In einem neuen Verfahren können Krebsmedikamente für Kinder getestet werden. (Symbolbild) (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa | Jens Büttner)

Krebsforschung

Tests zu Krebsmedikamenten bei Kindern

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Krebs bei Kindern ist besonders problematisch. Nicht nur, weil sie andere Tumore als Erwachsene haben, sondern vor allem auch wegen der dünnen Studienlage zu Krebsmedikamenten. Das Hopp-Kindertumorzentrum ist eine einzigartige Einrichtung in Heidelberg, die gemeinsam vom DKFZ, dem Uniklinikum und der Universität Heidelberg betrieben wird, welche die Lage grundlegend verbessern könnte.

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Nur etwa zehn Wirkstoffe sind speziell gegen Krebserkrankungen bei Kindern zugelassen. Funktionieren die nicht, müssen andere Therapeutika auf Verdacht verabreicht werden.

Das Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg, eine Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Heidelberg und der Universität Heidelberg, könnte Abhilfe schaffen. Dass das dort entwickelte Verfahren zum Testen von Krebsmedikamenten an Mini-Tumoren im Labor funktionieren kann, zeigt der Fall vom kleinen Aykut.

Mehr als 2.000 Kinder in Deutschland erkranken jährlich an Krebs

Wer Aykut beim Spielen zusieht, ahnt nicht, dass er täglich gegen eine tödliche Krankheit kämpft. Ein Kampf, der vor einem Jahr begonnen hat. Die Familie fährt gerade in den Urlaub. Aykut schläft im Auto auf dem Bauch seiner Mutter als seinen Eltern eine Geschwulst an seinem Kopf auffällt.

Der kleine Aykut in einem Bällebad (Foto: SWR)
Der Fall von Aykut macht Hoffnung, denn er zeigt, dass die Medikamententests in Heidelberg kleinen Krebspatienten helfen können.

Aykut leidet unter einer seltenen Form von Krebs. Sie trifft meist Kinder. Da sich sein Tumor nicht operieren lässt, beginnen die Ärzte sofort mit der ersten Chemotherapie.

Jedes Jahr erkranken in Deutschland mehr als 2.000 Kinder an Krebs. Am Hopp-Kindertumorzentrum in Heidelberg leitet Krebsforscher Olaf Witt ein Projekt, das die prekäre Situation der kleinen Patienten verbessern soll.

Für 20 Prozent der Kinder haben wir aktuell keine wirksamen Therapien zur Verfügung. Zum Teil liegt es auch daran, dass die Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen sich deutlich von denen im Erwachsenenalter unterscheiden.

Professor Witt vom DKFZ (Foto: SWR)
Professor Witt, Direktor des Hopp-Kindertumorzentrums Heidelberg, erklärt, wie aussichtsreich die Medikamentestung für die Behandlung von Kindern mit Krebserkrankungen ist.

Test von Medikamenten gegen Kindertumore

So seien die Medikamente, die im Wesentlichen für Erwachsene entwickelt werden, nicht eins zu eins bei Kindern anwendbar. Genau deshalb haben die Heidelberger Onkologen einen Medikamententest für die Kindertumore entwickelt.

Bei Aykut versagt die erste Chemotherapie. Sein Zustand wird immer schlechter. Nachts bekommt er kaum noch Luft. Nida, Aykuts Vater, zeigt auf seinem Smartphone ein Kernspinbild von Aykuts Oberkörper. Der Tumor ist schon raumgreifend in die Lunge vorgedrungen.

Auf dem Bild war auf jeden Fall alles zu. Es war wie ein Strick um den Hals herum. Er hatte nur noch so ein kleines Luftloch von zwei Millimetern

Aykut braucht dringend ein Medikament, das den Tumor stoppt. Doch bisher gibt es für seinen Krebs keine Behandlung mit gesichertem Erfolg. Aber Aykuts Familie denkt nicht ans Aufgeben und sie erhält Unterstützung von einer engagierten Ärztin aus Mainz. Aykuts Vater erinnert sich:

Frau Dr. Russo hat gesagt wir dürfen nicht aufgeben. Wir müssen noch eine Biopsie machen und schicken die rüber nach Heidelberg, dass die dort schauen, was dagegen helfen kann.

