Nach Einigung beim Flüchtlingsgipfel

"Das Ende der Fahnenstange ist erreicht"

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Claudia Deeg
Claudia Deeg (Foto: SWR)
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SWR1

Was bringen die Beschlüsse von Bund und Ländern den Kommunen bei der Bewältigung der hohen Zahl an Flüchtlingen?

Der Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten der Länder haben sich auf Veränderungen in der Asylpolitik und beim Geld für Geflüchtete geeinigt. 7.500 Euro will der Bund den Ländern ab nächstem Jahr pro Flüchtling zahlen. Wir haben Andreas Göbel gefragt, ob die Beschlüsse ausreichen. Göbel ist hauptgeschäftsführender Direktor des rheinland-pfälzischen Landkreistages.

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SWR1: Herr Göbel, die Länder wollten 10.500 Euro pro Kopf, jetzt gibt es aber nur 7.500 Euro. Ist das ein guter Kompromiss? 

Andreas Göbel: Es ist auf jeden Fall eine Verbesserung im Vergleich zu der Situation vorher. Aber es ist nicht ausreichend, weil das Geld für notwendige Integrationsmaßnahmen fehlt. Denn wir wissen alle, gescheiterte Integration ist teuer.

SWR1: Beim Stichwort Integration ist vielleicht auch das Thema Familiennachzug interessant. Das soll ja schwerer werden. Dabei heißt es oft, genau der Familiennachzug ist wichtig für die Integration...

Göbel: Zunächst einmal müssen wir uns auf diejenigen konzentrieren, die hier sind. Das sind einfach Kapazitätsprobleme. Es fehlt an Wohnungen, und es fehlt an Personal.

Wir haben es in vielen Fällen mit jungen, alleinreisenden Männern zu tun, die sich selbst überlassen werden.

Wir können, wenn die Flüchtlinge hier ankommen, nicht mehr fragen, was sie können oder was sie wollen. Und das ist gerade wichtig, um die Menschen schnell zu integrieren. Wir haben es in vielen Fällen mit jungen, alleinreisenden Männern zu tun, die sich selbst überlassen werden. Das ist verantwortungslos für die Betroffenen, auch für die Gesellschaft.

SWR1: Sie sagen, wenn es mehr Geld gäbe, würde auch die Integration besser klappen. Jetzt gehen wir mal davon aus, dass es ab nächstem Jahr 7.500 Euro pro Kopf gibt – das ist schon mal ein Weg. Wie aber kommt das Geld vom Land an die Kreise und Kommunen?

Göbel: Das Geld ist nicht das alleinige Problem. Das sind dann wiederum die üblichen Auseinandersetzungen, die geführt werden müssen, damit es zu einer fairen Verteilung an dieser Stelle kommt und es eine Einigung zwischen Land und Kommunen geben wird.

Wir als Landkreise erkennen an, dass sich das Land auch bemüht, die Belastung für die Kommunen so gering wie möglich zu halten, indem gepuffert wird bei der Verteilung der Flüchtlinge von der Erstaufnahme an die Kommunen. Dort hat das Land einige Anstrengungen unternommen. Aber auch dort ist das Ende der Fahnenstange erreicht und durch die steigenden Flüchtlingszahlen werden auch immer mehr Flüchtlinge zu den Kommunen kommen.

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SWR1: Aber wenn Sie sagen, das Geld alleine ist es nicht, dann frage ich mich, warum wurde dann so lange gestritten und hart gekämpft für das Geld? Was hätten Sie sich dann unterm Strich von dieser Nachtsitzung gewünscht?

Göbel: Das Geld ist eine wesentliche Voraussetzung. Nur mit Geld allein wird man die Probleme nicht lösen, weil man das notwendige Personal braucht, um die Menschen betreuen zu können. Um Personal einstellen zu können, ist natürlich Geld Grundvoraussetzung.

Die Bezahlkarte soll eben vermeiden, dass das Geld in die Herkunftsländer fließt, beziehungsweise dass damit Schlepper finanziert werden.

SWR1: Jetzt sollen Geflüchtete in Zukunft eine Art Taschengeld bekommen, grundsätzlich aber ihr Geld auf einer Guthabenkarte bekommen. Ist das ein richtiger Weg?

Göbel: Das ist auf jeden Fall auch ein Schritt in die richtige Richtung, weil dadurch erhofft wird, dass davon geringere Anreize für eine Flucht ausgehen. Die Bezahlkarte soll eben vermeiden, dass das Geld in die Herkunftsländer fließt, beziehungsweise dass damit Schlepper finanziert werden.

SWR1: Sie sagen, die Anreize sollen geringer werden. Aber glauben Sie wirklich, dass sich das "herumspricht" und in diesen Ländern ankommt, dass es nicht mehr attraktiv ist, sich auf die riskante Flucht nach Deutschland zu begeben?

Göbel: Wir müssen differenzieren. Wir haben auf der einen Seite politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge. Die werden auf jeden Fall hierherkommen, und die sollen auch weiter aufgenommen werden. Es gibt aber auch Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, um ein besseres Leben zu erreichen. Und in diesen Kreisen kann sich so etwas schon herumsprechen.

SWR1: Wenn Sie die Nachrichten jetzt heute Morgen gehört haben. Mit welchen Gefühlen starten Sie in diesen Tag? Der richtige Weg, aber noch nicht genug?

Göbel: Das ist genau eine zutreffende Analyse von Ihnen.

Das Gespräch führte SWR1 Moderatorin Claudia Deeg.

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