4D-Aufnahmen einer Frau (Foto: SWR)

Magersucht

VR-Brille erlaubt Blick in gesunde Zukunft

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Katharina Ditschke
Portraitbild der Reporterin  Katharina Ditschke. (Foto: SWR)
Lilly Zerbst
Portraitbild der Reporterin Lilly Zerbst. (Foto: SWR)
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Elisabeth Theodoropoulos

Viele an Magersucht Erkrankte verlieren die Vorstellung für ein gesundes Ich. Deshalb haben Forschende nun ein Virtual Reality-Tool entwickelt, mit dem sich Betroffene in der Therapie dem gefürchteten Szenario der Gewichtszunahme stellen können.

90 Prozent der Magersüchtigen sind Frauen

In der Abteilung für Psychosomatik und Psychotherapie an der Universitätsklinik Tübingen werden auch Magersüchtige behandelt. An der schweren Essstörung leiden in Deutschland mehr als 100.000 Menschen – 90 Prozent davon sind junge Frauen. 

Ich war hier auf Station, habe die Portionen gesehen und habe Panikattacken gekriegt. Herzrasen, wie wenn jemand mit dem Messer hinter mir steht und sagt: ich töte dich jetzt. Und so kam mir die Portion Nudeln vor.

Magersüchtige sind auffallend dünn, nehmen sich jedoch als dick war. Essen löst bei ihnen Panik aus. Ihre Gedanken kreisen permanent um ihre Figur. Die Vorstellung verschwindet, wie ein gesunder Körper aussehen sollte. 

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Behandlung erinnert an Computerspiel

Das Therapiehilfsmittel erinnert an ein Computerspiel. Die Patientinnen tragen eine VR-Brille und haben Joysticks in der Hand. Diese eher ungewöhnliche Therapieform kann die klassische Behandlung wie Psychotherapie erweitern. Die Patientinnen sollen mit Hilfe einer VR-Brille eine reale Vorstellung davon bekommen, wie sie mit einem für ihre Größe angemessenen, gesunden Gewicht aussehen.

Hologram eines menschlichen Körpers (Foto: IMAGO, IMAGO / Zoonar)
Die Behandlung mit der VR-Brille kann die klassische Psychotherapie ergänzen.

Unser Therapieverfahren, also unsere virtuelle Realitätsumgebung, in der wir mit einem normalgewichtigen Körper konfrontieren können, erweitert im Wortsinn die Realität.

Konfrontation mit normalgewichtigem Körper

Das Bild, das die Magersüchtigen durch die VR-Brille sieht, zeigt sie mit einem gesunden Gewicht. Laut Weltgesundheitsorganisation wäre das ein BodyMassIndex von 19. Das entspricht bei einer Größe von 1 Meter 65 etwa 52 Kilogramm.

4D-Aufnahmen einer Frau. (Foto: SWR)
Durch die VR-Brille können die Patientinnen sich anschauen, wie sie mit einem normalen Gewicht aussehen würden.

Insgesamt 4 mal 30 Minuten lang schauen sich die Betroffenen ihren virtuellen Körper an. Bei etwa der Hälfte der Patientinnen lässt die Anspannung nach der Hälfte der Zeit nach. Für die klinische Studie haben die Tübinger Patientinnen mit Magersucht untersucht, die aktuell in Behandlung waren.

Füße einer Person, die auf einer Waage steht (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / empics | Gareth Fuller)
Der Body-Mass-Index (BMI) kann mittels des Gewichts, der Körpergröße und des Geschlechts berechnet werden.

Therapiemöglichkeit durch Zufall entdeckt

Am Max-Plack-Institut in Tübingen wurde die VR-Brille in Zusammenarbeit mit der Uniklinik Tübingen entwickelt.

4D-Aufnahmen einer Frau. (Foto: SWR)
Mithilfe des 4D-Scanners können die Daten tausender Menschen unterschiedlicher Statur gesammelt werden.

Wir haben in früheren Studien, wo es eigentlich um Körperwahrnehmung von Patientinnen von Magersucht ging, Zufallsbefunde gehabt, dass es für diese Patientinnen wahnsinnig aufregend war sich anzuschauen und es ihnen hinterher irgendwie besser ging. Und als der therapeutische Blick dazu kam, war eben der Wunsch gereift, das nutzbar zu machen als Intervention für Patientinnen.

VR-Körper sollen möglichst menschlich aussehen

Die Forscherinnen am Max-Planck-Institut haben mit Hilfe des weltweit ersten 4D-Scanners die Daten tausender Menschen unterschiedlicher Statur gesammelt. Das Ziel: Die Körper, die später durch die VR-Brille sichtbar sind, sollen möglichst akkurate Proportionen haben. Dafür nahmen 66 hochauflösende Kameras die Person aus verschiedenen Blickwinkeln auf. So lassen sich ihre Körperform und Bewegung rekonstruieren. Der Avatar soll auch mit seiner Gestik und Mimik möglichst menschlich aussehen.

4D-Aufnahmen einer Frau (Foto: SWR)
Für die Aufnahmen nehmen die Personen unterschiedliche Positionen ein.

VR-Brille erweitert klassische Therapie

Die VR-Brille ermöglicht Patientinnen einen Blick über die Grenzen der klassischen Körpertherapie hinaus. 

Mein Ziel ist dann auch tatsächlich so auszusehen wie auf dem Bild und auch langfristig zu sagen, jetzt bin ich gesund. Jetzt habe ich ein gesundes Gewicht.

Gelingt mit Virtual Reality der Blick in eine gesunde Zukunft? Erste Studienergebnisse der Tübinger sind vielversprechend.

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