Im Labor in Heidelberg werden aus den Gewebeproben Mini-Tumore gezüchtet

Im Heidelberger Kinderkrebs-Zentrum kommen Tumorproben aus ganz Europa zusammen. Hinter jeder Probe steckt ein krebskrankes Kind. Sie alle teilen ein Schicksal – und doch ist kein Krebs wie der andere.

Tumor unter dem Mikroskop (Foto: SWR)
Im Labor werden aus den Proben der kleinen Patienten Mini-Tumore gezüchtet.

Medikamente gegen Krebs gibt es auf dem Markt hunderte. Die meisten sind allerdings nur für Erwachsene zugelassen. Ob sie auch Kindern helfen können, wird mithilfe von Mini-Tumoren getestet, die aus den Gewebeproben der krebskranken Kinder gezüchtet werden.

Pro Kind stehen etwa 1.000 Mini-Tumore im Brutkasten bereit – 1.000 "Versuchskaninchen", die stellvertretend für die kleinen Patienten je ein Krebsmedikament erhalten.

Das passende Medikament lässt den Mini-Tumor absterben

Ein Pippetierautomat – genannt Mosquito – spritzt achtzig verschiedene Wirkstoffe in fünf Konzentrationen auf die Mini-Tumore. Nach drei Tagen zeigt sich die Wirkung. Unter dem passenden Medikament sind die Mini-Tumoren abgestorben.

Pippetiergerät (Foto: SWR)
Mit dem "Mosquito" genannten Pippetiergerät werden die verschiedenen Medikamente auf die gezüchteten Mini-Tumore gegeben.

Aus der Vielzahl kristallisiert sich eine Auswahl heraus, die für die Behandlung infrage kommt. Fehlbehandlungen mit wirkungslosen Stoffen werden ausgeschlossen. Prof. Witt ordnet die bisherigen Ergebnisse vorsichtig ein:

Unser Medikamententestungsprogramm befindet sich in der späten experimentellen Phase. Wir haben eine dreijährige Pilotphase erfolgreich abgeschlossen und sehen, dass Patienten davon profitieren können. Bisher haben wir es aber noch nicht an einer größeren Zahl von Patienten systematisch ausgewertet.

Bei Aykut setzt seine Mainzer Onkologin Dr. Russo auf ein Medikament, mit dem sonst schwarzer Hautkrebs behandelt wird. Mit Erfolg, denn es zeigt schon am ersten Tag Wirkung: Endlich kann Aykut wieder unbeschwert atmen.

Vergleich der Röntgenbilder von Aykuts Tumor, der merklich geschrumpft ist (Foto: SWR)
Ein Vorher-Nachher-Vergleich der Röntgenbilder von Aykuts Tumor zeigt, wie erfolgreich seine Behandlung war.

Auch beim Test in Heidelberg hat dieser Wirkstoff an Minitumoren aus Aykuts Krebsgewebe eine sehr gute Wirkung gezeigt. Der Test mit den Minitumoren funktioniert also. Aykuts Tumor, der anfangs die Größe einer Apfelsine hatte, ist nach drei Monaten auf die Größe einer Rosine geschrumpft. Seine Eltern sind glücklich:

Ihm geht’s super, er spielt, er tobt, er macht. Er lebt einfach. Er hat keine Atemprobleme mehr und schläft erholsamer. Für uns war das einfach so: Wo wir jetzt stehen, das ist eine Chance auf ein Leben.

Aykut ist das erste Kind in Deutschland, das diese Art von Krebs überlebt hat. Seine Geschichte macht Hoffnung. Für Kinder mit Krebs, die möglicherweise durch die Medikamententestung in Heidelberg gerettet werden können.

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