Editionsprojekt „Critical Classics“

Rassismuskritische Textänderungen in der Oper: Eine Neu-Edition der „Zauberflöte“

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AUTOR/IN
Mathias Nöther

Das Editionsprojekt „Critical Classics“ gibt Anlass zur Frage, ob es auch bei Opernklassikern rassismuskritische Textänderungen geben wird, wie etwa bei Kinderbuchklassikern.

Berthold Schneider, Regisseur und langjähriger Opernintendant der Wuppertaler Bühnen, hat jetzt eine Reihe ins Leben gerufen, in der er alternative Textvorschläge für Opernklassiker macht. Den Anfang macht eine Neufassung der „Zauberflöte“.

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Monostatos, im Original-Libretto der „Zauberflöte“ ein Sklave des Sonnenfürsten Monostatos, singt über seine Hässlichkeit als Schwarzer.

Alles fühlt der Liebe Freuden, / Schnäbelt, tändelt, herzet, küsst; / Und ich soll die Liebe meiden, / Weil ein Schwarzer hässlich ist.

In den Augen des Editionsteams von „Critical Classics“ war hier wohl am dringendsten eine Änderung des Textes von Emanuel Schikaneder geboten. Herausgeber Berthold Schneider und sein Team machen ihn zu dem unehelichen Sohn von Sarastro.

Selbstbewusstere Papagena

Änderungen gibt es aber auch jenseits von Rassismuskritik. Dass Papagena zunächst als alte, hässliche Frau verkleidet ist, wird hier als Sexismus und Altersdiskriminierung identifiziert.

Papagena mit Buckel und in altmodischen Kleidern (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Picture Alliance)
Papagena als alte, hässliche Frau: Berthold Schneider versteht dies als Sexismus und Altersdiskriminierung.

Schneider schlägt vor, dass Papageno seine Papagena zunächst nicht wegen ihres Aussehens und vermeintlich hohen Alters verschmäht, sondern weil er mit selbstbewussten Frauen nicht umgehen kann. 

Papageno greift nach dem Becher. Die Frau zieht diesen weg. Die Frau hält ihn ihm wieder hin. Er greift wieder danach. Sie zieht ihn wieder weg. Vielleicht passiert es noch ein drittes Mal. Er bekommt den Becher nicht.

Weniger passive Pamina

Die einschneidenste Änderung im Libretto ist aber eine musikalische: Schneider fügt für Pamina eine Arie ein, um sie in ihrer Liebe zu dem Prinzen Tamino nicht allzu passiv dastehen zu lassen.

Pamina sitzt neben Pamino und schau ihm zu (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Picture Alliance)
Pamina soll nach Wunsch von Berthold Schneider nicht mehr so passiv wirken.

Es handelt sich ursprünglich um die Konzertarie Köchelverzeichnis 383 von Mozart. Schneider und seine Mitherausgebenden haben für sie eigenständig einen neuen Text gedichtet.

Er erinnert nicht nur an die Stärken, sondern auch an die Schwächen von deutschen Operntexten im späten achtzehnten Jahrhundert.

Nicht nur textkritische Eingriffe

All das sind keine textkritischen Anpassungen mehr, sondern bereits künstlerische Eingriffe. Das hat mit der Herkunft des Teams zu tun – die meisten sind Opernpraktikerinnen und -praktiker.

Berthold Schneider, der federführend ist, war viele Jahre Intendant der Oper Wuppertal. So jemand ist sich sehr bewusst, dass man die „Zauberflöte“ mit all ihren Diffamierungen von People of Colour und anderen Menschengruppen nicht einfach aus den Spielplänen der Opernhäuser canceln kann: Schließlich wird das Stück jährlich weltweit im Durchschnitt von etwa zweihunderttausend Menschen besucht – für viele ist es immer noch ein erster Zugang zur Gattung der Oper überhaupt.

Kritik: Dramatische Konsequenzen für den Inhalt

Gerade junges und neues Opernpublikum darf man, so die Sicht der Herausgebenden, nicht einfach vor den Kopf zu stoßen. Doch Schneider bekommt auch Gegenwind. Bernd Künzig etwa, Opernredakteur des SWR, ist schon in Hinblick auf die Grundanlage des Projekts skeptisch.

„Natürlich verstehe ich die Absicht“, sagt Künzig, „es geht um politische Korrektheit, für die man eben bestimmte Stellen entschärft. Das hat aber, wie ich finde, dramatische Konsequenzen für den Inhalt.“

Zugegeben: Die neue „Zauberflöten“-Edition schafft Einfallstore für Kritik. Wenn sich etwa Monostatos in seiner Arie nun nicht mehr als Schwarzer bezeichnet, sondern als Bastard – dann ist die gruppenspezifische Menschenverachtung nicht aus der Welt, sondern nur umgelenkt.

In der „Zauberflöte“ ginge es nunmal, sagt auch Bernd Künzig, um einen rein männlichen, politisch elitären Zirkel, angelehnt an die historischen Freimaurer der Mozart-Zeit. Zu diesem Zirkel dürften laut Mozart und Schikaneder nun mal bestimmte Menschen gehören und andere nicht. 

Kinder oder Opern-Neulinge oft von Orginaltext überfordert

Die entscheidende Frage ist weiterhin, ob man dem Publikum zutrauen kann, den ursprünglichen Text der „Zauberflöte“ als einen historisch bedingten zu lesen – ungeachtet der überzeitlichen Botschaft der Humanität.

Kinder, Jugendliche und Opern-Neulinge sind damit sicher oft überfordert. Sie gelten aber weiterhin als primäre Zielgruppe der „Zauberflöte“, und das ist schon immer ein Missverständnis gewesen.

Abzuwarten ist, ob sich dieses Dilemma durch die Neu-Edition auflösen lässt. Mit den geplanten weiteren Neu-Editionen etwa von Bizets „Carmen“ oder Bachs Johannes-Passion hat sich „Critical Classics“ viel vorgenommen.

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Mathias Nöther