Hirnforschung

Was ist "schön" im Unterschied zu "attraktiv"?

STAND
AUTOR/IN
Gábor Paál
Gábor Paál (Foto: SWR, Oliver Reuther)

Die beiden Begriffe "Schönheit" und "Attraktivität" werden tatsächlich oft durcheinandergebracht, Das passiert vor allem, wenn man versucht zu erklären, dass vieles von dem, was wir schön finden – vor allem Menschen, Gesichter – evolutionsbedingt sei.

Audio herunterladen (3,6 MB | MP3)

Attraktivität hat mit Symmetrie zu tun, die Entscheidung fällt unbewusst

Zum Beispiel haben Forschungen schon lange gezeigt, dass Menschen symmetrische Gesichter, aber auch symmetrische Körper attraktiver finden als asymmetrische, gerade natürlich bei der Partnerwahl. Das wird damit erklärt, dass die Symmetrie der Körper ein Indikator für Gesundheit ist. Demnach finden wir von Natur aus symmetrische Körper attraktiver als andere. Denn die Chance, dass wir mit einem symmetrisch gebauten Partner gesunde Nachkommen zeugen, ist größer. Das ist Attraktivität.

Schönheitsbegriff ist umfassender

Aber viele Dinge, die wir schön finden, haben mit Partnerwahl und Evolution erstmal gar nichts tun – ob es nun um Musik geht, Kunst oder Architektur. Das ist der erste Unterschied: Schönheit ist viel umfassender.

Darüber hinaus gibt es noch einen ganz fundamentalen Unterschied. Wenn wir etwas schön oder nicht schön finden, ist das immer ein bewusstes Urteil. Wir stellen es fest. Attraktivität dagegen steht dafür, wie wir unbewusst auf etwas reagieren. Attraktiv heißt ja vor allem anziehend. Wovon wir uns angezogen fühlen, hat viel mit Evolution zu tun.
So wie die Wespe sich vom Zwetschgenkuchen angezogen fühlt, springen Mensch auf bestimmte Signalreize bei der Partnerwahl an, bestimmte Körperproportionen oder Gerüche. Beim Menschen springt dann auch das Lust- oder Belohnungszentrum im Gehirn an. Das ist das Hirnareal, das auch aktiv ist, wenn wir eine Tafel Schokolade vor uns sehen oder Sex haben. Dieses Belohnungszentrum – das ist vor allem der Nucleus Accumbens – sitzt ziemlich in der Mitte des Gehirns und gehört zu den evolutionär eher älteren Hirnregionen.

Schönheitsurteil wird bewusst gefällt

Wenn wir dagegen Gesichter oder Musik beurteilen und sagen sollen, ob das schön ist oder nicht, ist eine ganz andere Hirnregion aktiv: die in der Großhirnrinde, im orbitofrontalen Cortex. Die Großhirnrinde ist evolutionär jünger. Dieser orbitofrontale Cortex ist bei Prozessen aktiv, in denen wir bewusst etwas entscheiden.
Das zeichnet Schönheitsempfinden aus: Wir lassen etwas auf uns wirken und stellen bewusst fest, ob es uns gefällt oder nicht. Natürlich kann es sein, dass wir uns dabei auch von der Attraktivität leiten lassen. Es kann aber auch sein – um bei dem Beispiel zu bleiben – dass wir ein Gesicht zwar auf den ersten Blick attraktiv, aber trotzdem nicht schön finden, weil es vielleicht zu glatt erscheint, zu uninteressant, zu unnatürlich oder was auch immer.

Dazu gibt es interessante Experimente. Testpersonen – das waren alles heterosexuelle Männer – wurden Bilder von Gesichtern gezeigt. Die Bilder zeigten sowohl Frauen- als auch Männergesichter. Die Männer sollten zum einen beurteilen, wie schön sie die Gesichter finden. Gleichzeitig hat man gemessen, wie lange sie die Bilder jeweils anguckten. Und es wurde die Aktivität im Belohnungssystem beobachtet. Das Ergebnis war interessant: Bei der Frage nach der Schönheit waren die Männer fair. Sie fanden sowohl männliche als auch weibliche Gesichter schön oder nicht schön. Aber nur die weiblichen Gesichter haben sie länger angeschaut und auch nur bei denen war das Belohnungssystem aktiv. Messbar attraktiv waren für die heterosexuellen Männer bei diesem Versuch also nur weibliche Gesichter, schön dagegen konnten Gesichter beider Geschlechter sein.

Attraktivität und Schönheit können also miteinander zusammenhängen. Aber Schönheit im Sinne von ästhetischem Erleben ist etwas grundlegend anderes.

Psychologie Die Vermessung der Schönheit

Welche Faktoren bestimmen, was wir schön finden? Lohnt es sich überhaupt, eine wissenschaftliche Antwort auf diese Frage zu suchen, wenn doch die Geschmäcker verschieden sind? Ja!

SWR2 Wissen am Feiertag SWR2

Kunst Ist der „Goldene Schnitt“ ästhetisch das Maß aller Dinge?

Das wurde oft behauptet, aber das kann man so nicht sagen. Der Goldene Schnitt ist ein Zahlenverhältnis oder anders gesagt, eine Proportion, die eine Zeitlang als Ideal in der Architektur, aber auch in der Malerei galt. Diese Proportion gilt dann als golden, wenn sie eine ganz bestimmte Bedingung erfüllt. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

SWR2 Impuls SWR2

Ästhetik Was macht schöne Landschaften aus?

