Arbeitsunfähigkeit wegen Burnouts nimmt zu
Es wird viel zu selten darauf geachtet, ob im Job wirklich alles passt. Etwa wie gut die Arbeitsanforderungen zu den eigenen Fähigkeiten und Kräften passen. Aber vor allem, wie Stress vermieden werden kann. Als Folge davon nimmt Burnout seit vielen Jahren zu. Betroffene fühlen sich gestresst, ausgebrannt und werden auf die Dauer krank und depressiv. Die Allgemeine Ortskrankenkasse stellte zum Beispiel 2019 fest, dass sich bei ihren Mitgliedern die Arbeitsunfähigkeitstage wegen Burnout, wegen totaler Erschöpfung bis hin zur Depression, seit 2009 mehr als verdoppelt haben.
Burnout: zu hohe Anforderungen, zu wenig Kontrolle über die eigene Arbeit
Eines der am besten untersuchten Modelle zum Burnout ist die sogenannte Anforderungs-Kontroll-Theorie. Sie besagt, dass Menschen krank werden, wenn sie hohe Anforderungen erfüllen müssen, dabei aber wenig Kontrolle über ihre Arbeit haben. Dazu beitragen können zum Beispiel:
- zu lange Arbeitszeiten
- ein zu rasantes Tempo oder
- keine Chancen, die eigenen Arbeitsbedingungen mitzugestalten.
Eigentlich Umstände, die schon lange diskutiert werden.
Die Modelle besagen aber nicht nur wie es zu Burnouts kommt, sondern auch, was man dagegen tun kann. Zum Beispiel könnten
- mehr Arbeitspausen einlegt
- Überstunden reduziert oder
- Teams stärker in Entscheidungen mit einbezogen werden
Doch immer noch schießen die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin bei vielen am Arbeitsplatz genauso in die Höhe wie früher.
Stress mit der Technik
Die Lage spitzt sich gegenwärtig noch zu. Nico Dragano von der Universität Düsseldorf weiß, wie dringlich das Problem ist. Er ist Professor für Medizinische Soziologie und hat jahrelang über Stress geforscht. Heutzutage kommt noch ein weiterer Stressfaktor ins Spiel, der kaum zu kontrollieren ist. Der sogenannte „Techno-Stress“.
„Das sind Stressfaktoren, die im Zusammenhang der Arbeit mit Technologien auftreten. Zum Beispiel unzuverlässige Technologien: Der PC stürzt ständig ab, Ihr WLAN ist instabil, die Programme, die Sie verwenden müssen, um ihre tägliche Arbeit zu machen, sind nicht benutzerfreundlich“, erklärt Nico Dragano.
Antistressprogramme sollen da helfen. Atemübungen, progressive Muskelentspannung oder Yoga können helfen, Anspannungen und negative Gefühle abzubauen. Das mag dem einen oder der anderen abends helfen, vom stressigen Arbeitstag abzuschalten.
Passt die Belohnung zur Arbeitsanforderung?
Aber die Arbeitswelt ist komplex und hält noch einen weiteren hartnäckigen Stressfaktor bereit: sogenannte „berufliche Gratifikationskrisen“. Hohe psychische Anforderungen im Beruf können mit angemessenen Belohnungen kompensiert werden. Die Belohnung konnte in Form von einem guten Lohn oder Anerkennung auftreten. Ist das nicht der Fall, dann ist unser Selbstwertgefühl bedroht und es kann chronischer Stress entstehen.
Außerdem ist Arbeitsunsicherheit nach wie vor ein präsenter Stressfaktor, sagt Nico Dragano. Um solche „Belohnungskrisen“ zu vermeiden, sollten Lohn und Gehalt fair und angemessen sein. Wichtig sind regelmäßige Gespräche, in denen die Angestellten ihre Karrierewünsche äußern und über die Arbeitsatmosphäre reden können. Es sollte auch versucht werden, etwas dafür zu tun, dass niemand hinten runterfällt oder Zukunftsängste hat.
