm feststellen zu müssen.

Ida war schon früh ein Opfer sexueller Gewalt

Und damit zum freudianischen Potential der Familie. Idas Vater war früher ein „Lebemann“; er hat eine syphilitische Infektion in die Ehe mitgebracht. Die Beziehung mit seiner Frau leidet darunter; er hält sich unterdessen schadlos bei Pepina Zellenka. Die Zellenkas sind eine mit den Bauers befreundete Familie, man hilft sich gegenseitig; bald auch in erotischen Nöten. Weil Pepinas Mann Hanns wiederum in der eigenen Ehe nicht auf seine Kosten kommt, hat er ein Auge geworfen auf die gerade dreizehnjährige Ida. Er schreibt ihr einfühlsame Briefe; es kommt aber auch zu Situationen, die Ida verstören:

Das Mädchen fühlt sich missverstanden

Es ist eine heikle Konstellation: Der Vater spielt Idas Klagen über Hanns Zellenkas Verhalten herunter wegen seiner eigenen Affäre mit Pepina. Und schickt die Tochter wegen ihrer psychosomatischen Beschwerden zu Doktor Freud. Der hält sie für eine Hysterikerin und wendet ihre Erzählungen und Träume so lange deutend hin und her, bis Ida ganz schwindlig wird vor sexuellen Abgründen und unbewusstem Begehren. In Wahrheit habe sie, das belästigte Mädchen, ein tiefes Verlangen nach ihrem fünfundzwanzig Jahre älteren Belästiger, das sie vom Papa auf ihn übertragen habe. Ida wendet ein:

Ida im Konflikt mit dem Meisterpsychologen Freud

Alles bekommt einen sexuellen Hintersinn, die Symbolik ist unausweichlich, etwa wenn Ida die Hand in ihr neues Täschchen steckt. Dass sie dem Meisterdeuter entschieden widerspricht und seine verwinkelten Auslegungen für eine Zumutung hält, ficht ihn nicht an:

Schließlich bricht Ida die Therapie ab. Ihre herausragende Eigenschaft ist ein sympathischer Eigensinn, mit dem sie ihre Sicht der Dinge behauptet gegenüber dem Vater und vor allem: gegenüber der Einrede-Kur Freuds, die mit den Interessen des Vaters ungut im Bunde ist.

Die Freud-Kapitel, die auf sehr lebendige und gewitzte Weise den aufstrebenden Professor und seine widerstrebenden Patientin in Szene setzen, sind zweifellos der Höhepunkt des Romans. Spätere Teile des Buches fallen dagegen etwas ab, weil es der Autorin nicht gelingt, Ida noch einmal in vergleichbarer Weise zur – gleichermaßen bedrängten und scharfsinnig agierenden –  Heldin zu machen.

Die Biographie wird faktengetreu nacherzählt

Das liegt an der realen Biographie Ida Adlers, der die Autorin womöglich ein bisschen zu getreu folgt und die eine solche Handlungsmächtigkeit der Figur später offenbar nicht mehr hergibt. So wird Ida zwischenzeitlich eher zur Nebenfigur, wenn es um die politische Karriere ihres Bruders Otto Bauer geht, der von 1918 bis 1934 stellvertretender Vorsitzender der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei war und zeitweise Außenminister.

1934 war er eine zentrale Figur beim bürgerkriegsähnlichen Aufstand gegen das Dolfuß-Regime. Ida macht unterdessen eine Bridge-Stube auf. Das Kartenspiel wird der Kettenraucherin zum Lebensinhalt.

Später wird ihr ein Emigrantenschicksal mit exemplarischen und oft dokumentierten Leidensstationen zuteil. Dazu gehören die Schwierigkeit, Visa und andere Dokumente zu bekommen, die Ausplünderung und der Verlust liebgewordenen Besitzes, die Ungewissheit und Angst unterwegs.

Zwischen Zeitgeschichte, Biographie und Recherchearbeit

Es sind Bedrängnisse der Zeitgeschichte, bei denen Ida wiederum kaum individueller Handlungsspielraum bleibt. So entwickelt sich der Roman über weite Strecken zu einem literarischen Bilderbogen, der ein halbes Jahrhundert österreichischer und deutsch-jüdischer Geschichte vorüberziehen lässt.

Trotz solcher Einwände: Katharina Adler ist ein außergewöhnliches und fesselndes Debüt gelungen. Sie hat lange für diesen Roman recherchiert; umso mehr fällt sein unangestrengter Stil ins Auge, die schlichte, entschlackte Sprache. Dennoch fordert die lakonische Beiläufigkeit, mit der wichtige Ereignisse erzählt werden, scharfe Aufmerksamkeit. Einige Zusammenhänge und Anspielungen auf Späteres erschließen sich erst bei einer zweiten Lektüre – die „Ida“ unbedingt wert ist.

 

 

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Wolfgang Schneider