Experimentell kann man zeigen, dass Menschen sich vor allem von solchen Landschaften angezogen fühlen, die Wasser und Vegetation enthalten: Die Nähe zu Flüssen, Seen, aber auch zum Meer ist also hochattraktiv. Menschen verbringen gerne Zeit am Wasser. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Psychologie Wann und warum löst Musik Gänsehaut aus?

Mindestens die Hälfte der Menschen kennt Gänsehaut, wenn sie bestimmte Musik hört. Häufig setzt die Gänsehaut ein, wenn der Refrain beginnt, die Musik auf einen Höhepunkt zusteuert oder wenn sie bei Nahaufnahmen im Film eingesetzt wird. Von Gábor Paál

SWR2 Impuls SWR2

Hirnforschung Was ist der Unterschied zwischen Schönheit und Attraktivität?

Attraktivität hat mit Symmetrie zu tun, die Entscheidung fällt unbewusst und hat mir Partnerwahl und Evolution zu tun. Der Schönheitsbegriff dagegen ist umfassender. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

SWR2 Impuls SWR2

Rhythmus Welche Art Musik verführt zum Tanzen?

Wann ist Musik groovy? Musik verführt uns dann zum Mitbewegen, wenn der Rhythmus mittelkomplex ist, also nicht zu simpel und nicht zu anspruchsvoll. Forscher nennen explizit ein Stück, das sie für ziemlich optimal halten, nämlich "Happy" von Pharrell Williams. Von Gábor Paál

Derzeit gefragt

Psychologie Wie sinnvoll sind Triggerwarnungen?

Triggerwarnungen sind mittlerweile fester Bestandteil von Podcasts, Videos oder Instagram-Posts, in denen Gewalt thematisiert wird. Userinnen und User sollen so vor belastenden Inhalten geschützt werden. Wie sinnvoll ist das? Von Sarah Rondot | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Linguistik Wie viele Sprachen gibt es?

Insgesamt gibt es auf der Welt ungefähr 7.000 Sprachen. Die Sprachenvielfalt konzentriert sich insbesondere um den Äquator herum. Aber so ist es nicht nur in Afrika, das finden wir genauso in Südamerika, auch in der Äquatorialregion. In Amazonien, aber auch in den Anden haben wir sehr, sehr viele verschiedene Sprachen. Von Martin Haspelmath

Zeitgeschichte Gab es Zusagen an Moskau, die NATO nicht nach Osten zu erweitern?

Das wurde vom russischen Präsidenten Putin immer wieder behauptet, ist aber historisch so nicht richtig. Die Behauptung bezieht sich auf die sogenannten Zwei-plus-Vier-Verhandlungen 1990. Bei diesen Gesprächen ging es um die deutsche Wiedervereinigung nach dem Fall der Mauer. Beteiligt waren: Die noch zwei deutschen Staaten Bundesrepublik und DDR sowie die vier Siegermächte, USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion. Angeblich, so lautet die Behauptung, gab es bei diesen Gesprächen eine Zusicherung des Westens, die NATO nicht über Deutschland hinaus auszudehnen. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Umwelt Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre liegt bei 0,04 Prozent. Wie kann eine so geringe Menge das Klima erwärmen?

CO2 verhindert, dass Wärmestrahlen die Erde Richtung Weltraum verlassen. Dadurch erwärmt sich das Klima, obwohl der CO2-Gehalt in der Atmosphäre mit 0,04 Prozent scheinbar gering ist. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Gesellschaft Darf man noch "Indianer" sagen?

Ja. Das mag überraschen, denn das Wort stammt aus der Kolonialzeit und ist eine Fremdbezeichnung. Doch das sind nicht die einzigen Kriterien. Von Gábor Paál | http://swr.li/indianer | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Sexualität Wie entsteht Homosexualität?

Eine endgültige Erklärung gibt es noch nicht, aber es sieht so aus, dass Homosexualität zwar in gewisser Weise angeboren ist, aber trotzdem nicht direkt vererbt wird. | Dieser Beitrag steht unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Holocaust 6 Millionen ermordete Juden – Woher stammt diese Zahl?

6 Millionen Juden haben die Nationalsozialisten ermordet. Rund 4 Millionen Menschen starben in Konzentrations- und Vernichtungslagern, 2 Millionen durch Massaker. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0. | http://swr.li/holocaust

Stratosphärensprung Wie schnell kann ein Mensch vom Himmel fallen?

Der österreichische Extremsportler Felix Baumgartner erreichte im Oktober 2012 im freien Fall eine Geschwindigkeit von 1341,9 km/h. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Onomastik Warum sind jüdische Familiennamen oft besonders wohlklingend?

In Mitteleuropa haben die Juden erst sehr spät Familiennamen angenommen. Das hängt mit den sogenannten Emanzipationsgesetzen zusammen. Von Konrad Kunze

Gesundheit Warum helfen Brennnesseln bei Gicht und Rheuma?

Das Nesselgift enthält drei Stoffe, die unter die Haut gelangen und dort die Blutgefäße anregen, sodass die Durchblutung steigt. Von Gábor Paál | Dieser Beitrag steht unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.