Weniger stressanfällig durch Achtsamkeit
Analysen und Angebote zum Thema Stress im Arbeitsleben gibt es reichlich. Zahlen zum Burnout beweisen aber, dass die Situation eher schlechter als besser wird. Offenbar reicht es nicht, immer nur Einzelmaßnahmen einzuleiten, wenn es mal brennt. Sie müssten zu einem Konzept gebündelt werden das verspricht, dauerhaft auf die Bedingungen einzuwirken, die Stress verursachen.
Ein Ansatz zur Stressbewältigung setzt auf Achtsamkeitstrainings, die die Kultur von Unternehmen systematisch verändern sollen. Es geht darum, die innere Einstellung der Arbeitenden fundamental zu verändern, sodass sie körperlich und geistig weniger stressanfällig werden. Das soll sich dann auch positiv auf das gesamte Betriebsklima auswirken.
Die meisten Achtsamkeitsprogramme verbinden Mediationspraktiken mit Erkenntnissen der modernen Psychologie und Neurowissenschaften über die Rolle von Gefühlen.
Erst Selbstwahrnehmung, dann Selbstregulierung scheint zu helfen
Besonders der Softwarekonzern SAP setzt das Achtsamkeitsprinzip in Deutschland völlig eigenständig um. Das Mindfulness-Programm beginnt mit Übungen zur Selbstwahrnehmung, auf denen dann die Selbstregulierung folgt. Voraussetzung dafür soll sein, die Herrschaft über die eigenen Gefühle zu erlangen. Wenn wir in der Lage sind, unsere Emotionen achtsam wahrzunehmen, sollen diese ihren stressigen Charakter verlieren. Die Übungen haben aber auch das Ziel, uns für unsere Mitmenschen bei der Arbeit zu sensibilisieren.
Greta Wagner ist Soziologin an der Technischen Universität Darmstadt und sieht den Trend, im Job Achtsamkeit zu trainieren, aber auch kritisch: Es ginge immer nur darum, gesund und leistungsfähig zu bleiben, ganz gleich was im Arbeitsleben geschieht.
Interne Studien und Befragungen von SAP weisen immerhin positive Ergebnisse nach: Stressempfindungen seien um mindestens fünf Prozent zurückgegangen und Fehlzeiten geringer geworden. Gestiegen seien dagegen die Konzentrationsfähigkeit, das Engagement, die Arbeitszufriedenheit und das Vertrauen in die Führungskräfte, vor allem wenn diese das Achtsamkeitstraining gemeinsam mit ihrem Team mitgemacht haben.
Der "abstrakte Mensch" als marktgängig Option
Hans Gerd Prodoehl ist skeptisch. Er war jahrelang Managing Direktor einer der größten deutschen Unternehmensberatungen und führt jetzt sein eigenes Consulting-Unternehmen. Seiner Erfahrung nach können Achtsamkeitsprogramme zwar einerseits sinnvoll sein. Aber die Gesetze des Marktes und der Konkurrenz zwingen Unternehmen und Arbeitnehmer, nur an den eigenen Nutzen zu denken.
In seinem Buch spricht Prodoehl davon, dass wir uns zu „abstrakten Menschen“ entwickeln müssen, um marktgängig zu bleiben und nicht von unseren Ängsten und Stresserfahrungen aufgefressen zu werden. Abstrakt heißt: Wir entwickeln eine innere, spielerische Distanz zu dem, was wir tun.
Reflektierte Distanz sowie stressfreiere und humanere Arbeitsbedingungen
Eine gewisse reflektierte Distanz zum Arbeiten ist sicher sinnvoll und es schließt ja auch nicht aus, Entspannung und Achtsamkeit zu trainieren oder Feedbackgespräche zu führen, um Techno-Stress und Arbeitsdruck entgegenzuwirken oder Anerkennung zu bekommen. Aber für den Düsseldorfer Medizinsoziologen Nico Dragano ist es genauso wichtig, sich für stressfreiere und humanere Arbeitsbedingungen zu engagieren.