Einschätzungen von "Zeit"-Journalistin Anita Blasberg

Warum Menschen das Vertrauen in den Staat verlieren

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Hanns Lohmann
Hanns Lohmann (Foto: SWR)
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Eine aktuelle Forsa-Umfrage hat ergeben, dass nur 27 Prozent der Deutschen der Regierung zutrauen, ihre Aufgaben zu erfüllen. In den vergangenen Jahren sinkt das Vertrauen der Menschen in den Staat.

Mit diesem Thema hat sich auch die "Zeit"-Journalistin Anita Blasberg auseinandergesetzt. In ihrem Buch "Der Verlust – Warum nicht nur meiner Mutter das Vertrauen in unser Land abhandenkam" beschreibt die Autorin schrittweise die Erosion des Vertrauens und zieht dazu die Erfahrungen der eigenen Mutter sowie historischer Bruchstellen und Protagonisten heran. Was sie dabei beobachtet hat, erzählt sie im SWR1 Interview.

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SWR1: Welche besondere Rolle spielt Ihre Mutter in dem Buch?

Anita Blasberg: Meine Mutter ist so etwas wie der rote Faden, der sich durch das Buch zieht, weil ich an ihr tatsächlich nachvollziehen konnte, wie es vielen anderen Bürgern offenbar in unserem Land auch geht. Meine Mutter war immer eine ziemlich durchschnittliche Deutsche und eine sehr überzeugte Demokratin. Als ich dann während der Corona-Pandemie gemerkt habe, wie sehr ihr Vertrauen gelitten hat, habe ich gedacht, dass ich dem einfach mal nachspüren möchte. Ich glaube, dass es ihr so geht, wie tatsächlich vielen anderen Deutschen auch.

Vertrauensverlust vieler Deutscher begann zur Zeit der Wende

SWR1: Wann würden Sie sagen, hat dieser Vertrauensverlust angefangen?

Blasberg: Ich glaube, dass das tatsächlich mit der Zeit der Wiedervereinigung angefangen hat, weil sich viele im Osten Deutschlands damals übergangen und übersehen gefühlt haben nach der Wende. Auch meine Mutter hat das so empfunden. Sie hat vor allen Dingen so empfunden, als ob die Bedürfnisse des Kapitals über die der Demokratie gestellt wurden.

Das hat sie als eine moralische Verletzung empfunden, dass so viele im Osten ihre Arbeit verloren haben und der gesamte ostdeutsche ökonomische Bestand verkauft wurde. Mehr als 80 Prozent gingen in den Westen und die Ostdeutschen konnten ohne Kapital aber nicht so richtig gut am Kapitalismus teilnehmen. Das hat sie als sehr unfair empfunden, vor allen Dingen als Gerhard Schröder ihnen dann zurief, es gibt kein Recht auf Faulheit.

Besonders schlimm ist es, dass viele glauben, dass es kaum noch einen Unterschied macht, wer gewählt wird.

Politikverdrossenheit als Herausforderung

SWR1: Mit der Folge, wie heute sichtbar ist, dass Parteien wie die AfD im Umfrage-Hoch sind. Wie sehr wankt unsere Demokratie?

Blasberg: Ohne Panik ausrufen zu wollen – ich finde, es gibt Anlass zur Sorge. Das zeigen ja immer mehr Umfragen. Immer weniger Menschen vertrauen noch den Medien, immer weniger Menschen vertrauen auch den Parteien und der Wissenschaft, und immer weniger glauben, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird.

Aber besonders schlimm ist es, dass viele glauben, dass es kaum noch einen Unterschied macht, wer gewählt wird. Sie glauben, dass sich ohnehin nichts ändern wird. Das, glaube ich, ist die große Herausforderung, vor der die Politik in den nächsten Jahren steht. Ansonsten wird es uns so gehen, wie vielen anderen Ländern in Europa. Dann werden sich wahrscheinlich Extreme an der Regierung beteiligen, und das würde die Demokratie sehr stark ins Wanken bringen.

Medien spielen wichtige Rolle

SWR1: Sie haben gesagt, die Menschen glauben, dass die Medien möglicherweise nicht die Wahrheit erzählen. Sie glauben, dass die Politiker nicht in ihrem Sinne handeln. […] Spielt da das Internet möglicherweise auch eine zu große Rolle, nach dem Motto, da kann sich jeder Gehör verschaffen, auch mit dem größtmöglichen Blödsinn und findet auch Publikum?

Blasberg: Ja, mit Sicherheit spielt es eine Rolle, dass unsere Öffentlichkeit vielleicht nicht mehr so funktioniert, wie sie funktionieren sollte. Aber in gewisser Weise haben wir Medien natürlich da auch unseren Anteil daran. Wenn ich mir anschaue, was beispielsweise an Debatten in den letzten Monaten in den Talkshows, in den Zeitungen, überall in den etablierten Medien so gelaufen ist, dann [...] habe ich den Eindruck, dass das an den Interessen und Bedürfnissen der Bürger vorbeigeht.

Ich glaube, die Bürger interessieren sich nicht so sehr für die Kampfjets für die Ukraine und auch nicht so sehr für das Gendern. Sondern die interessieren sich wirklich für die Gesundheitsversorgung, für das Schulsystem, dafür, dass die Mieten bezahlbar bleiben. Ich habe das Gefühl, dass auch wir Journalisten uns da vielleicht ein bisschen mehr um die Themen kümmern sollten, die den Leuten wirklich auf den Nägeln brennen.

Das Gespräch führte SWR1 Moderator Hanns Lohmann.

Weitere Informationen und die Ergebnisse der Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag des Deutschen Beamtenbundes (dbb) finden Sie hier.

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