Gespräch

Zwei Jahre nach der Ahrtal-Flut: Wegziehen oder bleiben?

Stand
INTERVIEW
Wilm Hüffer

Zwei Jahre nach der Flutkatastrophe geht es im Ahrtal langsam aufwärts. Bund und Länder investieren über 30 Milliarden Euro in die Beseitigung der Hochwasserschäden, um den Menschen im Ahrtal wieder eine Zukunft zu geben. Doch wie viele bleiben dort wohnen, wie viele sind schon weggezogen?

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Die meisten wollen nicht weg

Das Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung der Universität Stuttgart berät die Kommunen im Ahrtal zur Stadtentwicklung und hat nun 500 Haushalte nach ihren Plänen befragt. Die Ergebnisse ergeben, dass nur 20 Prozent der Befragten bereits umgezogen sind oder planen, dies zu tun, wie die Raumplanerin und Instituts-Mitarbeiterin Alessa Trüdinger in SWR2 berichtet: „80 Prozent wollen bleiben.“

Für sie spiele die Ortsverbundenheit die wichtigste Rolle: „56 Prozent der Befragten, die bleiben wollen, geben an, dass sie sich am Wohnort stark verwurzelt fühlen“, so Trüdinger. Und – auch die Eigentumsfrage sei wichtig für die Entscheidung „weggehen oder bleiben?“ „Wenn man zur Miete wohnt, zieht man durchaus öfter mal um, unabhängig von so einem Ereignis.“

Umgekehrt sei Bleiben oft eine wirtschaftliche Notwendigkeit: „Wenn Leute viel Geld in ihr Haus investiert haben und es zum Beispiel als Altersversicherung gesehen haben,“ seien sie de facto zum Bleiben gezwungen, wenn sie ihr Geld nicht verlieren wollten.

Bad Neuenahr-Ahrweiler

Storytelling-Podcast Die Flut – Warum musste Johanna sterben?

Juli 2021: Die 22-jährige Johanna Orth aus Bad Neuenahr-Ahrweiler ist auf dem besten Weg in eine erfüllte Zukunft. Gerade fertig mit der Ausbildung, frisch verliebt und mit der Aussicht auf eine eigene Konditorei. Dann reißt sie die Flutwelle aus dem Leben. Der Host Marius Reichert ist selbst in Bad Neuenahr-Ahrweiler zu Hause und berichtete als Reporter aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz über die Flut. Er kennt die Schicksale der Betroffenen - auch die Geschichte von Johanna. Zusammen mit ihren Eltern begibt sich Marius auf die Suche nach Antworten rund um die Ereignisse dieser verhängnisvollen Nacht: Wie kam Johanna ums Leben? Wie konnte es so weit kommen? Warum wurde Johanna nicht früher gewarnt? Wer trägt Verantwortung? Johanna soll den mehr als 180 Todesopfern der Flut ein Gesicht geben, so der Wunsch der Eltern, denn der Schrecken dieser Katastrophe darf nicht in Vergessenheit geraten. Mithilfe verschiedener Gesprächspartner - Betroffene, Angehörige, Politiker:innen, Einsatzkräfte, Expert:innen - geht Marius Reichert diesen Fragen auf den Grund. Die ersten sechs Folgen sind am 1. Juli 2022 erschienen. Ein Update zum zweiten Jahrestag erscheint am 7. Juli 2023: Wie geht es den Orths zwei Jahre nach der Katastrophe und wie steht es um die Aufarbeitung? 

Der Podcast ist eine Produktion von SWR und WDR. 

Hier noch eine Warnung: In diesem Podcast werden die Todesumstände von Johanna und der Umgang mit ihrem Tod explizit beschrieben. Wenn euch Themen wie Tod, Trauer oder Suizid belasten oder ihr selbst von den Ereignissen betroffen wart und traumatisiert seid, dann hört euch den Podcast besser nicht an oder nicht allein. Hilfe findet ihr z.B. bei der Telefonseelsorge oder beim Traumhilfe-Zentrum im Ahrtal: www.thz-ahrtal.de

Kaum Ausweichmöglichkeiten im Ahrtal

Das Bleiben allerdings stoße speziell im Ahrtal auf ein geographisches Problem, nämlich „dass es kaum freie und bebaubare Flächen gibt“, so Trüdinger. Auch, wenn sich Menschen aus der unmittelbaren Nähe zur Ahr zurückziehen wollten – im engen Ahrtal fänden sie kaum Bauland.

Eine denkbare Alternative: Wieder-Aufbau. Doch auch das gehe nicht ohne Weiteres, erklärt Trüdinger. Es gebe eine sogenannte gelbe Zone, die den besonderen Gefahrenbereich markiere: „Wenn das Haus dort ist und komplett zerstört wurde, dann darf es auch nicht wieder aufgebaut werden.“

Anders verhalte es sich in „vorläufig sichergestelltem Überschwemmungsgebiet“. Wurde dort ein Haus durch die Flut nicht komplett zerstört, greife der Bestandsschutz, so Trüdinger: „Dann darf man das einfach so wie davor wieder aufbauen.“

Heppingen

Wiederaufbau trotz Hochwasserrisiko: Heppingen baut wieder auf Wiederaufbau trotz Hochwasserrisiko an der Ahr

Zwei Jahre nach der Flutkatastrophe bauen viele Menschen ihre Häuser wieder an die Ahr. Im Neubaugebiet von Heppingen hat man keine Angst vor einer neuen Flut.

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Hoffnungen versus Statistik

Generell sieht die Raumplanerin von der Uni Stuttgart den Wiederaufbau beschädigter Häuser aber kritisch: „Wiederaufbau suggeriert, dass man so wieder aufbaut wie vor der Flut.“ Das aber verkenne einen entscheidenden Punkt. Denn natürlich trete ein solches Jahrhunderthochwasser auch nur einmal in hundert Jahren auf – statistisch betrachtet! „Aber es kann auch zweimal in einem Jahr auftreten.“

Dass viele derer, die im Ahrtal bleiben wollen, sich dessen nicht bewusst sind – auch das ist ein Ergebnis der Umfrage: Viele hätten die Einschätzung geäußert, „dass ein solch extremes Ereignis sehr selten vorkommt und sie einen Umzug daher für unnötig halten“, so Trüdinger.

Aktuelle Berichte, Videos und Reportagen Dossier: Leben nach der Flutkatastrophe

Die Flutkatastrophe an der Ahr und in der Region Trier liegt fast drei Jahre zurück. Manches ist repariert oder wiederaufgebaut, doch vieles noch lange nicht geheilt. Das ist der aktuelle Stand.

2 Jahre nach der Flutkatastrophe Hilfe für Kinder aus dem Ahrtal: Mit Kunst das Fluttrauma überwinden

Viele der Menschen im Ahrtal sind traumatisiert von der der Flutkatastrope in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021. Auch zwei Jahre später sind die seelischen Wunden noch nicht verheilt. Kunsttherapeutin Sophia Eckardt hilft Kindern, ihre Erlebnisse zu verarbeiten.

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